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Westbalkan
Johanna Metz
Im Schatten der Aufmerksamkeit

Mehrheit der Fraktionen macht sich für echte Beitrittsperspektive der sechs Länder stark

Während die Ukraine und Moldau seit vergangenen Donnerstag offiziell Kurs auf die EU-Mitgliedschaft nehmen, hat die Europäische Union die Hoffnungen der sechs Balkanstaaten erneut enttäuscht, auf ihrem Weg in die EU voranzukommen. Konkrete Zusagen machten die Staats- und Regierungschefs (EU-27) auch auf dem Westbalkan-Gipfel in Brüssel nicht. "Wir haben unsere Enttäuschung über die Dynamik des Erweiterungsprozesses zum Ausdruck gebracht", sagte der nordmazedonische Ministerpräsident Dimitar Kovacevski im Anschluss. Albaniens Ministerpräsident Edi Rama bedauerte: "Nicht einmal ein Krieg in Europa, der zur globalen Katastrophe werden könnte, war dazu in der Lage, die Einheit der EU herzustellen."

Sie hatte Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo 2003 einen EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Während mit Serbien und Montenegro seit Jahren über Beitrittskapitel verhandelt wird, haben Kosovo und Bosnien-Herzegowina bisher nicht einmal einen Kandidatenstatus erhalten. Trotz einer Empfehlung der EU-Kommission blockieren außerdem einige EU-Staaten im Falle Kosovos eine Visa-Liberalisierung. Bei Nordmazedonien und Albanien verhindert aktuell Bulgarien die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen; es fordert unter anderem, dass Nordmazedonien auf Forderungen im Hinblick auf Minderheiten, Geschichtsschreibung und Sprache eingeht. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sprach von einer "50- bis 60-prozentigen Chance", dass es der Streit noch diese Woche gelöst werden kann.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Balkanstaaten in Brüssel die Solidarität Deutschlands zugesichert. "Alle sechs können sich darauf verlassen, dass Deutschland sie unterstützen wird bei ihrem Weg nach Europa", betonte er.

Unionsantrag Rückendeckung bekommt Scholz dafür aus der Unionsfraktion. In einem Antrag (20/2339), den das Plenum vergangenen Donnerstag zur weiteren Beratung an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen hat, fordern die Abgeordneten die Koalition auf, sich auf EU-Ebene für eine "unzweideutige, glaubhafte und mit greifbaren Fortschritten" untermauerte EU-Beitrittsperspektive der Staaten einzusetzen.

"Der westliche Balkan muss wieder Topthema der Außenpolitik Deutschlands werden", betonte Johann Wadephul (CDU) in der Debatte. Die Region drohe wieder in Konfliktsituationen wie in den 1990er Jahren abzugleiten. Wie sehr die Zeit dränge, zeigten auch die Anträge der Bundesregierung auf Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo (KFOR) sowie auf Neumandatierung des Althea-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina (siehe Seite 10).

Adis Ahmetovic (SPD) stellte klar, der Westbalkan sei "nicht der Hinterhof, sondern der Innenhof Europas und als solcher fundamental wichtig für Frieden, Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent". Daher sollte Bosnien-Herzegowina bald den EU-Kandidatenstatus erhalten und die Visaliberalisierung für den Kosovo auf den Weg gebracht werden. Die seit 2012 laufenden Beitrittsverhandlungen mit Montenegro bräuchten eine neue Dynamik, die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien sollten schnell beginnen.

Für Bündnis 90/Die Grünen sagte Boris Mijatovic, es gebe viele positive Entwicklungen in den Westbalkanstaaten. "Die Leute, die an demokratische Veränderungen glauben, fühlen sich ermutigt, weiter zu kämpfen und weiter für den Weg nach Europa zu streiten." Thomas Hacker (FDP) nannte die Integration des westlichen Balkans einen "Gewinn für Menschen, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in der Region und in der EU gleichermaßen" und einen wesentlichen Baustein zur Vollendung der europäischen Einheit.

Andrej Hunko (Die Linke) sprach von einer "äußerst ernüchternden Bilanz". So seien in den zehnjährigen Beitrittsverhandlungen mit Serbien nur zwei zwei von 35 Kapiteln abgeschlossen worden. "Das wird nichts mehr in diesem Jahrhundert, wenn man in diesem Tempo weitermacht."

»Besser eine Zollunion « Einzig die AfD sprach sich gegen eine EU-Mitgliedschaft der Westbalkanstaaten aus. "Das ist keine Win-win-Situation, zu viele verlieren", warnte Harad Weyel. Die angestrebte "Ever Closer Union" sei eine "sozioökonomische Belästigung sondergleichen", die EU zerstöre mit ihrer Dominanz und ihren Verboten nur die dortige Wirtschaft. Eine "Westbalkan-Zollunion" sei der erste und "final vielleicht auch bessere Schritt", um in der Region auf Augenhöhe zu agieren, urteilte er.

Die EU-Kommission hat inzwischen für Bosnien-Herzegowina Anforderungen formuliert, deren Erfüllung zum Kandidatenstatus führen würde. Im Falle der Ukraine wurde der Status vor der Erfüllung der Auflagen erteilt.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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