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Vereint in Schmerz und Hoffnung : Hass war für sie nie eine Option

Überlebende und Angehörige der Terroranschläge in Hanau, Paris und Utøya teilen ihre Erfahrungen - und berichten von ihrem heutigen Einsatz gegen Terrorismus.

05.12.2025
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4 Min

Paris, Utøya, Hanau - diese drei Städte verbindet ein gemeinsames Schicksal. Sie alle waren in den vergangenen Jahren Schauplatz von Terrorattacken. Bei jedem dieser Anschläge haben zahlreiche Menschen ihr Leben verloren. Jede dieser Attacken hat traumatisierte Überlebende, trauernde Angehörige und eine getroffene Gesellschaft zurückgelassen.

Anlässlich des zehnten Jahrestages der islamistischen Terroranschläge im November 2015 in Paris hat Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) Überlebende und Angehörige dieser drei Ereignisse dazu eingeladen, im Bundestag ihre Erfahrungen zu teilen.

Foto: Lean Horndasch

Anlässlich des 10. Jahrestags der Anschläge vom 13. November 2015 in Paris hat Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen, 5.v.l.) Überlebende und Angehörige der Terroranschläge von Hanau, Paris und Utøya in den Bundestag eingeladen.

Er habe selten in seinem Leben so große Zweifel gehabt, ob er eine Veranstaltung souverän moderieren könne, sagt Nouripour zu Beginn des Austauschs am vergangenen Dienstagabend. Für ihn als Vater sei das, was die Angehörigen erlebt hätten, unvorstellbar.

Rund 18 Stunden bangte Georges Salines um seine Tochter

Einer der Gäste, der pensionierte Arzt Georges Salines, hat bei dem schweren Terroranschlag in Paris seine Tochter verloren. Am Abend des 13. November 2015 haben islamistische Attentäter an mehreren Orten in der französischen Hauptstadt insgesamt 130 Menschen ermordet. Rund 18 Stunde bangte Salines damals um das Schicksal seiner Tochter Lola. Schließlich erhielt er die Nachricht, dass auch sie unter den Opfern in der Konzerthalle Bataclan ist, berichtet er den Besuchern der Veranstaltung.

Hass habe er nach dem Verlust seiner Tochter jedoch nicht gespürt. Er sei traurig gewesen und es habe sich unwirklich angefühlt, aber gehasst habe er nie: "Es wäre für mich undenkbar, auf Hass mit Hass zu antworten", antwortet Salines auf eine Frage aus dem Publikum. Stattdessen wollte er helfen, Anschläge künftig zu verhindern. 

Er gründete eine Organisation für die Opfer und geht bis heute in Schulen oder Gefängnisse, um über seine Tochter und die Anschläge zu sprechen. Dabei trete er auch mit inhaftierten Terroristen oder mit Kriminellen, bei denen ein Risiko der Radikalisierung bestehe, in den Dialog. Begleitet wird er manchmal von Azdyne Amimour, dessen Sohn einer der Attentäter im Bataclan war. Die beiden Männer haben sich nach der Tat getroffen, sind mittlerweile befreundet und wollen zeigen, dass auch die Angehörigen der Täter Opfer seien.


„Terrorismus ist überall auf der Welt gleich. Ebenso wie der Schmerz und die Trauer, die auf solche Attacken folgen.“
Utøya-Überlebender Kjartan Løvaas

Auch für Kjartan Løvaas ist Hass als Antwort nie eine Option gewesen. Der heute 31-Jährige nahm im Sommer 2011 an einem Camp der sozialdemokratischen Jugendorganisation Norwegens auf der Insel Utøya teil. Am 22. Juli verübte der Terrorist Anders Behring Breivik zunächst einen Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel, bevor er sich auf den Weg nach Utøya machte.

Die Betroffenen setzen auf Dialog und Aufklärung gegen Hass und Terrorismus

Als Polizist verkleidet, gelangte Breivik ungehindert auf die Insel. Løvaas erzählt, dass er Breivik aus der Ferne sah, als dieser das Feuer eröffnete. Während er ruhig seine Erinnerungen teilt, fließen bei den Zuhörenden vereinzelte Tränen. Überlebt habe Løvaas, indem er zur Küste rannte und rund 45 Minuten zum Festland schwamm. 69 Menschen sind an diesem Tag auf der Insel getötet worden.

Seit 2018 engagiert sich Løvaas in der nationalen Hilfsorganisation, die sich für die Unterstützung der Betroffenen einsetzt. Fast 15 Jahre nach der Attacke sei der Bedarf nach Hilfe immer noch groß.


„Dass die neun Namen nicht vergessen werden, hat viel mit ihren Familien und mit der Gesellschaft zu tun.“
Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) zum Anschlag in Hanau

"Terrorismus ist überall auf der Welt gleich. Ebenso wie der Schmerz und die Trauer, die auf solche Attacken folgen", sagt Løvaas. Wie die anderen Gäste setzt er auf Dialog und Aufklärung, um Anschläge wie in Hanau, Paris oder Utøya zu verhindern.

Deutschland könne noch viel von den anderen Ländern lernen

Während Løvaas und die weiteren Gäste aus Norwegen sich zufrieden mit der Aufarbeitung des Anschlags in dem Land zeigen, ist Serpil Unvar enttäuscht von der Unterstützung, die sie in Deutschland erhält. Unvar hat bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 ihren Sohn Ferhat verloren. "Ferhat war nicht fremd in diesem Land. Er wurde hier geboren, es war sein Land", sagte Unvar. Während sie spricht, schaut sie immer wieder auf ihre Hände, macht lange Pausen. Nach einigen Monaten gründete sie eine Bildungsinitiative gegen Alltags- und institutionellen Rassismus.

Von der Politik fühle sie sich bei ihrer Mission allein gelassen. Der Anschlag vom 22. Juli solle in Norwegen beispielsweise auf den Lehrplan gesetzt werden. Solch ein Engagement bei der Erinnerungs- und Präventionsarbeit würde sie sich auch von der deutschen Politik wünschen. "Dass die neun Namen nicht vergessen werden, hat viel mit ihren Familien und mit der Gesellschaft zu tun", räumte Nouripour ein.

Kraft schöpfe Unvar vor allem aus dem internationalen Austausch mit anderen Initiativen und ihrem Ziel, mit ihrer Arbeit eine bessere Zukunft für die jungen Menschen von heute zu schaffen.