Glosse : Ruinen und Rosinen
Der ehemalige Flughafen Tempelhof ist klammheimlich 100 Jahre alt geworden - und das in Würde.

Inmitten der Stadt: Der Flughafen Tempelhof feiert 100. Geburtstag.
Das Talent, in Würde zu altern, ist nicht jedem gegeben. Heino hat es geschafft, die Fußball-Nationalmannschaft und Clint Eastwood natürlich. Der Flughafen Tempelhof gehört auch dazu:
Der prominente Altberliner ist klammheimlich 100 geworden. Natürlich gab es Glückwünsche und die üblichen politischen Fensterreden, wichtiger ist aber die gelebte Realität in seiner blumigsten Form, eine riesige Grillfläche mitten in der Stadt, ein Central Park für Kiffer und Kinder zwischen Heuballen und Herbstlaub.
Über Jahre war der Flughafen ein Fenster der Freiheit, eingerahmt von Sicherheitsgarantien der westlichen Alliierten. In der Blockadezeit drohte die angeborene Zuversicht der West-Berliner zu verkümmern, dann kamen die Rosinenbomber, an kleinen Fallschirmen purzelten auch Süßigkeiten zu Boden, immer wie Weihnachten für die Trümmerkinder.
Am Ende steht die Erkenntnis, es geht, wenn es muss.
Wenn die Maschinen Jahre später in Richtung Westen Vollgas gaben, gingen die Einwohner im Tempelhofer Fliegerviertel sicherheitshalber in Deckung. Wer am Flughafen wohnte, musste mindestens schwerhörig sein, besser taub, lautete damals eine Weisheit.
Hinten an der Südlandebahn standen seltsame Plainspotter und notierten Flugbewegungen. Bürgermeister, Kanzler und Präsidenten kamen und gingen, während sich in Berlin das Flugwesen trotzdem erstaunlich rege entwickelte. Am Ende steht die Erkenntnis, es geht, wenn es muss. Man sagt, die Nacht ist am schwärzesten kurz vor der Dämmerung. Die Berliner sind aus ihren Trümmern herausgewachsen und schauen in diesen Tagen mit Krieg und Terror wieder erwartungsvoll in Richtung Amerika, wo ein gealterter Herr aus der Polit-Liga der Ü80 vor schweren Entscheidungen steht.