Gleichwertige Lebensverhältnisse : Aufbau Ost ade
Der Finanzminister will die Mittel für das GRW-Programm kürzen. Nicht nur in der Opposition regt sich Widerstand.
Dort, wo der Bus nur zweimal am Tag fährt, wo schon nachmittags die Bürgersteige hochgeklappt werden, wo es keine berufliche Perspektive gibt, da wollen junge Menschen nicht bleiben: Die junge Grünen-Abgeordnete Karoline Otte hat im Bundestag recht klar zusammengefasst, warum bestimmte Regionen in Deutschland, die gemeinhin als "strukturschwach" bezeichnet werden, im direkten und im übertragenen Sinn keine Zukunft haben.

Ein Bus fährt an einem kaputten Bushäuschen in Senzke im Landkreis Havelland am Straßenrand vorbei.
In Deutschland wird das Gefälle zwischen Städten und Dörfern, zwischen wirtschaftsstarken Metropolregionen und abgehängten Provinzen immer größer. Um dem entgegenzuwirken, unterstützt die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) seit 1969 eine ausgewogene regionale Entwicklung; Ziel ist die Herstellung "gleichwertiger Lebensverhältnisse".
Kürzung um 300 Millionen Euro geplant
Jährlich gibt der Bund 650 Millionen Euro zur Förderung von Unternehmen und der kommunalen wirtschaftsnahen Infrastruktur. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will das Förderprogramm im neuen Haushalt nun um 300 Millionen Euro auf fast die Hälfte kürzen. Kaum bekannt, regte sich prompt Widerstand, auch aus Reihen der Regierung. "Wir haben eine Phase von wirtschaftlicher Schwäche", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag bei einem Treffen der Wirtschaftsminister der Länder. Die GRW-Mittel gingen zielgerichtet in strukturschwache Regionen. "Dies in dieser Situation zu rasieren, halte ich für falsch und die Wirtschaftsministerkonferenz auch", so Habeck. Sein Parlamentarischer Staatssekretär, Michael Kellner (Grüne), hatte bereits bei Bekanntwerden von Lindners Plänen vor zwei Wochen gesagt, dass eine deutliche Kürzung des Förderprogramms "ein Angriff gegen den ländlichen Raum und strukturschwache Regionen" wäre.
„Wenn wir die Mittel kürzen, wird es zu einer Verschärfung der Probleme kommen.“
Der nächste Koalitionsstreit scheint vorprogrammiert. Das zeigte sich am vergangenen Donnerstag im Plenum: Die CDU/CSU-Fraktion hatte das Thema mit einer Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung gesetzt. Unter dem Titel "Strukturförderung ist Gemeinschaftsaufgabe - Ampel-Kürzungspläne stoppen" debattierten die Abgeordneten über die GRW-Mittel.
In der Debatte zeigte sich: Auch die Abgeordneten der SPD- und Grünenfraktion kritisierten, dass bei dem Förderprogramm gespart werden soll: "Wir brauchen staatliche Investitionen in strukturschwache Regionen", sagte Hannes Walter (SPD). Die Mittel sorgten erfolgreich dafür, dass sich etwas entwickle; diese Entwicklung komme nicht nur in der Wirtschaft an, sondern auch in der Region, so Walter. In den Haushaltsverhandlungen müsse deshalb dafür gesorgt werden, dass auch in Zukunft genügend Mittel für das GRW-Programm zur Verfügung stehen.
Opposition spricht von einem "Schlag ins Gesicht"
Angesichts gegenwärtiger Krisen werde die Herausforderung, gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Bürgerinnen und Bürger herzustellen, weiter wachsen, sagte die Chantal Kopf (Bündnis 90/Die Grünen). Um diese zu meistern, sei man auf ein "stabiles finanzielles Fundament" angewiesen. "Die Berichte über die geplanten Kürzungen sind alarmierend", sagte sie im Plenum. Ähnlich klangen die Redner von CDU und CSU: Die vom Bund geplanten Mittelkürzungen seien "ein Schlag ins Gesicht" insbesondere der Länder in Ostdeutschland, sagte der sächsische Staatsminister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt (CDU). Das Ziel, in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, sei über Parteigrenzen hinweg unstrittig. "Wenn wir die Mittel kürzen, wird es zu einer Verschärfung der Probleme kommen", so Schmidt: Bestehende Ungleichheiten würden größer, die Spaltung nehme zu.
Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW)
🤝 Hilfe vom Bund: Für Regionalpolitik sind in der Regel Länder und Kommunen zuständig, über das GRW-Programm kommt auch vom Bund Geld für die Strukturförderung.
👥 Mehr Beschäftigung: Es sollen Standortnachteile ausgeglichen, Investitionen angeregt und Arbeitsplätze geschaffen werden.
💰 Kommunale Politik: Hierfür werden Zuschüsse zu Investitionskosten von Unternehmen und zu kommunalen Infrastrukturprojekten zur Verfügung gestellt.
Sein Parteifreund Hendrik Hoppenstedt sagte in Richtung der Regierungsfraktionen: "Stoppen Sie diese unsäglichen Kürzungen." Das Geheimrezept laute Wirtschaftswachstum, dieses dürfe man nicht ausbremsen: Von einem "Angriff auf Ostdeutschland und alle abgehängten Dörfer und Städte" sprach auch die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch. Laut Koalitionsvertrag sollten die Mittel eigentlich erhöht werden, stattdessen seien jetzt Kürzungen vorgesehen: "Sie brechen ein Wahlversprechen nach dem anderen", sagte Lötzsch in Richtung der Regierungsfraktionen. Bundesfinanzminister Christian Lindner wolle unbedingt die Schuldenbremse einhalten. "Damit verschärfen Sie die wirtschaftliche Lage unseres Landes", so die Linke.
Augenmerk auf Ausgabendisziplin bei Vorgängerregierungen unzureichend
Es fließe zu viel Geld in "ideologische Projekte", fand indes der AfD-Abgeordnete Leif-Erik Holm und nannte den Haushaltstitel "Förderung der Biodiversität im Ausland" als Beispiel. Diese müssten gestrichen werden, um das Geld an der richtigen Stelle einzusparen "und zwar dort, wo das Geld des Steuerzahlers verbrannt wird." Die Debatte zeige zudem erneut, dass "die Ampel auch bei der Haushaltsplanung nicht mit sich klarkommt.
Gero Clemens Hocker (FDP) verteidigte die geplanten Kürzungen: Die Vorgängerregierungen hätten ein unzureichendes Augenmerk auf die Ausgabendisziplin gelegt: "Wir haben ein Land vorgefunden, das in vielen Bereichen nicht zukunftsfähig ist." Deutschland habe es mit multiplen Krisen zu tun, deshalb müsse man sich wappnen. Wachstum entstehe nicht durch Umverteilung und Subventionen. Das Land brauche Haushaltskonsolidierungen auf der einen und private Investitionen auf der anderen Seite und "ganz bestimmt keine neuen Schulden", sagte Hocker.