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Wahlkampf in Hessen : Landtagswahl: Wiesbaden will es anders machen als Berlin

Erstmals kandidieren in Hessen drei Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Die hessische Landespolitik weist aber noch mehr Besonderheiten auf.

30.09.2023
2024-01-30T10:59:04.3600Z
5 Min
Foto: picture alliance/dpa

Boris Rhein (CDU) ist seit dem 31. Mai 2022 hessischer Ministerpräsident.

So eine Auswahl gab es noch nie in Hessen: Nicht nur zwei, sondern gleich drei Personen kandidieren für das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten. Nach der Landtagswahl am 8. Oktober wird sich entscheiden, ob Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) in der Wiesbadener Staatskanzlei bleiben kann, ob sein aktueller Koalitionspartner und Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) ihm folgen wird oder ob die amtierende Bundesinnenministerin und hessische SPD-Vorsitzende Nancy Faeser als erste Frau in der Geschichte des Bundeslandes das höchste Regierungsamt übernimmt.

Wer künftig in Hessen regiert, wird sich aber wohl kaum am Abend des 8. Oktober entscheiden, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es verschiedene Optionen für Koalitionen geben: In den Umfragen liegt die CDU deutlich vorn und könnte mit der bisherigen Koalitionspartnerin, den Grünen, weiterregieren. Ebenso wäre aber auch ein Wechsel der CDU zur SPD möglich, die in den Umfragen etwa gleichauf mit den Grünen dasteht. Auch für Schwarz-Rot würde es daher zur Mehrheit reichen - ob das dann wirklich eine "Große Koalition" wäre, steht angesichts der im Vergleich zu früheren Jahrzehnten deutlich niedrigeren Werte in Frage.

Wenn es nicht für die Staatskanzlei reicht, würde jedoch SPD-Spitzenfrau Nancy Faeser nicht aus Berlin zurück nach Wiesbaden kommen, wo sie bereits 19 Jahre lang Landespolitik gemacht hat. Das hatte sie bereits bei ihrer Nominierung im Februar 2023 angekündigt. Stattdessen würde ein anderer Akteur oder eine andere Akteurin das Vize-Amt in der Landesregierung übernehmen. Als wahrscheinlich gilt, dass es dabei auf den derzeitigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Günter Rudolph zulaufen würde. Ob Boris Rhein lieber mit Rudolphs SPD oder mit Al-Wazirs Grünen regieren würde, hat er bislang offengelassen.

Unzufriedenheit mit der Ampel in Berlin als Hindernis?

Unsicher erscheint, ob auch die drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP gemeinsam auf genug Stimmen für eine Regierungsbildung kommen werden. In diesem Fall könnten sich sowohl SPD-Spitzenfrau Faeser als auch Grünen-Kandidat Al-Wazir Hoffnung auf die Staatskanzlei machen - je nachdem, wer die Nase vorn hat. Vor fünf Jahren hatten beide Parteien jeweils 19,8 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Die Grünen lagen mit der Winzigkeit von landesweit 66 Wählerstimmen vorn - mit 570.512 zu 570.446 Voten.

Die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit der Ampel in Berlin muss dabei kein Hindernis sein. SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser, die selbst Teil der Bundesregierung ist, verweist lieber auf Rheinland-Pfalz, wo Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bereits seit 2016 mit den Ampel-Partnerinnen Grüne und FDP zusammen regiert. "Ich kenne die Akteure von Grünen und FDP schon sehr lange und glaube, dass das gut funktionieren würde", sagt Faeser mit Blick auf Hessen.

Das Wahlsystem in Hessen

Rund 4,3 Millionen Hessinnen und Hessen sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Es gilt eine sogenannte personalisierte Verhältniswahl, wie sie auch von der Bundestagswahl bekannt ist: Jede und jeder Wahlberechtigte in Hessen hat eine Erst- und eine Zweitstimme.

Der Hessische Landtag hat derzeit 137 Abgeordnete, normal sind 110 Mandate.



Neben Al-Wazir wäre dann auch Stefan Naas mit im Boot, der Spitzenkandidat der hessischen FDP. Der Wirtschafts- und Verkehrspolitiker hatte Al-Wazir, den Wirtschafts- und Verkehrsminister der Grünen, in der laufenden Legislaturperiode allerdings heftig kritisiert, etwa wegen des Weggangs der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) aus Frankfurt.

Zudem zeigt sich die Wählerschaft der FDP wenig begeistert von der Ampel-Regierung in Berlin. Die Aussicht auf ein solches Bündnis mit SPD und Grünen in Wiesbaden könnte die Partei Stimmen kosten - und möglicherweise sogar den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Auf der anderen Seite sehen manche Beobachterinnen und Beobachter die Freien Wähler im Aufwind, die noch nie im hessischen Landtag vertreten waren. Die Gruppierung könnte von der Aufmerksamkeit profitieren, die sie durch den Wahlkampf in Bayern genießt, wo sie mit der CSU regiert.

Hessischen Linken droht Scheitern an Fünf-Prozent-Hürde

Keine Rolle spielen bei den Koalitionsüberlegungen die anderen beiden Parteien, die derzeit im Landtag vertreten sind. Mit der in Teilen rechtsextremen AfD möchte niemand kooperieren - selbst wenn sie sich Hoffnung machen kann auf Platz zwei in der Wählergunst. Der Linken wiederum droht in Hessen erstmals seit ihrem Einzug in den Landtag im Jahr 2008 das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Ihre internen Querelen auf Bundesebene spielen dabei eine wichtige Rolle.

Apropos Berlin: Die CDU hat Angriffe auf die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem zentralen Thema ihres hessischen Landtagswahlkampfs gemacht. "Berlin ist Streit, Wiesbaden ist Stabilität", formuliert es der amtierende Ministerpräsident Rhein mit Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen SPD, Grünen und FDP in der Bundesregierung.

Sicherheit und Wirtschaft, die beiden traditionellen Kernthemen der CDU, stellt der ehemalige Landesinnenminister Rhein auch in diesem Wahlkampf in den Vordergrund. Die SPD besetzt das Thema des Fachkräftemangels und verspricht, sich für mehr Pflegekräfte, Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte sowie Erzieherinnen und Erzieher einzusetzen. Die Grünen rücken den Kampf für Klimaschutz und für den Zusammenhalt der Gesellschaft in den Vordergrund. Wie immer bei Landtagswahlen spielt die Schulpolitik auch diesmal für alle Parteien eine zentrale Rolle. Doch im Wahlkampf dringen die landespolitischen Themen kaum durch gegen die großen bundes- und europapolitischen Herausforderungen von der Energie- bis zur Flüchtlingspolitik.

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Das Bundesland galt einst als "rotes Hessen"

Die hessische Landespolitik zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. Das Bundesland galt als einst, unter den SPD-Ministerpräsidenten Georg August Zinn (1950-1969) und Albert Osswald (1969-1976), als "rotes Hessen". Doch inzwischen regiert die CDU dort seit mittlerweile 25 Jahren ununterbrochen - und genau so lange sitzt die SPD in der Opposition. In keinem Bundesland außer Bayern war sie so lange nicht mehr an der Macht.

Nach der Wahl von 2013 gab es keine Mehrheit mehr für eine Koalition von CDU und FDP. Damals brachten Volker Bouffier und Al-Wazir die erste schwarz-grüne Koalition auf den Weg. Sie hatte als ausgesprochen schwierig gegolten, insbesondere wegen der Flughafen-Politik und innenpolitischen Differenzen. Doch als der Koalitionsvertrag kurz vor Weihnachten 2013 vorlag, stimmten beim größten hessischen Grünen-Parteitag aller Zeiten knapp 75 Prozent der 1000 erschienenen Mitglieder für die Vereinbarung.

Seither trugen beide Partnerinnen ihre Konflikte in der Regel intern aus und regieren seither erstaunlich geräuschlos zusammen. Angesprochen auf die Ampel in Berlin sagt Al-Wazir: "So einen Zirkus hat man mit mir in Hessen nie erlebt - und wird man mit mir auch nie erleben." Ob er weiterregieren kann oder es einen Wechsel gibt bei den Regierungsparteien - das wird sich nach dem 8. Oktober entscheiden.

Der Autor ist Chefreporter der "Frankfurter Rundschau". Zuvor war er deren Korrespondent in Wiesbaden.