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Gastkommentare : Pro und Contra: Neuer Aufbruch nach dem Brexit?

Die EU braucht keinen Aufbruch in Glanz und Gloria findet Gastkommentator Hendrik Kafsack. Silke Wettach sagt: ein entschlossener Aufbruch nach dem Brexit ist nötig.

22.10.2018
2024-02-06T13:39:48.3600Z
3 Min

Pro

Besser als der Ruf

Foto: F.A.Z.
Hendrik Kafsack
ist Korrespondent bei der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Foto: F.A.Z.

Den Untergang der EU herbeizuschreiben, hat Hochkonjunktur. Es stimmt ja auch: Die Zeichen stehen schlecht.

Euro- und Flüchtlingskrise haben die EU in Nord und Süd, West und Ost gespalten. Das Brexit-Votum sie erschüttert. Viele der neuen und einige alte EU-Staaten haben Regierungen, die mit zentralen Werten der EU wenig anfangen können. Zugleich wird die Gemeinschaft außenpolitisch herausgefordert. Der amerikanische Präsident Donald Trump stellt das multilaterale System in Frage und droht mit Schutzzöllen, der russische Präsident Wladimir Putin führt einen Cyberkrieg gegen den Westen und China versucht, mit allen Mitteln eine neue Vormachtstellung zu erringen. Und die EU? Ist mit sich selbst beschäftigt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat eine mitreißende Europa-Rede gehalten und keine Antwort bekommen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Diskussionspapiere zur Zukunft der EU vorgelegt und findet außerhalb Brüssels niemanden, der mit ihm diskutiert. Dennoch ist die EU besser als ihr Ruf. Sie hat die - tiefe - Eurokrise überlebt. Sie hat eine klare Antwort auf Trump gegeben. In der schwierigen Migrationspolitik gibt es Fortschritte. Es kommen kaum noch Migranten, was hierzulande oft übersehen wird. In den Brexit-Verhandlungen spricht die EU geschlossen mit einer Stimme - und ist diese Episode erst überstanden, kann und wird sie sich auch den anderen Themen mit neuem Elan annehmen. Das wird kein Aufbruch in Glanz und Gloria. Den braucht die EU aber gar nicht. Die Skeptiker in West und Ost überzeugen nicht Reden und Papiere, sondern Taten, und die liefert die EU - langsam oft. Aber das ist allemal besser als die Schnellfeuerpolitik von Trump.

Contra

Er kommt nicht

Foto: Hoffotografen
Silke Wettach
ist Korrespondentin bei der "Wirtschaftswoche".
Foto: Hoffotografen

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die EU hätte einen entschlossenen Aufbruch nach dem Brexit dringend nötig. Allein - er wird nicht kommen.

In Brüssel mühen sie sich, der Union im kommenden Jahr nach dem Ausscheiden der Briten neuen Elan zu verleihen. Im Mai soll von einem Gipfel im rumänischen Sibiu das Signal eines Neustarts ausgehen. Solche Inszenierungen können aber nicht überdecken, dass die EU nach dem Brexit genauso gespalten sein wird wie zuvor. In zentralen Fragen wie der Migration zeichnet sich kein Kompromiss ab zwischen Ländern wie Deutschland, die Solidarität einfordern, und Ländern wie Ungarn und Polen, die partout keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Auch in einem so wichtigen Bereich wie der Währungsunion sind keine nennenswerten Impulse zu erwarten. Länder, die auf Haushaltsdisziplin pochen, werden weiter Ländern gegenüberstehen, die Regeltreue als Spardiktat interpretieren. Ein konsensfähiges Thema, für das sich die künftig 27 Mitgliedsstaaten gleichermaßen einsetzen könnten - es existiert schlicht nicht.

Druck von außen könnte noch am ehesten eine einigende Wirkung auf die EU entfalten. US-Präsident Donald Trump hat den Europäern seit seinem Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie ein Interesse haben zusammenzustehen. Sollte der Handelsstreit mit den USA kommendes Jahr wieder aufleben, werden indes die Differenzen zwischen den EU-Staaten schnell aufleben. Streit ist absehbar.

Nach dem Brexit wird sich die EU in dem üben, was sie vor dem Brexit auch schon am besten konnte: durchwursteln. Das ist in schwierigen Zeiten mit 27 Mitgliedsstaaten keine kleine Leistung. Aber mehr kann und sollte niemand erwarten.