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Kurz rezensiert : Angelesen

31.08.2009
2023-08-30T11:24:05.7200Z
3 Min

Norman Davies weiß, dass es nicht an Darstellungen über den Zweiten Weltkrieg mangelt. Und doch hat der britische Historiker nun seine Sicht auf "Die Große Katastrophe" zu Papier gebracht. Offen spricht er über Kriegsverbrechen auf allen Seiten, betont, dass die Sowjetunion die Hauptlast des Kriegs trug und diesen gewann und selbst ein Terrorsystem in Osteuropa aufbaute.

Interessant ist sein kritischer Blick auf die unterschiedliche Rezeptionsgeschichte, etwa in der Frage, wann der Weltkrieg ausbrach. Hier begeht Davies den gleichen Fehler, den er Amerikanern und Russen vorhält, die meist das Jahr 1941 nennen. Sein Werk beschränkt sich auf den Krieg in Europa. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lässt sich nicht nur mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 datieren. Ebenso ließe sich sich der Angriff Japans auf China 1937 und die japanische Expansion im asiatisch-pazifischen Raum nennen, die zur Konfrontation und zum Krieg mit den USA führten, nennen. Abgesehen davon hat Davies ein pointiertes, gut strukturiertes und lesenswertes Buch vorgelegt.

Norman Davies:

Die große Katastrophe. Europa im Krieg 1939-1945.

Droemer Verlag, München 2009; 847 S., 36 €

2,35 bis drei Millionen polnische Juden und etwa 1,4 Millionen ethnische Polen - jeder siebte Bürger Polens - fielen dem deutschen Angriff und der mehr als fünf Jahre dauernden Besatzung zum Opfer. Jochen Böhler, der am Deutschen Historischen Institut in Warschau arbeitet, hat sich vorgenommen, den 22 deutschen und polnischen "Mythen" nachzugehen, die sich um den deutschen Angriff auf Polen ranken, in Gesellschaft und Literatur gepflegt und von der Politik noch instrumentalisiert werden.

Obwohl schon andere Wissenschaftler die Legenden enttarnten, bleibt es das Verdienst des deutschen Historikers, sie im Zusammenhang dargestellt und auf ihren Realitätsgehalt überprüft zu haben: So gab es weder einen "Freischärlerkrieg" der Polen gegen die einmarschierende deutsche Wehrmacht noch eine heldenhafte Attacke der polnischen Kavallerie gegen die deutschen Panzer. Zu den historischen Fakten gehört indes das Massaker an der Zivilbevölkerung von Tschenstochau, verübt von der Wehrmacht, und die von der stalinistischen NKWD begangene Massenhinrichtung polnischer Offiziere in Katyn.

Die vielen informativen Tagebuchnotizen der Zeitzeugen machen das spannende Buch noch lesenswerter.

Jochen Böhler:

Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2009; 272 S., 19,95 €

Dieser Titel provoziert. Bereits mit ihren Büchern "Nicht ungeschoren davonkommen" und "Wehrmachtskinder" hat sich Ebba D. Drolshagen an ein - vor allem in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern - tabuisiertes Thema gewagt: die Liebesbeziehungen zwischen deutschen Soldaten und einheimischen Frauen. In ihrem neuen Buch "Der freundliche Feind" be- schreibt sie den Alltag deutscher Soldaten und der Zivilbevölkerung in Norwegen und Frankreich zwischen 1940 und 1945. Sie schreibt abseits aller Klischees über Freundschaften und Liebe, über Kollaboration und überlebenswichtige Anpassung, kurz: über Menschen, die von Staats wegen Feinde sein sollten. Und stets trennt sie zwischen "uniformierten Herrenmenschen" und dem "Schützen Arsch", zwischen echten und selbsternannten Widerstandskämpfern.

Irreführend ist jedoch der Untertitel. Denn Drolshagen schreibt mitnichten über "Wehr- machtssoldaten im besetzten Europa". In Osteuropa sahen die Besatzungsrealtitäten anders aus. Darauf weist die Autorin auch ausdrücklich hin - ebenso wie auf die grausame Übereinstimmung: Juden und andere "rassisch minderwertigen" Menschen wurden überall verfolgt und vernichtet.

Ebba Drolshagen:

Der freundliche Feind. Wehrmachts- soldaten im besetzten Europa.

Droemer Verlag, München 2009; 348 S., 20,60 €