bevölkerungsschutz : Ungemütlicher Winter
Präzisierung der Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten
Virologen erwarten einen harten Winter. Nicht dass sie plötzlich den Meteorologen die Schau stehlen wollten, gemeint ist vielmehr die erwartete Zunahme von Corona-Neuinfektionen in der kalten Jahreszeit, weil das Virus sich dann leichter verbreitet. Die exponentiell steigenden Zahlen weltweit geben einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag. Derweil läuft die Impfstoffentwicklung international auf Hochtouren und lässt ein wenig Licht durch am Ende eines langen Tunnels. Aktuell befinden sich nach Angaben der Bundesregierung weltweit acht Impfstoffkandidaten gegen Sars-Cov-2 in klinischen Prüfungen der letzten Phase drei. Deutschland bereitet sich darauf vor, Millionen von Impfdosen schnell und systematisch zur Verfügung zu stellen.
Präzisierungen Mit dem dritten Anti-Corona-Paket, das am Freitag erstmals beraten wurde (19/23944), soll ein Rahmen gesetzt werden für künftige Impfprogramme. So sollen nicht nur Versicherte einen Anspruch auf Schutzimpfungen und Testungen haben können, sondern auch Nichtversicherte. Zugleich beinhaltet die Vorlage der Regierungsfraktionen von Union und SPD eine gesetzliche Präzisierung hinsichtlich der Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten.
Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts angesichts der länger andauernden Pandemielage zu entsprechen, sei eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen angezeigt, heißt es im Gesetzentwurf. Und weiter: Mit der Benennung nicht abschließender Regelbeispiele etwaiger Schutzmaßnahmen gebe der Gesetzgeber in Ausübung seiner Beobachtungs- und Korrekturpflicht Reichweite und Grenzen exekutiven Handelns vor. Nun werden in der Vorlage diverse Einschränkungen explizit genannt, das soll die Entscheidungen gerichtsfest machen.
Hilfen für Eltern Das Paket sieht auch Hilfe für berufstätige Eltern vor, wenn die Betreuung der Kinder nach einer behördlichen Schließung von Einrichtungen nicht mehr möglich ist. Die im März 2020 geschaffene Entschädigungsregelung soll bis Ende März 2021 verlängert werden. Bei einem unter Quarantäne gestellten Kind soll auch eine Entschädigung möglich sein. Eine Entschädigung wegen Verdienstausfalls wird hingegen ausgeschlossen, wenn Personen eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet unternommen haben.
Über die von Bund und Ländern jüngst beschlossenen Auflagen in der Coronakrise wird weiter heftig gestritten, so auch in der Aussprache über den Gesetzentwurf. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, es werde alles getan, um die Bürger zu schützen. Dazu sei eine bittere Medizin in Form von Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten nötig. Die Kontaktbeschränkungen im Frühjahr hätten gewirkt, nun gehe es darum, die zweite Welle zu brechen. Spahn betonte, die Lage sei ernst. Noch könne das Gesundheitssystem mit der Situation umgehen, auf Dauer sei aber die Dynamik zu stark. Er warnte: "Wenn die Intensivstationen einmal überfüllt sind, dann ist es zu spät."
Spahn räumte ein, dass die Gesellschaft durch die Einschränkungen in der Coronakrise im Kern getroffen sei. Die Pandemie sei eine Mammutaufgabe und der Höhepunkt vermutlich noch nicht erreicht. Zugleich gebe es einen großen Zusammenhalt, Flexibilität, Kreativität und Besonnenheit. Spahn versicherte: "Wir werden die kommenden Herausforderungen gemeinsam bestehen."
Skepsis Bärbel Bas (SPD) sagte, die hohe Zahl der Neuinfektionen zeige den dringenden Handlungsbedarf auf. Es müsse jetzt etwas unternommen werden, um die Infektionen wieder nachverfolgen zu können. Sie räumte ein, über einzelne Beschränkungen könne man streiten, wichtig sei aber ein einheitliches Vorgehen und die Reduzierung der Kontakte. Zugleich müssten die Eingriffe in Freiheitsrechte besser erklärt und rechtssicher gemacht werden.
Christian Lindner (FDP) sprach von empfindlichen Einschränkungen der Freiheit. Die Notwendigkeit einzelner Maßnahmen werde mit Skepsis gesehen. Zudem sei unklar, wie es langfristig weitergehen solle. Womöglich drohe ein Jojo-Effekt. Die Rechtsgrundlagen nannte Lindner "wackelig". Es gebe keinen Grund, immer noch im Notfallmodus an der Verordnungspraxis festzuhalten. Den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf wertete Lindner als unzureichend. "Sie legen ein rechtspolitisches Feigenblatt vor, um Entscheidungen nachträglich zu legitimieren. Das geht hart an die Grenze der Missachtung des Parlaments."
Die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite müsse befristet werden, damit der Bundestag die Lage regelmäßig neu bewerten könne. Nötig seien außerdem parlamentarische Erlassvorbehalte und eine Unterrichtungspflicht der Bundesregierung.
Wohnung Auch die AfD-Fraktion zweifelt am Sinn und Nutzen der verfügten Einschränkungen. Detlev Spangenberg (AfD) sagte, zum Wesen einer Demokratie gehöre, Bürger bei Entscheidungen mitzunehmen. Er kritisierte die aus seiner Sicht beispiellosen Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Nicht einmal die Geborgenheit in der eigenen Wohnung sei künftig noch gesichert. Folgen der Beschränkungen seien eine psychische Belastung der Bevölkerung, Vereinsamung und berufliche Sorgen.
Es wäre besser, die besonders Gefährdeten zu schützen. Das Land dürfe nicht in den Ruin getrieben werden. Die Gesundheitsgefahr durch Corona sei auch nicht größer als die durch andere Viruserkrankungen.
Susanne Ferschl (Linke) rügte, es werde in Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen ohne erkennbare Strategie. Damit schwinde die Akzeptanz in der Bevölkerung. Derart weitreichende Einschränkungen müssten im Parlament beraten und beschlossen werden. "Die Krise ist nicht die Stunde der Exekutive, sie ist die Stunde der Parlamente." Zudem seien schon vor der Coronakrise wichtige Weichenstellungen verpasst worden, monierte Ferschl und nannte als Beispiele den Pflegenotstand, den Lehrermangel, den unzureichenden Öffentlichen Personennahverkehr und die mangelhafte Belüftung von Klassenzimmern. Die Menschen hätten die Pflicht, Abstand zu halten, aber keine Möglichkeit dazu in engen Bussen oder Klassenzimmern.
Chancen verpasst Die Grünen tragen die Beschränkungen im Grundsatz mit, fordern aber mehr Transparenz und rechtliche Klarheit. Manuela Rottmann (Grüne) sagte, es komme auf schnelle Reaktionen an. Die drastische Reduktion der Kontakte werde nicht in Zweifel gezogen, allerdings seien die Verordnungsermächtigungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht ausreichend, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Es seien viele Chancen verpasst worden, eine solide gesetzliche Grundlage zu schaffen, beklagte Rottmann. Es reiche nicht aus, mögliche Einschränkungen im Gesetz nur zu erwähnen, die Grenzen und Voraussetzungen müssten auch definiert werden. Es werde eine für die Gerichte nachvollziehbare gesetzliche Verknüpfung zwischen Infektionsgeschehen und Rechtsfolgen benötigt. Die Regeln müssten hinreichend bestimmt, gerichtsfest und flexibel sein.