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Anhörung im Gesundheitsausschuss : Verzweifelte Patienten hoffen auf Hilfe

Mediziner untersuchen den offenkundigen Zusammenhang zwischen der schweren neurologischen Erkrankung ME/CFS und dem Post-Covid-Syndrom.

24.04.2023
2024-01-10T14:27:12.3600Z
3 Min

Gesundheitsexperten fordern gezielte Hilfe für Patienten, die an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) erkrankt sind. Benötigt würden eine spezialisierte Versorgung und verstärkte Forschung, erklärten die Experten vergangene Woche in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über einen Antrag der Unionsfraktion. Die Sachverständigen äußerten sich in der Anhörung am Mittwoch sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

In dem Antrag heißt es, ME/CFS sei eine schwerwiegende Multisystemerkrankung, die zu krankhafter Erschöpfung (Fatigue) und Verschlechterung der Symptome nach jeglicher Anstrengung (Post-Exertional Malaise/PEM) führe. Oft seien Patienten auf Pflege durch Angehörige angewiesen. Die Abgeordneten fordern, den Aufbau der im Koalitionsvertrag genannten Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für ME/CFS unverzüglich finanziell und strukturell zu fördern.

Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS ist die Krankheit seit ihrer Einstufung als neurologische Erkrankung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1969 "marginalisiert oder falsch eingeordnet" worden. ME/CFS liege seit Jahrzehnten "im toten Winkel des Gesundheitssystems".

Viele Menschen sind unterversorgt

Das Ausmaß der Unterversorgung zeige sich im Vergleich zu der ebenfalls neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose (MS). Für ME/CFS gebe es in Deutschland eine Ambulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche, für MS-Kranke hingegen fast 200 Anlaufstellen. Weiterhin stünden für MS 16 zugelassene Medikamente zur Verfügung, für ME/CFS kein einziges. Der Verband forderte eine langfristig finanzierte Forschung, eine Aufklärungskampagne und spezielle Abrechnungsmöglichkeiten für ME/CFS.

Die Betroffeneninitiative Long Covid Deutschland erklärte, ME/CFS führe zu einem oft lebenslangen und hohen Grad an körperlicher Behinderung. Eine Subgruppe der Patienten mit Post-Covid-Syndrom erfülle nach sechs Monaten die Diagnosekriterien für ME/CFS. Durch die anhaltenden Infektionen mit Sars-Cov-2 sei von einer zunehmenden Zahl von ME/CFS-Erkrankungen im Zusammenhang mit Covid-19 auszugehen. Da ME/CFS weder heilbar sei noch ursächlich therapiert werden könne, entwickle sich die Krankheit zu einem zunehmenden Kostenfaktor für das Gesundheits- und Sozialsystem.

Ähnliche Syndrome

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sprach von einer wenig bekannten, sehr schweren Erkrankung. Mit Blick auf den Zusammenhang zwischen ME/CFS und Post/Long-Covid merkte der Verband an, der Verdacht auf zwei zugrundeliegende ähnliche postvirale Infektionssyndrome mit schwerwiegender Multisystembetroffenheit dränge sich geradezu auf. Die Versorgung müsse sich sowohl für die Patienten mit gesicherter als auch mit Verdacht auf ME/CFS-Diagnose und für solche, die an einer ähnlichen Krankheitsausprägung infolge einer Sars-Cov-2-Infektion litten oder einen Verdacht aufwiesen, deutlich verbessern.

Nach Angaben der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Diagnose ME/CFS schwierig. Es gebe keine objektiven diagnostischen Tests zur Bestätigung der Erkrankung. Erforderlich sei daher fast immer eine aufwendige symptomorientierte, differenzialdiagnostische Abklärung, häufig als Ausschlussdiagnose.

Auch viele Kinder sind betroffen

Von dieser chronischen Erkrankung betroffen sind auch Kinder und Jugendliche. Die Elterninitiative NichtGenesenKids berichtete von einer stetigen Zunahme an Anfragen und Beitrittswünschen. Eltern und Großeltern wendeten sich an die Initiative, weil zuvor aktive und sportliche Kinder nach einer Corona-Infektion nicht mehr gesund würden oder neue Symptome entwickelten. Viele Eltern seien verzweifelt, weil kompetente Anlaufstellen zur Diagnostik ebenso fehlten wie Therapieoptionen und Verständnis für die Situation. Der Gesundheitszustand mancher Kinder verschlechtere sich so stark, dass ein Schulbesuch nicht mehr möglich ist. Damit breche das komplette soziale Umfeld weg.

In der Anhörung machten Sachverständige deutlich, dass eine frühzeitige Diagnose entscheidend sei, um eine mögliche weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patienten zu verhindern. Uta Behrends von der Technischen Universität München sagte, bei betroffenen Kindern müsse berücksichtigt werden, dass sie in der Ausbildung stünden und wichtige Zeit in ihrer Peergroup verlören.

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