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EU-Krisenmanagement : Was kostet Europa?

Fraktionen uneins über Details des Brüsseler Wiederaufbauplans

02.06.2020
2023-09-21T09:09:14.7200Z
4 Min

Der Name verheißt Aufbruch und Zukunft: "Next Generation EU" hat die EU-Kommission ihren vergangene Woche vorgestellten Wiederaufbauplan genannt; 750 Milliarden Euro schwer und eingebettet in den EU-Haushalt, soll er der strauchelnden Wirtschaft nach der Corona-Pandemie mit einem Mix aus Zuwendungen und Krediten wieder auf die Beine helfen (siehe Seite 3). Doch zunächst muss das Konjunkturprogramm, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vergangene Woche im Europäischen Parlament präsentierte, selbst die Mühen der Ebene überwinden. Damit es wie geplant am 1. Januar 2021 einsatzbereit ist, müssen sich die EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Monaten auf die Hauptmerkmale des Plans einigen. Diese hatten zuvor eigene Vorschläge vorgelegt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzten auf einen 500 Milliarden-Fonds auf Grundlage von Zuschüssen. Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden erwiderten, die Mitgliedstaaten sollten nur Kredite bekommen, die sie später zurückzahlen müssen.

Wie kompliziert eine Einigung werden könnte, zeigte sich vergangenen Donnerstag auch im Bundestag. In einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der FDP-Fraktion waren vor allem zwei Details des Vorhabens umstritten: zum einen der Plan, dass die EU Schulden aufnehmen soll. Zum anderen die Weitergabe an notleidende EU-Staaten nicht nur unter konditionierten Krediten, sondern überwiegend als nicht zurückzuzahlende Zuschüsse.

»Neue Haushaltsrisiken « Alexander Graf Lambsdorff (FDP) machte deutlich, dass er viele Hilfen bei der Europäischen Investitionsbank für besser aufgehoben halte. Zwar sei zu begrüßen, dass man einander helfen wolle, etwa durch Unterstützung der Nachbarn mit schwächeren Gesundheitssystemen; auch die Stärkung des EU-Investprogramms zur Mobilisierung privater Investitionen sei richtig. Allerdings enthalte der Plan auch "ein Instrument nach dem Gießkannenprinzip". Das Paket schaffe überdies nicht nur neue Haushaltsrisiken für den Bundeshaushalt, es würde auch eine wesentliche Neuordnung der Finanzverfassung der EU darstellen, die man nicht en passant beschließen könne und solle.

Andreas Jung (CDU) warb für den Wiederaufbaufonds als gemeinsame europäische Antwort auf die Pandemie. Man brauche europäische Solidarität in dieser Krise, "weil es uns nicht kalt lassen kann, wenn unsere Partner und Freunde unverschuldet hart getroffen werden". Deutschland habe zudem ein ureigenes Interesse an der Prosperität seiner Nachbarn. Jung betonte, dass mit dem Fonds keine alten Schulden umverteilt und keine Budgethilfen aufgelegt würden. Es handle sich um befristete Programme mit Obergrenzen, Deutschland hafte auch nicht gesamtschuldnerisch, sondern entsprechend seiner Wirtschaftsleistung wie jedes andere Mitgliedsland auch. "Das ist kein Weg in die Schuldenunion."

Peter Boehringer (AfD) warf hingegen die Frage auf, ob man bei diesem Vorhaben noch von "Euro-Bonds durch die Hintertür" oder nicht doch besser von der "Vordertür" sprechen solle. Der Kommissions-Vorschlag stelle das nationale Budgetrecht zur Disposition. "Der EU ist eine Kreditfinanzierung ihrer Ausgaben verboten. Punkt", sagte Boehringer und berief sich auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Boehringer stellte auch infrage, dass Deutschland im Falle des Falles nur teilschuldnerisch haften werde. "Macron will mächtiger werden. Dazu braucht er die EU und einen Zahlmeister Deutschland."

Markus Töns (SPD) sprach von der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Der Einbruch dürfte dreißig Mal höher ausfallen als bei der Finanzkrise 2008 und 2009. "Wir müssen reagieren." Töns verteidigte den Plan gemeinsamer Anleihen. "Weil wir Teil eines gemeinsamen Wirtschaftsraums sind und 60 Prozent der Exporte aus Deutschland in die EU gehen", sei es entgegen aller Mythen im ureigenen Interesse des deutschen Staates, dass es auch den EU-Nachbarn wirtschaftlich gut geht.

Auch Fabio De Masi (Die Linke) begrüßte im Grundsatz die EU-Pläne. Es müsse aber mehr Steuergerechtigkeit in Europa geben, "Multis" wie Amazon sollten angemessene Steuern zahlen. "Multimillionäre und Multimilliardäre" sollten an den Krisenfolgekosten beteiligt und europäische Steueroasen-Modelle wie in den Niederlanden beendet werden. De Masi warb zudem dafür, das Mandat der Europäischen Zentralbank zu ändern, "damit sie auch Staaten und nicht nur die Banken finanzieren kann".

Franziska Brantner (Grüne) forderte, den Klimaschutz zum "Herzstück" des Wiederaufbaufonds zu machen und die Mittelvergabe an Kriterien wie Rechtstaatlichkeit und Demokratie zu koppeln. Mit Blick auf die Rückzahlung der Fonds-Schulden forderte sie die Bundesregierung auf, der EU neue Einnahmequellen zu ermöglichen. Bei Vorschlägen für eine Digitalsteuer, den Emissionshandel, eine CO2-Grenzabgabe und eine Plastikabgabe müsse die Regierung endlich von der Bremse gehen.

Für die Entscheider in den Mitgliedstaaten stehen die vielleicht schwierigsten Verhandlungen in der EU-Geschichte an. Nicht nur die deutsche Kommissionspräsidentin kann nach ihrem eher holprigen Start Erfolge gut gebrauchen. Auch Binnenmarkt und Euro drängen nach dem Corona-bedingten Wirtschaftsschock auf Erholung.