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Parlamentarismus : Ordnungsruf für "Frau Präsident" statt "Frau Präsidentin"

Seit den 1980 Jahren ist eine geschlechtergerechtere Sprache im Bundestag auf dem Vormarsch. Lediglich die AfD lehnt dies kategorisch ab.

30.08.2021
2024-01-30T13:00:25.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Angespannte Stimmung: Claudia Roth (Mitte) erteilt als sitzungsleitende Präsidentin Jürgen Braun (vorne) einen Ordnungsruf für die "falsche" Anrede.

"Frau Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren..." Weiter kommt Jürgen Braun (AfD) am 25. März dieses Jahres zum Auftakt seiner Rede im Plenum des Bundestages nicht, da unterbricht ihn Claudia Roth (Grüne), die die Sitzung als Präsidentin leitet, zum ersten Mal: "Frau Präsidentin! Auch für Sie gilt das!", ermahnt sie Braun. Doch statt sich zu korrigieren oder gar zu entschuldigen, verweist der AfD-Mann auf den Gebrauch des generischen Maskulinum, dies sei die "deutsche, richtige Anrede". Roth unterbricht Braun erneut und erteilt ihm einen Ordnungsruf mit der Begründung, dass es einen Beschluss gebe, nach dem die Präsidentinnen auch als Präsidentinnen anzusprechen sind.

Anrede "Frau Präsidentin" ebenso korrektes Deutsch wie "Frau Präsident"

Man könnte das Verhalten des Parlamentariers schlicht als Unhöflichkeit abtun. Oder ihm einen Blick in eine deutsche Grammatik empfehlen: Denn selbstredend ist die Anrede "Frau Präsidentin" ebenso korrektes Deutsch wie die Anrede "Frau Präsident". Doch es geht um mehr: Bei der AfD firmiert das Bemühen um eine geschlechtergerechtere Sprache prinzipiell wahlweise unter den Kategorien "Genderwahnsinn" oder "Gender-Gaga". Und ihre Abgeordneten lassen selten eine Gelegenheit aus, dies kenntlich zu machen.

Insgesamt ist die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache im Bundestag seit den 1980er Jahren auf dem Vormarsch. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie "Evolution geschlechter-inklusiver Sprache im Deutschen Bundestag" der Politikwissenschaftler Christian Stecker (TU Darmstadt), Jochen Müller (HU Berlin) sowie Andreas Blätte und Christoph Leonhardt (beide Uni Duisburg-Essen). Sie untersuchten alle im Bundestag zwischen 1949 und 2021 gehaltenen Reden auf die Frage, wie oft die männliche und weibliche Form der 1.600 häufigsten personenbezogenen Substantive wie beispielsweise Minister und Ministerin benutzt werden.

Einzug der Grünen ins Parlament hatte Auswirkungen auf die Sprache

Die Befunde der Forscher sind recht eindeutig: Während die Abgeordneten der Grünen, der Linken und der SPD in ihren Reden am häufigsten die weiblichen Formen benutzen (zwischen 25 und 28 Prozent), liegt der Anteil weiblicher personenbezogener Substantive in den Reden von AfD-Abgeordneten mit drei Prozent ungefähr auf dem Niveau der 1960er bis 1980er Jahre. Bei der CDU/CSU liegt der Anteil bei 15 Prozent und bei der FDP bei 13 Prozent.

Mit dem Einzug der Grünen 1983 in den Bundestag stieg der Anteil weiblicher Formen mit zeitlicher Verzögerung auch in den Reden aus den Reihen der Sozialdemokraten, der Union und der Liberalen. Zurückzuführen lässt sich dies aber nicht nur auf den Einzug der Grünen und verbunden damit verstärkt feministischer Standpunkte in das deutsche Parlament, sondern auch mit dem steigenden Frauenanteil unter den Parlamentariern seit diesem Zeitpunkt.

Sprachsensibilität stieg mit der ersten Kanzlerin der Bundesrepublik

Auch die Wahl von Angela Merkel (CDU) zur ersten Kanzlerin der Bundesrepublik hatte offenbar Auswirkungen auf die Sprachsensibilität in den Reihen von CDU und CSU. Seit 2005 stieg der Anteil der benutzten weiblichen Formen bei den personenbezogenen Substantiven in den Reden von Unionsabgeordneten deutlich an.

Nicht auswerten konnten die Forschergruppe in ihrer Studie jedoch den Gebrauch von Gendersternchen oder Doppelpunkten, mit denen in der gendergerechten Sprache die Existenz all jener Menschen markiert werden soll, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung Mann/Frau einordnen lassen wollen, und die in der gesprochenen Sprache mit einer kurzen Sprechpause angezeigt wird. Die Stenographen erfassen diese Form in den Plenarprotokollen nicht.

Neue hausinterne Regelung im Bundestag zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache

Ansonsten hat sich aber auch die Bundestagsverwaltung ein Stück weit den dem ausdrücklichen Wunsch vor allem der Fraktionen links der Mitte nach mehr Geschlechtergerechtigkeit angepasst: So sind inzwischen das Gendersternchen, der Doppelpunkt und weitere geschlechtergerechte Formen in Anträgen, Entschließungsanträgen und Begründungen zu Gesetzesentwürfen der Fraktionen erlaubt. In vergangenen Zeiten waren diese Formen stets von der für die Veröffentlichung der parlamentarischen Drucksachen zuständigen Stelle korrigiert worden.

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Ausgenommen von der Übereinkunft sind im Gegensatz zur Begründung eines Gesetzentwurfes der vorgeschlagene Gesetzestext selbst, Kleine Anfragen der Fraktionen an die Bundesregierung und deren Antworten sowie die Tagesordnung des Bundestages. Dies klingt alles ein wenig verwirrend, hat aber handfeste Hintergründe. So haben beispielsweise Beamte und Angestellte des Bundes und der Länder im amtlichen Schriftverkehr das Regelwerk "Deutsche Rechtschreibung, Regeln und Wörterverzeichnis" des Rats für deutsche Rechtschreibung zu beachten. Für Gesetzestexte gilt dies allemal.Und dieses Regelwerk sieht die Verwendung von Gendersternchen, Doppelpunkten oder dem Binnen-I nicht vor.

Doch selbst die neue hausinterne Regelung im Bundestag zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache geht der AfD deutlich zu weit. Noch kurz vor der parlamentarischen Sommerpause brachte brachte sie zwei Anträge ein, mit denen sie sowohl die Bundesregierung als auch den Bundestag dazu verpflichten wollte, in allen Dokumenten und Vorlagen auf die "Gendersprache" zu verzichten, weil diese "zu einer unnatürlichen Verunstaltung der deutschen Sprache, durch welche ihre Verständlichkeit erheblich eingeschränkt wird". Abgelehnt wurden sie beide.