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Gastkommentare : Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke? Ein Pro und Contra

Soll es eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei Atomkraftwerke geben? "Not kennt kein Gebot" sagt Daniel Goffart. Malte Kreutzfeldt hält dagegen.

11.07.2022
2024-03-05T12:59:03.3600Z
3 Min

Pro

Not kennt kein Gebot

Foto: Privat
Daniel Goffart
ist Chefreporter bei der "Wirtschaftswoche", Düsseldorf.
Foto: Privat

Wenn Russland den Gashahn zudreht, droht Deutschland eine tiefe Rezession. In dieser "Gasmangellage", die man auch als Notstand bezeichnen kann, wird das noch vorhandene Gas rationiert. Niemand glaubt, dass ein vollständiger Ersatz aus anderen Ländern oder aus erneuerbaren Energien kurzfristig möglich ist. Im Gegenteil müssen wir mit drei bis fünf Jahren Knappheit rechnen - einschließlich aller ökonomischen Konsequenzen. Trotzdem lehnen SPD und Grüne jede Debatte über Alternativen ab - sei es ein Weiterbetrieb der noch laufenden drei Kernkraftwerke oder sei es die Förderung heimischen Erdgases. Gut zwölf Prozent des Gases werden heute verstromt - warum kann man diesen Strom nicht aus Kernkraftwerken nehmen? Natürlich lässt sich das aus technischen Gründen nicht eins zu eins umstellen. Aber angesichts einer drohenden Energiekrise wäre es geradezu verantwortungslos, vorhandene Kapazitäten einfach aufzugeben. Es muss buchstäblich jede Chance genutzt werden, fehlendes Gas so weit wie möglich mit anderer Energie zu ersetzen.

Leider geht es in dieser Debatte nicht um Vernunft, sondern um pure Ideologie. Die EU stuft Gas und Kernkraft als nachhaltige Energie ein, aber SPD und Grüne wissen es besser. Lieber lassen sie Kohlekraftwerke laufen oder kaufen Atomstrom aus Frankreich ein. Auch das weitaus schmutzigere LNG-Gas aus den USA wird akzeptiert, wenn man nur in Deutschland nicht nach eigenem Gas bohren muss. Solange alles ins gewünschte Muster passt, werden selbst Berechnungen "neutraler Experten" wie Naturstrom-Hersteller ungeprüft übernommen. Was nicht sein kann, das nicht sein darf - mit dieser Haltung besteht man keine Krise.

Contra

Phantomdebatte

Foto: taz
Malte Kreutzfeldt
ist Redakteur bei "die tageszeitung" in Berlin.
Foto: taz

Auf den ersten Blick mag es naheliegend sein, die letzten drei Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, um weniger Gas aus Russland zur Stromerzeugung nutzen zu müssen. Doch bei genauerer Betrachtung ist es weder realistisch noch sinnvoll. Denn die gesamte Planung der AKW-Betreiber ist seit Jahren darauf ausgerichtet, dass Ende 2022 Schluss ist mit der Atomkraft-Nutzung in Deutschland. Für die oft geforderte mehrjährige Laufzeitverlängerung fehlt daher das nötige Fachpersonal ebenso wie die erforderlichen Brennstäbe. Und die werden für jeden Reaktor individuell hergestellt, was 18 Monate dauert - egal wie sehr manche politische Akteure das ignorieren. Als Hilfe gegen Gasmangel in diesem oder im nächsten Winter käme eine solche Laufzeitverlängerung zu spät.

Vor allem aber würde sie wenig helfen. Denn nur etwa zwölf Prozent des in Deutschland genutzten Erdgases werden in Gaskraftwerken verstromt. Und diese könnten allenfalls zu einem kleinen Teil durch AKWs ersetzt werden, denn die flexiblen Gaskraftwerke werden zum einen benötigt, um kurzfristige Schwankungen im Strombedarf ausgleichen, wozu die auf Dauerbetrieb ausgelegten Kernkraftwerke nicht in der Lage sind. Zum anderen liefern viele Gaskraftwerke neben Strom auch Fernwärme, was die verbliebenen Atomreaktoren ebenfalls nicht können. Wirklich viel Gas kann anderswo eingespart werden: In den Haushalten, in denen Gasheizungen so schnell wie möglich gegen Wärmepumpen ausgetauscht werden sollten. Und in der Industrie, wo Produktionsprozesse umgestellt oder verlagert werden müssen. Die Debatte um AKW-Laufzeiten lenkt von diesen Herausforderungen nur ab.