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Gastkommentare - Pro
Hans Monath, "Der Tagesspiegel", Berlin
Skepsis bleibt

EU-KANDIDATENSTATUS NUR SYMBOLIK?

D er Satz, den Kanzler Olaf Scholz in Kiew aussprach, ist richtig: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie. Das war schon vor dem Krieg so, aber die anderen Europäer schauten kaum hin. Der Angriff Russlands und der Mut der ukrainischen Nation im Kampf gegen den übermächtigen Gegner haben das geändert. Nun schaut Europa hin - und gibt der Ukraine den EU-Kandidatenstatus.

Noch scheint das Land weit davon entfernt, die Beitrittskriterien zu erfüllen, wenn man etwa auf die Korruption schaut. Aber die Entscheidung stärkt die Angegriffenen gegen Russlands Anmaßung, ihnen die Selbstbestimmung zu verweigern. Und sie wird Reformen ermutigen.

Der Einwand ist berechtigt, dass sich solche Hoffnungen auch bei anderen Beitrittskandidaten nicht erfüllten, im Fall der Türkei etwa. Aber der neue Anwärter bringt gute Voraussetzungen mit, auch wenn die Schwierigkeiten immens sind: Die Ukraine ist eine junge Staatsbürgernation, die sich nicht auf ethnische Herkunft, sondern auf das Bekenntnis zu Demokratie und westlichen Werten gründet. Das Herz des Landes schlägt europäisch.

Mit der Entscheidung zum Kandidatenstatus beginnt nun ein langer Prozess. Aber solange die EU sich vor einer Beitrittsentscheidung nicht selbst reformiert, bleibt er ein symbolischer Schritt. Denn vor jeder Aufnahme eines neuen Mitglieds muss die EU den Zwang zur Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen abschaffen. Sonst wird sie handlungsunfähig.

Und da ist Skepsis angebracht. Fünf Beitrittskandidaten gab es schon bisher, ohne dass dies den Reformeifer in Brüssel erkennbar beflügelt hat. Dies zu ändern, ist jedoch kein Auftrag an die Ukraine, sondern an die 27 Mitglieder selbst.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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