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Foto: picture alliance / PIC ONE | Ben Kriemann
Immer wieder Stillstand: An vielen deutschen Bahnhöfen ging in den vergangenen Wochen nichts mehr.

Arbeitskampf bei Bahn & Co. : Scholz will Streikrecht nicht verschärfen

Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigt im Bundestag das Recht der Beschäftigten auf Arbeitskampf und lehnt eine Änderung des Streikrechts ab.

15.03.2024
2024-03-22T11:41:41.3600Z
3 Min

Wer nicht unmittelbar betroffen ist, hat wahrscheinlich längst den Überblick verloren: Wann streikt wer wo, welche Verkehrsmittel sind wie lange betroffen? All jene, die in den vergangenen Wochen auf die Bahn, den Bus, die S-Bahn oder das Flugzeug angewiesen waren, dürften leider jedoch sehr genau wissen, wo was noch ging - oder eben nicht.

Wie die Nachrichtenseite ntv.de ausgerechnet hat, waren von den bisherigen 74 Tagen des Jahres 2024 insgesamt 30 Tage Streiktage von ÖPNV, Bahn und/oder Flugverkehr (Stand 14. März 2024). Doch nicht nur Berufspendlerinnen und -pendler, Schulkinder und Reisende bleiben aufgrund der Arbeitsniederlegungen von Lokführern, Busfahrerinnen und Kabinen- und Sicherheitspersonal stecken: Auch der Güterverkehr ist von den Streiks betroffen; Wirtschaftsfachleute warnen vor den hohen Kosten für die deutsche Wirtschaft.

Vom Staatskonzern zur Privatfirma

🤝 Fusion aus Ost und West: Aus der Bundesbahn im Westen und der Reichsbahn im Osten Deutschlands wurde zum Stichtag 1. Januar 1994 die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG. Die Zuständigkeit im Nahverkehr ging bei der Bahn vom Bund auf die Länder über.

⚔️ Mehr Wettbewerb erzeugt: Mit der Bahnreform entstand ein Wirtschaftsunternehmen, das mit privaten Eisenbahnunternehmen auf dem Markt in den Wettbewerb treten sollte. Der Bund blieb jedoch alleiniger Eigentümer.



Nach Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kann sich der Schaden für die deutsche Wirtschaft bei einem eintägigen bundesweiten Bahnstreik auf bis zu 100 Millionen Euro am Tag an Wirtschaftsleistung belaufen, sofern die Produktion und die Geschäftstätigkeit der Unternehmen branchenübergreifend gestört werden.

Wirtschaftsminister Habeck kritisiert die Streiks

Das geht jetzt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) zu weit, er kritisierte die immer häufigeren Streiks: "Jedenfalls wird ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben", sagte Habeck am vergangenen Mittwoch in Berlin. "Und das können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten."

Damit meint Habeck unter anderem die Forderungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL nach einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden - bei gleichbleibendem Lohn.

Aufgrund der sich immer weiter zuspitzenden Lage in den vergangenen Wochen wurden die Rufe nach einer Beschränkung des Streikrechts immer lauter. So auch in der vergangenen Woche im Bundestag, als Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Regierungsbefragung vom Abgeordneten Reinhard Houben (FDP) auf die Konsequenzen aus den Streiks angesprochen wurde: Ob verbindliche Regeln zu Streiks, wie es sie in anderen Ländern der Europäischen Union gebe, nicht auch in Deutschland angebracht wären, gerade in Bereichen der kritischen Infrastruktur, will der Liberale vom Kanzler wissen.

"Aus meiner Sicht nein - um es sehr klar zu sagen", antwortete Scholz. Es gebe ein Gebot im Grundgesetz, so der Kanzler weiter. Dazu zähle die Koalitionsfreiheit und damit auch das Streikrecht. "Das ist als demokratisches Recht von Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erkämpft worden."

Scholz: Bahn wurde privatisiert, daher sind Streiks möglich

Man habe in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, die bestimmte Bereiche der öffentlichen Infrastruktur, die im Hoheitsbereich des Staates waren und von Beamten verwaltet wurden, privatisiert oder in privatrechtliche Strukturen in öffentlichem Eigentum überführt haben, sagte Scholz weiter: "Damit haben wir aber auch die Entscheidung getroffen, dass Streik gewissermaßen auch dort möglich ist." Der Abgeordnete Houben hakte nach, ob es nicht zumindest wichtig sei, eine Notversorgung der Menschen in Deutschland, etwa in Krankenhäusern, gesetzlich sicherzustellen.

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Man könnte auf das Prinzip der Sozialpartnerschaft setzen, entgegnete Scholz darauf: "Und dazu gehören solche Regelungen, wie Sie sie angesprochen haben: dass eine Gewerkschaft natürlich niemals ein Krankenhaus bestreikt und die Kranken gefährdet." Es gehöre bei Tarifauseinandersetzungen immer dazu, dass Land und Menschen nicht gefährdet werden. "Ich glaube, wir können uns auf die Gewerkschaften in Deutschland in dieser Hinsicht verlassen", schloss der Kanzler.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände sieht das indes anders. Deren Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter forderte in dieser Woche deshalb ein "klares Arbeitskampfrecht, ganz besonders für die Bahn und vergleichbare Bereiche".

Verkehrsminister Wissing fordert von den Gewerkschaften einen "Osterfrieden"

Bislang ist unklar, wie es in den teils festgefahrenen Tarifverhandlungen weitergeht. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) rief die Gewerkschaften deshalb zu einem "Osterfrieden" auf. Über Ostern seien zahllose soziale Begegnungen geplant, die nicht stattfinden könnten, wenn die Bahn nicht fahre und Flugzeuge am Boden blieben, so Wissing.

Zudem bekräftigte der Minister seine Überzeugung, dass die Prüfung einer Anpassung des Streikrechts notwendig sei. Das solle aber erst geschehen, wenn die aktuellen Tarifkonflikte beigelegt seien.