Wenn sich in der kommenden Woche das neu gewählte Parlament zu seiner ersten Sitzung trifft, sind auch sie wieder mittendrin: die Stenografen des Deutschen Bundestages. Hinter ihnen das Rednerpult, vor ihnen die Abgeordneten im Plenum. Darunter zahlreiche bekannte, aber auch Dutzende neue Gesichter. Und die muss sich das Team von Bärbel Heising, Leiterin des Stenografischen Dienstes, genau einprägen, bevor in Kürze die 20. Wahlperiode startet. Schließlich halten die Schnellschreiber im Parlament nicht nur alle Reden fest, auch jeder Zwischenruf wird in Sekundenschnelle zu Papier gebracht. Jeder Applaus, jeder Widerspruch. Selbst Nonverbales, sofern es die Atmosphäre im Saal prägt.
Sie schrieben "buchstäblich Parlamentsgeschichte", würdigte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Arbeit der Stenografen jüngst. Auf seine Einladung hin waren Mitglieder des Verbandes der Parlaments- und Verhandlungsstenografen aus ganz Deutschland nach Berlin gereist, um im Bundestag ihren Verbandstag zu begehen. Weitere 20 lauschten per Videoschalte, während die Anwesenden über aktuelle Arbeitsbedingungen sprachen, über Herausforderungen in der 19. Wahlperiode und eine Zukunft im Zeichen der Digitalisierung.
Aus Sicht des Bundestagspräsidenten bringen Stenografen maximale Transparenz mit einem Minimum an Zeichen und zugleich größter Genauigkeit. Keine leichte Aufgabe, zumal im Bundestag laut Heising eine ausgesprochen lebhafte Debattenkultur herrscht. Für ihr Team bedeutet das: höchste Konzentration und ein bis ins Kleinste durchgetakteter Zeitplan. Alle zehn Minuten wechseln sich die Kollegen am Stenografentisch ab. Vom Plenarsaal eilen sie in ihr Büro, wo sie den in Redeschrift verfassten Text einer Schreibkraft diktieren. Diese Kurzschrift ermöglicht eine Schreibgeschwindigkeit von bis zu 500 Silben pro Minute. Mit einer durchschnittlichen Handschrift lassen sich etwa 40 Silben mitschreiben. Revisoren, die das Geschehen im Plenarsaal jeweils eine halbe Stunde lang dokumentieren, lesen die Protokolle gegen und nehmen, wenn nötig, Korrekturen vor. Auch jede Rednerin und jeder Redner hat das Recht, die Niederschrift zu prüfen. Dabei hat Deutschland einen der schnellsten Protokollierungsdienste der Welt: Die Plenarprotokolle liegen zum großen Teil bereits am nächsten Werktag vor.
Angesichts eines Parlaments in Rekordgröße und der Coronapandemie wird die Aufgabe selbst für erfahrene Stenografen zur Herausforderung. Ein paar Tage bleiben Heisings Team noch, um sich die 735 Gesichter einzuprägen.Irina Steinhauer
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