parlamentsarmee : Im Auftrag der Deutschen
Das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und »ihrer« Armee gestaltet sich nach wie vor schwierig
2005 sagte Bundespräsident Horst Köhler den viel zitierten Satz: "Die Deutschen vertrauen der Bundeswehr, mit Recht, aber ein wirkliches Interesse an ihr oder gar Stolz auf sie sind eher selten". An dieser Zustandsbeschreibung hat sich bis heute nicht viel verändert. Denn der Wunsch und das Bemühen der Gesellschaft, den außen- und sicherheitspolitischen Wandel zu verstehen, seien nach wie vor gering, sagt der Militärforscher Wilfried von Bredow.
Vor Aussetzung der Wehrpflicht galt die Bundeswehr als stärker in der Gesellschaft verankerte Armee. Berührungspunkte gab es über Freunde, Vereine und Familie und auch auf der Straße traf man noch häufiger auf die olivgrünen Uniformen. "Aber auch schon vor Aussetzung der Wehrpflicht gab es keine kontinuierliche kritische Begleitung durch die Öffentlichkeit", betont von Bredow, "stattdessen kamen sporadisch heftige Auseinandersetzungen und Skandalberichte vor und auch in der Wissenschaft galt die Bundeswehr lange als nicht so wichtiges Thema." Das hat sich inzwischen geändert, doch die unmittelbaren Begegnungen im Lebensumfeld hätten abgenommen. Die Wahrnehmung der Bundeswehr über Medien und Negativ-Schlagzeilen zu Ausrüstungsmängeln, rechtsextremen Vorkommnissen und Übergriffen ist somit gestiegen.
Ansehen der Truppe Trotzdem misst die deutsche Bevölkerung ihrer Armee keine negative Bedeutung bei. Florens Mayer vom Meinungsforschungsinstituts dimap spricht eher von einem geteilten Echo: "Rund jeder Zweite spricht der Bundeswehr sein Vertrauen aus. Das ist keine Spitzenposition unter den rechtstaatlichen Institutionen, aber die EU-Institutionen schneiden beispielsweise noch schlechter ab." In den vergangenen 20 Jahren ging das Vertrauen der Deutschen in die Streitkräfte leicht zurück: "Ende der 1990er Jahre sprachen noch sechs von zehn Befragten der Bundeswehr ihr Vertrauen aus, heute sind es nur noch fünf", sagt Mayer. Die Trennungslinie verlaufe dabei entlang des Parteienspektrums: So schenken Anhänger von CDU und CSU der Bundeswehr großes Vertrauen, Anhänger der Linken dagegen kaum.
"Die Einstellung der Deutschen zum Militär wird als Kultur der Zurückhaltung beschrieben", sagt Mayer. Während der Einsatz von Sanitätern und von Transportflugzeugen noch gutgeheißen werde, gehe der Rückhalt in der Bevölkerung bei Kampfeinsätzen deutscher Soldaten rapide zurück, sagt der Meinungsforscher. Das belegten sowohl die Zahlen aus dem Kosovo- als auch dem Afghanistan-Einsatz. Militärforscher von Bredow ordnet dies als problematische Tendenz ein: "Wenn die Haltung der Öffentlichkeit salopp gesagt darauf hinausläuft, dass die Bundeswehr prima ist, solange sie nicht tut, wofür sie auch da ist, dann ist da etwas schief."
Die Gründe für die gesellschaftliche Zurückhaltung liegen in der Geschichte: "Nach dem Krieg negativierte das Reeducation-Programm der Alliierten den Militarismus und bewirkte gemeinsam mit dem Trauma der Niederlage Einstellungsänderungen", erklärt die Marburger Ethnologin Marion Näser-Lather. So sei die Bevölkerung durch die 1968er-Revolution, den Ost-West-Konflikt und die Friedensbewegung polarisiert gewesen. Und dies setzte sich fort, so von Bredow: "Auch die öffentlichen Debatten nach 1990 waren lang gekennzeichnet von einer Stimmung eines 'Eigentlich-besser-doch-nicht'."
Der von Köhler geprägte Begriff des "wohlwollenden Desinteresses" der Bevölkerung gehe einher mit der verringerten Sichtbarkeit der Bundeswehr in der Fläche und damit im Alltag: "Das Desinteresse geht so weit, dass man gar nicht genau weiß, was eine Parlamentsarmee ist", kritisiert von Bredow das Defizit an politischer Bildung. Aber auch die politischen Entscheidungsträger selbst verfügten über immer weniger eigene Erfahrungen mit der Bundeswehr.
Für Ethnologin Näser-Lather, die die Bundeswehr mittels teilnehmender Beobachtung und als Reserveoffizierin von innen kennenlernte, ist diese nicht in dem Maße in der Gesellschaft verankert, wie es in anderen Ländern der Fall ist. "Einige Soldaten berichten nicht nur vom freundlichen Desinteresse, sondern auch von Ablehnung und Anfeindungen, etwa wenn sie Uniformen tragen", erzählt sie. Das Ansehen der Bundeswehr sei aber auch regional unterschiedlich: So würden Soldaten in eher von traditionellen Einstellungen geprägten Landesteilen und in ländlichen Gegenden mehr Anerkennung erfahren. Die patriotische Verehrung von Veteranen wie in den USA sei in Deutschland aber weder realistisch noch wünschenswert, so Näser-Lather. "Trotzdem sollte der Ruf nach Anerkennung der Soldaten nicht ungehört verhallen. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen müssen wahr- und ernstgenommen werden." Nur so könne das Gefühl der Eingebundenheit in die Gesellschaft zurückkehren - auf beiden Seiten. Lisa Brüßler