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Gastkommentare : Pro und Contra: Schuldenbremse nur noch ein Papiertiger?

Ist die Schuldenbremse nur noch ein Papiertiger? Ein Pro und Contra von Jan Hildebrand und Manfred Schäfers.

07.06.2022
2024-03-11T13:09:29.3600Z
3 Min

Pro

Im Stresstest

Foto: HB
Jan Hildebrand
ist Redakteur beim "Handelsblatt" Düsseldorf.
Foto: HB

Die Rückkehr zur Schuldenbremse, die Finanzminister Christian Lindner für 2023 verspricht, wird ein finanzieller Kraftakt. In diesem Jahr konnte er dank Ausnahmeklausel noch Kredite über rund 140 Milliarden Euro aufnehmen. Im kommenden Jahr wären dann je nach Konjunkturlage 7,5 Milliarden Euro oder etwas mehr möglich. Einen solchen Defizitabbau hat es noch nicht gegeben.

Das Vorhaben ist schwierig - aber richtig. Würde man die Schuldenbremse ohne Not ein viertes Jahr in Folge aussetzen, wäre der Ausnahmezustand endgültig zur Normalität geworden. Doch auch wenn sich der Finanzminister durchsetzen sollte und die Schuldenregel 2023 auf dem Papier wieder gilt, so bliebe sie doch in akuter Gefahr. Denn die Einhaltung wird nur gelingen dank vieler Rücklagen, auf welche die Ampelkoalition in den kommenden Jahren zurückgreifen will: Eine alte Haushaltsreserve von 48 Milliarden Euro wird angezapft. Im Energie- und Klimafonds sind 60 Milliarden Euro ungenutzte Corona-Notkredite geparkt. Hinzu kommt nun noch das neue Sondervermögen Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro.

Die Rücklagen mögen die Einhaltung der Schuldenbremse in den kommenden Jahren ermöglichen. Doch wie geht es weiter, wenn die finanziellen Reserven aufgezehrt sind? Die Große Koalition und die Ampel haben die Ausnahmejahre der Pandemie gleichermaßen genutzt, um während der Aussetzung der Schuldenregel finanzielle Vorräte anzulegen. Einige Jahre kann das nun helfen, auf dem Papier die Vorgaben wieder einzuhalten. Die langfristige Finanzierung vieler Ausgaben aus dem Bundesetat ist damit nicht gesichert. Ein weiterer Stresstest steht der Schuldenbremse also noch bevor, selbst wenn Lindner sie 2023 einhalten sollte.

Contra

Notwendige Diät

Foto: Matthias Lüdecke
Manfred Schäfers
ist Korrespondent bei "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Foto: Matthias Lüdecke

Noch einmal darf die Koalition kräftig sündigen: Die Schuldenregel ist zum dritten Mal in Folge ausgesetzt, der Etat 2022 entsprechend üppig ausgefallen. Er sieht ein Defizit von knapp 140 Milliarden Euro vor. Hinzu kommt ein Sondervermögen - in Wahrheit handelt es sich um künftige Schulden - von 100 Milliarden Euro, das dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der jahrelangen Vernachlässigung der Bundeswehr geschuldet ist. Die Union rechnet noch die Kreditermächtigungen von 60 Milliarden Euro hinzu, die von der Ampel zu Jahresbeginn in den Energie- und Klimafonds geschoben wurden, und kommt so auf eine Rekordverschuldung von 300 Milliarden Euro.

Man kann lange streiten, ob diese Rechnung zulässig ist. Klar ist indessen: So kann es nicht weitergehen. 2023 werde die Schuldenbremse wieder greifen, verspricht Finanzminister Christian Lindner (FDP). Damit muss er die Neuverschuldung auf etwa acht Milliarden Euro herunterfahren. Tatsächlich erlaubt das Grundgesetz nichts anderes, wenn man es ernst nimmt - und das sollte jeder Bundesbürger und erst recht jeder Bundesminister. Wenn die Pandemie das Wirtschaftsleben kaum noch belastet und die Bundeswehr mit Hilfe eines Nebenhaushalts auf Vordermann gebracht wird, lässt die Verfassung die Flucht in übermäßig hohe Schulden nicht mehr zu. Aus gutem Grund: Die nächste Generation wird mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Erwerbsleben genug belastet, da sollte man ihr nicht noch weitere Schulden anhängen. Wie Lindner richtig erkannt hat, darf man die Schuldenregel nicht aussetzen, nur um rot-grün-gelbe Pläne leichter erfüllen zu können. Die Diät ist nicht schön, aber notwendig.