Entwicklung : Vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel
Minister Gerd Müller (CSU) will mehr Fairness im Welthandel und in den Lieferketten. Die Opposition pocht in dessen zweiter Amtszeit auf Taten statt Worte
Mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, verbindliche Standards bei internationalen Lieferketten und fairer statt freier Handel - das sind laut Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Kernziele der deutschen Entwicklungspolitik bis 2022. In seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag entwarf er ein düsteres Szenario: Entscheide die Weltgemeinschaft sich für Konsum und eine Wirtschaft ohne Grenzen, führe das die Menschheit "an den Rand der Apokalypse". Der Schluss des CSU-Politikers, der als einziger Minister neben Ursula von der Leyen (CDU) sein Ressort auch in der 19. Wahlperiode behalten darf: "Wir brauchen in diesem globalen Dorf in allen Politikfeldern einen Paradigmenwechsel in unserem Denken und Handeln."
Enttäuschtung bei Opposition Mit derart ambitionierten Ankündigungen hatte Müller bereits vor vier Jahren seine erste Amtszeit als Entwicklungsminister eingeläutet - und die angesichts dessen geradezu enthusiastische Opposition dann ziemlich enttäuscht. Die Umsetzung, etwa des Bündnisses für nachhaltige Textilien, sei "überschaubar" gewesen, urteilte Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen). Er warf Müller zudem vor, daran mitgewirkt zu haben, "dass immer mehr Gelder des Entwicklungshilfeetats für Grenzmanagement und andere Fluchtabwehrmaßnahmen missbraucht werden". Statt die Armutsbekämpfung voranzutreiben, habe die Regierung "Deals mit Diktatoren, wie im Sudan, in Tschad, in Eritrea, geschlossen", konstatierte der Grünen-Abgeordnete.
Doch gleich, wie das Urteil über Müllers Arbeit im Rückblick ausfällt, für die Zukunft hat sich der CSU-Minister erneut viel vorgenommen. So will er sich für faire Lieferketten "vom Baumwollfeld bis zum Bügel" einsetzen, denn: "Die Entwicklung unseres Wohlstandes in der Zukunft darf nicht auf dem Rücken von Sklavenarbeitern in den Minen Afrikas aufgebaut werden." Er verwies auf Rohstoffe in Mobiltelefonen und Elektroautos, die häufig aus afrikanischen Minen stammen.
Außerdem will Müller mehr Mittel für den Entwicklungsetat akquirieren - gern auch durch eine Finanztransaktionssteuer auf börsliche und außerbörsliche Transaktionen. Würde sie eingeführt, rechnete er vor, könnte die EU in einem Jahr 50 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen für den europäischen Haushalt einnehmen und in Entwicklung investieren.
Eine Konstante soll bleiben: Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit soll weiterhin der afrikanische Kontinent sein. Einen Fahrplan hierfür hat das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bereits im vergangenen Jahr mit dem "Marshallplan mit Afrika" vorgelegt. Darüber hinaus kündigte Müller ein neues Programm seines Hauses an, das aber nicht nur bei den Grünen, sondern auch beim Koalitionspartner auf Ablehnung stieß. "Perspektive Heimat" soll Migranten und Flüchtlingen bei der freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland unterstützen - nach Ansicht von Gabi Weber (SPD) und Uwe Kekeritz ein Programm, das nicht in den Aufgabenbereich des BMZ gehört. "Das ist ein Pflaster für die deutsche Innenpolitik", kritisierte Weber. Entwicklungspolitik habe die Aufgabe, Fluchtursachen erst gar nicht entstehen zu lassen. Kekeritz urteilte, Rückführung könne kein entwicklungspolitischer Schwerpunkt sein. "Wer das versucht, ist zynisch."
Weber bemängelte zudem, dass CDU und CSU nicht bereit gewesen seien, im Koalitionsvertrag eine einheitliche Afrika-Strategie der Bundesregierung zu verankern. Sie bedauerte, dass die Afrika-Initiativen der einzelnen Ministerien bisher nicht abgestimmt seien.
"Der Marshallplan ist eher Symbolpolitik, zumal er parallel zu anderen Einzelinitiativen der Bundesregierung läuft", befand auch Christoph Hoffmann (FDP). Er warb mit Blick auf die Entwicklung Afrikas für "einen starken multilateralen Ansatz, um die Herausforderungen stemmen zu können". Positiv hob der Liberale hervor, dass der Entwicklungsetat steigen soll. Letztlich könne aber "nur die Mobilisierung von privatem Kapital in Form von Investitionen die immens großen Probleme der Entwicklungsländer lösen", zeigte er sich überzeugt. Deutschland müsse "vom Geberland zum Investorenland" werden.
Nach Ansicht von Dietmar Friedhoff (AfD) verhindert die Bundesregierung die Entwicklung in Afrika selbst - durch ihre Handelspolitik. Die afrikanischen Staaten verlören durch Handelsbarrieren nach Europa mehr Geld, als durch Entwicklungshilfe zurückfließe. So würde neue Migration verursacht. Friedhoff forderte einen "ehrlichen und fairen Handel statt Almosen" und die Abschaffung von Handelsbarrieren.
»Scheinheilige Politik« Für einen gerechten Welthandel und einen Stopp "neoliberaler Handelsabkommen" sprach sich auch Helin Evrim Sommer (Die Linke) aus. Sie kritisierte darüber hinaus die von der Bundesregierung geplante Koppelung von Entwicklungs- und Verteidigungsausgaben; beide sollen künftig in gleichem Maße steigen. "Die Bundesregierung finanziert Kriege und will dann den Opfern scheinheilig helfen, um das eigene Gewissen gewissermaßen zu erleichtern, und dann liefert Deutschland munter weiter Waffen an Konfliktparteien", urteilte Sommer. Mit einer friedlichen Außenpolitik habe das nichts zu tun.