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Gastkommentare : Pro und Contra: Gas- und Öl-Importe aus Russland stoppen?

Eine weitreichende Sanktionsmöglichkeit gegen Russland wäre ein Embargo von Öl- und Gasimporten. Aber kann Deutschland mit den Folgen umgehen?

21.03.2022
2024-01-31T10:19:25.3600Z
2 Min

Pro

Sanktionen verschärfen

Foto: Privat
Jakob Schlandt
"Der Tagesspiegel", Berlin
Foto: Privat

Wladimir Putin hat seine Kriegsziele nicht erreicht; nun geht Russland zu einem Krieg gegen die Zivilbevölkerung über. Das darf nicht unbeantwortet bleiben. Das heißt: Die Sanktionen müssen verschärft werden. Denn Putin stabilisiert den Rubel und seine Wirtschaft mit unserem Geld für Öl, Kohle und Gas.

Die Bundesregierung lehnt Energiesanktionen ab. Zu gravierend wären die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Insbesondere bei Gas wäre ein kompletter Importstopp tatsächlich ein tiefer Einschnitt. Mehr als die Hälfte unseres Verbrauchs stammt aus russischen Pipelines und lässt sich nicht durch Einkäufe auf dem Weltmarkt ersetzen.

Richtig wäre es deshalb, die Importe durch eine Stilllegung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 zu drosseln. Zusätzlich käme auch die Jamal-Pipeline durch Belarus und Polen in Betracht - in Abstimmung mit Warschau. Dann bliebe für Putin allein das große Transportsystem der Ukraine, durch das immer noch im vollen vertraglichen Umfang Gas aus Russland Richtung Westeuropa strömt.

Das wäre ein klares Zeichen der Solidarität: Muss Gazprom die Ukraine nutzen, sichert das die dortige Versorgung ab. Mit der stillgelegten Nord-Stream-Pipeline gäbe es zusätzliche Verhandlungsmasse und einen weiteren Anreiz für Putin, den Krieg zu beenden.

Erste Berechnungen zeigen, dass Deutschland bei einem Nord-Stream-Stopp - wenn auch knapp - ohne drastische Einschnitte über den nächsten Winter kommen würde. Anders als ein kompletter Importstopp ließe sich das Teil-Embargo also auch durchhalten. Putin muss jetzt ein klares Signal erhalten, dass sein Zerstörungskrieg zusätzliche Konsequenzen hat.

Contra

Unterschätzte Folgen

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Daniel Wetzel
"Die Welt", "Welt am Sonntag"
Foto: Privat

Die Forderung nach einem sofortigen Energie-Embargo gegen Russland ist verständlich. Allerdings sind die Folgen kaum verstanden. Äußerungen, ein Ausfall russischer Gaslieferungen sei "handhabbar", beruhen auf Mutmaßungen, nicht auf Analysen. Die oft geäußerte Vorstellung, es handele sich um ein bisschen "solidarisches Frieren", unterschätzt die Konsequenzen dramatisch.

Klar dürfte sein, dass ein Gas-Embargo sofort die höchste Stufe des "Notfallplans Gas der Bundesrepublik Deutschland" auslösen würde. Die Gasversorgung der Bevölkerung hinge von Anweisungen der Behörden und Gasnetzbetreiber ab, und zwar auf unbestimmte Zeit. Denn ein Embargo wäre vorerst unumkehrbar. Das Risiko, dass staatliche Steuerungskompetenzen dabei überfordert werden, ist erheblich.

Bundesbehörden hatten die Beherrschbarkeit einer Gasmangellage vor vier Jahren in der Übung "Lükex 18" getestet. Es zeigte sich, dass dabei eine kältebedingte Krankheitswelle droht, die die Handlungsfähigkeit von Verwaltung, Polizei, Rettungsdiensten, Krankenhäusern und Pflegeheimen einschränkt. Die Auskühlung von Gebäuden könnte zu Wasserschäden und Versorgungsproblemen führen. Größere Probleme wären in der Ernährungsindustrie zu erwarten, die ihren Energiebedarf zu weit mehr als 50 Prozent durch Gas deckt.

Versorgungsnöte und in der Folge soziale Unruhen sind damit nicht auszuschließen. Es spricht also viel für die Annahme, dass die Bundesrepublik diese Lage nicht über längere Zeit durchstehen könnte. Damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Embargo bald zurückgenommen werden müsste. Seine politische Wirkung wäre kontraproduktiv.