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Parlamentarisches Profil : Die Durchboxerin: Derya Türk-Nachbaur

Die Sozialdemokratin Derya Türk-Nachbaur will auf das Schicksal der Uiguren in China aufmerksam machen.

30.09.2023
2024-03-13T10:47:43.3600Z
3 Min
Foto: Fionn Grosse

Derya Türk-Nachbaur ist SPD-Sprecherin in der Enquete-Kommission für Afghanistan, leitet die Parlamentariergruppe Malta-Zypern und ist Mitglied der Parlamentarischen Versammlung.

Zu Beginn des Gesprächs gibt sie sich diplomatisch. "Ich wusste, dass sich die Bundesregierung einen großen Kopf machen wird", sagt Derya Türk-Nachbaur über die China-Strategie der Bundesregierung, die vergangene Woche erstmals im Bundestag diskutiert wurde. 64 Seiten lang, nach 83 Wochen Verhandlungen innerhalb der Koalition. Und, wer hat sich nun durchgesetzt, das Kanzleramt oder das Auswärtige Amt?

Türk-Nachbaur lacht. Eine Fangfrage. Ist sie doch SPD-Abgeordnete und damit dem von Sozialdemokraten geführten Kanzleramt nahe, aber als Menschenrechtspolitikerin dürfte ihr auch der stärker wertebasierte Ansatz der grünen Außenministerin Annalena Baerbock gefallen. "Beide Handschriften sind erkennbar", antwortet sie salomonisch. "Da hat man gut miteinander kooperiert. Was dort steht, tragen alle in der Regierung."

"Parlamentskreis Uiguren" frisch gegründet

Es ist mittags, gleich muss sie zur Fraktion. Auf China blickt Türk-Nachbaur, 50, aus dem Wahlkreis Schwarzwald-Baar, auch mit den Augen des erst in der vorvergangenen Woche gegründeten "Parlamentskreis Uiguren", in dem sie sich engagiert. "Wir haben uns vorgenommen, dem Leid der Uiguren eine Stimme zu verleihen", sagt sie. In der chinesischen Provinz Xinjiang fallen die muslimischen Uiguren zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung in Peking zum Opfer. Für Türk-Nachbaur ein Grund zum Engagement im Parlamentskreis, dem Kollegen mehrerer Fraktionen angehören: Einerseits ist sie Mitglied im Menschenrechtsausschuss, und andererseits gelten für sie geringere Sprachbarrieren: Ihre Eltern kommen aus der Türkei, und es bestehen sprachliche Verwandtschaften zwischen dem Türkischen und der Turksprache der Uiguren. "Ich habe nicht den Eindruck, dass man sich in Deutschland mit ihrem Schicksal angemessen auseinandersetzt", sagt sie. "Aber daraus will ich keinen Vorwurf machen. Es gibt ja so viele Krisen. Aber dafür haben wir den Freundeskreis als Bühne gegründet." In China sieht sie einen Handelspartner, dessen Regierung man sich nicht aussuchen kann. Umso wichtiger sei es, aufmerksamer gegenüber dem Staat zu sein. "Deutschland ist keine Insel."


„Ich habe nicht den Eindruck, dass man sich in Deutschland mit ihrem Schicksal angemessen auseinandersetzt.“
Derya Türk-Nachbaur

Die SPD war Türk-Nachbaur natürliche Heimat. In einer Familie von "Gastarbeitern" in Paderborn aufwachsend, saß sie als Kind auf den Schultern ihres Vaters, wenn der Gewerkschafter zum 1. Mai ging, sie rote Nelken verteilte, den Wert von Gerechtigkeit kennenlernte. Und Erfahrungen machte, welche Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Familie ereilen: Etwa ihre Freundin, die zuhause immer willkommen war, aber wenn Derya vor ihrer Tür stand, habe sie deren Mutter gehört: "Das Türkenmädchen kommt mir nicht rein.'" Oder ein anderes Mal, da war sie acht Jahre alt, habe ihr Bruder seinen Fußball gegen ein Garagentor geschossen; ein Mann sei herausgekommen, habe ihn mit den Worten "'Du Kanacke!'" hochgehoben, an die Garagenwand gedrückt und die Nase blutig geschlagen; die Polizei daraufhin: Anzeige gegen unbekannt, das verfolge man nicht. "Dabei wussten wir genau, wo er wohnte."

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Türk-Nachbaur boxte sich durch. Begann nach dem Abi ein Studium der Neueren deutschen Literatur, Medienwissenschaft und Amerikanistik, bekam zwei Kinder - und wurde alleinerziehend. Musste die Familie ernähren, brach das Studium ab und ging arbeiten, machte später eine Ausbildung zur Versicherungsfachfrau. Auf Ungerechtigkeiten, sagt sie, reagiere man verschieden. "Entweder man bedauert sie auf der Couch oder geht sie an." Keine Frage, wofür sie sich entschied. Richtig in die Politik kam Türk-Nachbaur, als ihr Mann 2018 aus Protest gegen die Neuauflage der Großen Koalition aus dem Gemeinderat aus Bad Dürkheim ausschied, später auch aus der Partei. "Ich war damals Ortsvereins -und Kreisvorsitzende und beschwor ihn, innerhalb der SPD auf Reformen zu setzen", erinnert sie sich. Und rückte für ihn nach. "Im Rückblick war das Regierungsbündnis von Union und SPD vielleicht doch ganz gut", sagt sie. "Vieles trug sozialdemokratische Handschriften." Dann kam die Kandidatur für den Bundestag 2021. Mit ihrer Kindheitsfreundin von damals ist sie übrigens bis heute befreundet.