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Nachbesserungen am Selbstbestimmungsgesetz : Der Perspektivwechsel

Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Transsexuellengesetz ablösen. Verbänden geht die Neuregelung nicht weit genug.

17.11.2023
2024-03-14T14:34:29.3600Z
6 Min

Mit dem von der Bundesregierung ins parlamentarische Verfahren eingebrachten Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz steht das mehr als 40 Jahre alte Transsexuellengesetz vor dem endgültigen Aus. Damit wird eine langjährige Forderung von Betroffenen und Verbänden umgesetzt. Die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag soll für transgeschlechtliche Menschen nun deutlich einfacher und niedrigschwelliger werden. Gleiches gilt für intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, für die die Neuregelung auch gelten soll. Allerdings sehen queere und feministische Verbände ihre Kritik an dem Entwurf bislang nicht zur Genüge berücksichtigt.

Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress/Michael Kremer

Seit Jahren setzen sich Verbände und Aktive für eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes ein. Nun soll es durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden.

Die geplante Änderung bedeutet einen erheblichen Perspektivwechsel. Soll nunmehr ein selbstbestimmter Umgang mit Geschlechtsidentität ermöglicht und gesetzlich festgeschrieben werden, beruht das 1980 beschlossene und 1981 in Kraft getretene Transsexuellengesetz (TSG) noch auf der Annahme, dass transgeschlechtliche Menschen eigentlich psychisch krank seien. Eingebrachte hatte das TSG damals die sozial-liberale Koalition, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil dazu gemahnt hatte. Das Transsexuellengesetz sollte es den Betroffenen ermöglichen, ihre "Identitätsfindung wenigstens zu einem Teil zu erreichen", wenngleich die eigentlichen "Probleme" nicht im juristischen Bereich lägen, sondern im "medizinischen, im psychotherapeutischen, im Sozialbereich" wurzelten, wie es ein FDP-Abgeordneter damals ausführte. Das Gesetz setzte dabei hohe Hürden: Wer nicht nur Vornamen, sondern - die sogenannte "Große Lösung" - auch Geschlechtseintrag ändern wollte, musste geschlechtsangleichende Operationen vornehmen und sich sterilisieren lassen. Wer verheiratet war, war gezwungen, sich scheiden zu lassen.

trans

trans , trans* beziehungsweise transgeschlechtlich werden vermehrt als Oberbegriffe genutzt. Sie beschreiben Personen, deren geschlechtliche Identität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Letzteres ist in der Regel in der Geburtsurkunde, im Personenstandsregister und in Ausweisdokumenten vermerkt. Damit sind auch Menschen umfasst, die keine geschlechtsangleichende Operation vollzogen haben oder wollen.

Quelle: LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung



Das Bundesverfassungsgericht schritt beim Transsexuellengesetz mehrfach ein

All das wurde vom Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich als verfassungswidrig eingestuft. Übriggeblieben sind vom Transsexuellengesetz in seiner derzeitigen Fassung noch zwei psychologische Gutachten, die erstellt werden müssen, sowie ein Gerichtsverfahren, deren Kosten von der trans- oder intergeschlechtlichen oder nichtbinären Person selbst getragen werden müssen. In der Regel sind das 2.000 Euro.

Der Bundesverband Trans*, der wichtigste Verband für die Belange von transgeschlechtlichen Personen, sieht in der noch bestehenden Begutachtungspflicht eine "(Psycho)-Pathologisierung und Stigmatisierung". Betroffene berichten davon, dass die Sachverständigen, die psychologische Gutachten fertigen, dabei teils entwürdigende wie diskriminierende Fragen stellen, die transgeschlechtliche Menschen teilweise in die Nähe von Pädophilie rücken. Selbst wenn das nicht der Fall ist, stellt das Verfahren für die Betroffenen eine psychische Belastung dar. Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sind besonders suizidgefährdet und leiden besonders häufig an Depressionen, dazu trägt auch das Verfahren des Transsexuellengesetzes bei.

inter

inter beziehungsweise inter* werden vermehrt als Sammelbegriff für Menschen genutzt, deren geschlechtliche Merkmale nicht den körperlichen Merkmalen eines Mannes oder eine Frau entsprechen. Geläufig ist auch der Begriff intersexuell beziehungsweise intergeschlechtlich.

Quelle: LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung



Bis heute wird zudem bei der Geburt eines Kindes ein falsches Geschlecht in die Geburtsurkunde eingetragen, wenn ein Elternteil betroffen ist - was für die betroffenen Eltern in vielen Situationen zu einem Zwangsouting führt, beispielsweise wenn die Geburtsurkunde der Kinder bei der Lohnabteilung des Arbeitsplatzes vorgezeigt werden muss.

Über die Jahre sind trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen etliche Male bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um gegen diskriminierende Regelungen vorzugehen. In den vergangenen Jahren kam die Forderung nach einem Selbstbestimmungsgesetz hinzu. Auch in der Bundespolitik spielt das Thema schon länger eine Rolle: In der vergangenen Legislaturperiode hatten FDP, Grüne und Linksfraktion eigene Vorschläge für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, die aber keine Mehrheiten fanden. Die Große Koalition hielt seinerzeit lediglich Verbesserungen des Transsexuellengesetzes für nötig. CDU und CSU bestanden auf den vorgesehenen psychologischen Gutachten.

In Sauna, Frauenhaus und Co. soll weiter das Hausrecht gelten

In der aktuellen Debatte um die nun geplante Neuregelung wurde - hauptsächlich von konservativer und rechter Seite - viel über den Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie über Frauenschutzräume und den Schutz vor patriarchaler Gewalt debattiert. Das Selbstbestimmungsgesetz in seiner derzeitigen Fassung beinhaltet einen sogenannten "Hausrechtsparagrafen", der vorsieht, dass Betreibende von Frauenschutzräumen wie beispielsweise Frauensaunen selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt. Die Idee dazu präsentierte Justizminister Marco Buschmann (FDP) erstmals im Januar in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Der Deutsche Sauna-Bund begrüßt diesen Paragrafen und begründet das mit dem "Bedürfnis nach dem Schutz der Intimsphäre oder auch auf die Befürchtung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung Rücksicht zu nehmen".

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Juristische, queere Verbände und Frauenschutzverbände kritisieren diesen Vorschlag jedoch scharf. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen (bff) stellt etwa in seiner Stellungnahme klar: "Trans, inter und nichtbinäre Personen sind in sehr hohem Maße von geschlechtsspezifischer Gewalt und sexistischen Übergriffen betroffen", und weiter: "Durch das Selbstbestimmungsgesetz werden Damentoiletten, Umkleiden und Duschen nicht weniger sicher als bisher. An solchen Orten kommt es immer wieder zu Übergriffen vor allem durch cis Männer."

Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, kritisiert den Hausrechtsparagrafen: "Es ist sehr beunruhigend, wenn in einem Gesetzestext, und sei es nur in der Begründung, auf rechtspopulistische Argumente eingegangen wird", sagte Ataman im Mai über den Hausrechtsparagrafen. Vermieden werden sollen nämlich Männer, die sich unrechtmäßigen Zutritt zu Frauenschutzräumen verschaffen. Blickt man in andere Länder mit Selbstbestimmungsgesetz, kommt so etwas nicht vor.

nichtbinär

Nichtbinäre Menschen verstehen sich nicht ausschließlich als weiblich oder männlich. Der Begriff bezeichnet ein weites Spektrum, das Überschneidung mit trans haben kann.

Quelle: LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung



Queeren Verbänden geht der aktuelle Entwurf nicht weit genug. 54 Stellungnahmen gingen zum Selbstbestimmungsgesetz ein, darin kritisiert wurde neben dem Hausrechtsparagrafen vor allem, dass es eine Wartefrist von drei Monaten geben soll für Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollen.

Der Bundesverband Trans*, kritisierte, dass die zunehmend transfeindlichen Narrative in Gesellschaft und Medien sich im Gesetz verfestigen würden. Der Verein Intergeschlechtliche Menschen e. V. wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der Begründungstext des Gesetzes "geschlechtssensible Formulierungen stellenweise verlässt und in binäre Muster zurückfällt".

Änderungsvorschläge der Verbände blieben ohne Folgen

Nachdem das Bundesjustizministerium und das Bundesfamilienministerium monatelang um einen Kompromiss zum Gesetz gerungen hatten, wurde an ihrer Einigung im Referentenentwurf festgehalten. Kritikpunkte der Verbände wurden nicht in den nun dem Parlament vorliegenden Entwurf eingearbeitet. Lediglich Änderungen des Bundesinnenministeriums wurde aufgenommen: So soll etwa das Offenbarungsverbot, das im Selbstbestimmungsgesetz strenger geregelt ist als im Transsexuellengesetz, gegenüber bestimmten Behörden nicht gelten - aufgrund eines möglichen Missbrauchs durch straffällig gewordenen Personen, die das Gesetz laut Innenministerium nutzen könnten, um ihre Identität zu verschleiern. Zudem soll das Gesetz für Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus nicht gelten.

cis

cis wurde aus der trans-Community als Gegenbegriff zu trans eingeführt. Er beschreibt Personen, bei denen geschlechtliche Identität und bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht zusammenfallen.

Quelle: LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung



"Ich bedauere, dass Verbesserungen am Entwurf auf Ebene der Minister*innen nicht möglich waren, etwa zum Hausrechtparagrafen", schrieb der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), im August. Er setze darauf, dass Änderungen im parlamentarischen Verfahren möglich seien. Auch außerhalb des Bundestages wird noch auf Änderungen gedrungen. Das "Bündnis Selbstbestimmung" stellte diesen Monat einen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz "ohne Repressions- und Diskriminierungsförderung" vor. Auf einen Hausrechtsparagrafen wird verzichtet, dafür aber die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Opfer des Transsexuellengesetz vorgesehen. Viele Verbände und Vereine wie der Deutsche Frauenrat und die Gesellschaft für Freiheitsrechte fordern Nachbesserungen.

Die Autorin ist Genderredakteurin bei der "tageszeitung".