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Buchrezension : Bazookas und Wasserpistolen

Sabine Rennefanz kritisiert in ihrem Buch "Frauen und Kinder zuletzt" die gesellschaftliche Missachtung von Frauen und Kindern - etwa bei politischen Entscheidungen.

02.05.2022
2024-01-09T14:17:27.3600Z
3 Min

Geschlechtsspezifische Muster der privaten Arbeitsteilung haben sich in Corona-Zeiten verfestigt. Die Kombination von Homeoffice und Homeschooling führte zu großen Problemen in den Familien, die Folgen mussten vor allem Mütter tragen. Die feministische Sozialforscherin Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin stellte bereits während des ersten Lockdowns in der ARD-Talkshow "Anne Will" eine düstere Prognose. Sie warnte vor einer "entsetzlichen Retraditionalisierung", bei der Frauenemanzipation "werden wir bestimmt drei Jahrzehnte verlieren". Die zu diesem Zeitpunkt sehr dünne Datenbasis bot in den Folgemonaten Anlass zu vielstimmiger Kritik. Mehrere empirische Studien widersprachen der steilen These, die Befragungen konnten zunächst nicht erhärten, dass sich Wesentliches verändert habe.

Gender-Gefälle wird in Krisen sichtbar

"Frauen und Kinder zuletzt" titelt nun Sabine Rennefanz, die einst mit ihrem Buch "Eisenkinder" über die ostdeutsche Wendegeneration bekannt wurde. Die Journalistin wiederholt die Behauptung von der "Rolle rückwärts", konstatiert deutliche Unterschiede bei den Auswirkungen auf die Geschlechter. "Am Anfang hieß es, wir sitzen alle in einem Boot, das Virus trifft uns alle gleich, aber das stimmt nicht." Skandalös findet sie vor allem die Verteilung der milliardenschweren staatlichen Wirtschaftshilfen: Diese gingen zu 73 Prozent an Betriebe mit überwiegend männlichen Beschäftigten. Nur magere 4,2 Prozent der Gelder flossen in Branchen, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten. Bei allem Gerede von der "Systemrelevanz" sozialer Arbeit oder des Gesundheitswesens, für Rennefanz zeigt sich hier ein deutliches Gender-Gefälle: "Warum gibt es für Männer, wenn es eng wird, eine Bazooka, und für Frauen eine Wasserspritzpistole?"

Schulschließungen und die Folgen für Kinder

Gleichberechtigung, so die Autorin, sei kein "Accessoire für fette Jahre" und Homeoffice nicht das "feministische Paradies". Sie kritisiert vor allem die monatelangen Schulschließungen und ihre Folgen für Kinder und Jugendliche. Trotz teils weit rigiderer Corona-Politik hielten Nachbarländer wie Frankreich ihre Bildungsinstitutionen stets offen, selbst als es noch keine Impfungen und nicht einmal Tests gab. Die Nachrangigkeit öffentlicher Betreuung, und das Idealisieren des privaten "Freilernens" ohne Schulpflicht, hat in Deutschland eine lange Tradition. Das ging schon immer auf Kosten der Mütter, denn anerkannte und angemessen bezahlte Erwerbsarbeit ist mit ständigen Verpflichtungen zu Hause kaum zu vereinbaren.

Sabine Rennefanz weiß mit ihrem Plädoyer für mehr Gender-Gerechtigkeit zu überzeugen. Doch zu kurz kommt, dass auch Männer in der Corona-Zeit ungewohnte Erfahrungen gemacht haben. Gerade zu Beginn der Pandemie waren auch sie eher im Heimbüro als auf Dienstreise, sie bekamen mehr von ihren Kindern mit und übernahmen zusätzliche häusliche Aufgaben. Der plakative Buchtitel, der die Nachrangigkeit weiblicher Lebenslagen anprangert, gilt ebenso für die "neuen Väter" - und für andere fürsorgliche Männer, etwa wenn sie kranke Angehörige pflegen.

Sabine Rennefanz:
Frauen und Kinder zuletzt.
Wie Krisen gesellschaftliche Gerechtigkeit herausfordern.
Ch. Links Verlag,
Berlin 2022:
144 S., 18,00 €