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Schneller, günstiger, bequemer: Mit der Erfindung der Eisenbahn wurde das Reisen revolutioniert. 1835 gab es in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth die erste reguläre Strecke im Personenverkehr.

Von der "Grand Tour" zum Weltraumtourismus : Eine Geschichte des Reisens

Menschen sind schon immer gereist. Doch erst Industrialisierung und wachsender Wohlstand haben den Tourismus zum Massenphänomen werden lassen.

25.07.2022
2024-03-11T13:46:41.3600Z
7 Min

Es ist das Jahr 1873. Knapp 70 Jahre sind seit der Erfindung der Eisenbahn vergangen, das Bürgertum in Europa ist im Aufwind und "alle Welt reist". So zumindest beschreibt es Theodor Fontane in seinem Werk zum modernen Reisen. Tatsächlich konnten sich gerade einmal rund zehn Prozent der Bevölkerung eine Reise leisten. Der bezahlte Urlaub lag noch in weiter Ferne. Erst 1963 wurde in Deutschland das Bundesurlaubsgesetz verabschiedet, das 24 Werktage Erholungsurlaub pro Jahr vorsieht. Zu Lebzeiten Fontanes blieb das Reisen den finanziell Privilegierteren vorbehalten. Der Tourismus steckte damals noch in den Kinderschuhen.

Reisen als Selbstzweck

"Gereist wurde schon immer. Sogar Ötzi ist gereist", sagt Christian Bunnenberg. Der Historiker forscht unter anderem zur Geschichte des Tourismus. Anders als heute diente das Reisen dabei jedoch einem übergeordneten Zweck. Händler, Gelehrte, Pilger oder Soldaten beispielsweise nahmen die beschwerliche und oftmals gefährliche Reise auf sich, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

Erst ab dem späten 17. Jahrhundert entwickelte sich in Europa die Tendenz zur "zweckfreien Reise". Junge, meist männliche Adelige begaben sich auf "Grand Tour". Sie reisten durch Europa, wurden an den europäischen Höfen vorstellig, pflegten Kontakte und sollten ihre Persönlichkeit weiterentwickeln. Als mit dem 18. Jahrhundert das Bildungsbürgertum emporstieg, ahmte es die Tour des Adels nach, nannte dieses Unterfangen allerdings "Bildungsreise". Beliebte Ziele für Adel und Bürgertum gleichermaßen waren Städte wie Paris, Rom, Neapel oder Wien. Neben dem offiziellen Teil der Reise gab es Bunnenberg zufolge genug Raum, um die eigenen Interessen und Neigungen in die Reiseplanung einzubinden. Ein erster Schritt auf dem Weg zum Reisen als Selbstzweck war gemacht.


„Die störenden Touristen, das sind immer die anderen.“
Christian Bunnenberg (Historiker)

Wurden bei der "Grand Tour" vor allem Städte besucht, begannen die Menschen bald, sich nach Zielen in der Natur zu sehnen. So wandelte sich laut Bunnenberg beispielsweise der Strand von einem sogenannten "Nicht-Ort" zur beliebten Reisedestination. Zuvor galt das Meer als unberechenbar und gefährlich, mystische Wesen sollten darin leben. Selbst Menschen, die an der Küste lebten, mieden den Strand. Durch die Strömung der Romantik änderte sich dieses Empfinden. Die ersten Seebäder entstanden im England bereits 1730, der Badeurlaub kam in Mode.

Reisen verändert sich durch Industrialisierung grundlegend

Noch reisten nur wenige Menschen. "Ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts fallen die Erfindungen, die dem Tourismus zum Durchbruch verhelfen sollten: Die Eisenbahn, die Pauschal- beziehungsweise Gesellschaftsreise und der Baedeker", schreibt der Historiker und Tourismusforscher Hasso Spode in seinem Buch "Wie die Deutschen Reiseweltmeister wurden".

Mobilität spielt für die Tourismusentwicklung bis heute eine wichtige Rolle. Durch die Industrialisierung und Entwicklung dampfbetriebener Maschinen veränderte sich das Reisen grundlegend. Vor allem durch die Eisenbahn wurde es laut Bunnenberg "planbarer, bequemer und günstiger". 1830 nahm die erste Strecke des regulären Personenverkehrs ihren Betrieb zwischen Manchester und Liverpool auf. In Deutschland sollte dies noch fünf Jahre dauern. Als erste Verbindung gilt dort die Fahrt zwischen Nürnberg und Fürth. Für die Menschen war die Erfindung der Eisenbahn mit großer Zeitersparnis verbunden. Brauchte ein Reisender zuvor ungefähr eine Woche für die Strecke von Köln nach Berlin, konnte er diese Entfernung nun in 14 Stunden zurücklegen, schreibt Spode. Auch die Beschwerlichkeiten und Gefahren des Reisens verschwanden langsam.

Damit Reisende sich vor und während der Reise informieren konnten, gab der Engländer John Murray ab 1836 seine kleinen roten Reiseführer heraus. In Deutschland erschien das farbgleiche Pendant von Karl Baedeker und löste die individuellen Reiseberichte ab. Im Baedeker markierten kleine Sternchen Sehenswertes in der Umgebung. Besonders bei Touristen mit engem Zeitbudget fanden die Bücher reißenden Absatz. "Zur Zeit der Reichsgründung machte die geographische und Reiseführerliteratur rund ein Viertel der deutschen Buchproduktion aus", schreibt Spode.

Die Erfindung der Pauschalreise

Hin- und Rückfahrt vom englischen Leicester in das zwölf Meilen entfernte Loughborough mit Musik, Tee und Gebäck - mit diesem Angebot legte der gelernte Tischler und Baptist Thomas Cook am 5. Juli 1841 den Grundstein für die Pauschalreise. Erst nur auf den britischen Inseln tätig, expandierte Cook bald mit seinem Unternehmen und bot Reisen in die ganze Welt an. Das Besondere daran: Vom Transportmittel, über Unterkunft bis hin zu Programm und Verpflegung war alles inbegriffen. Cooks Angebote galten dabei als finanziell erschwinglich.

Je mehr Menschen reisten, desto lauter wurde auch die Kritik an Touristen, die in fremde Länder vordrangen und sich häufig nicht zu benehmen wussten. Dabei wurden diese Vorwürfe nicht nur von Einheimischen geäußert, sondern oftmals von anderen Reisenden. Auch dieses Phänomen gehört laut Bunnenberg zur Entwicklung des Tourismus: "Die störenden Touristen, das sind immer die anderen."

Deutsches Reich: Erholung von den Strapazen der Stadt

Im Deutschen Reich erhielten Reichsbeamte ab 1873 erstmals bezahlten Urlaub. Angelehnt an den Landaufenthalt des Adels zog es die Menschen bei der sogenannten Sommerfrische raus in die Natur, um sich von den alltäglichen Strapazen der Stadt zu erholen. Für Arbeiter war an Urlaub allerdings nicht zu denken. Wie Spode in einem Beitrag für "Aus Politik und Zeitgeschichte" schreibt, erhielten bis 1910 nur rund zehn Prozent von ihnen bezahlten Urlaub - etwa drei Tage im Jahr.

Die beiden Weltkriege markieren als "disruptive Ereignisse" laut Bunnenberg klare Brüche in der Geschichte des Tourismus. Zwar sorgte die nationalsozialistische Organisation "Kraft durch Freude" in Deutschland dafür, dass die Pauschalreise in den 1930er Jahre boomte, doch dienten diese Reise hauptsächlich als nationalsozialistische Propaganda.

Freies und zweckfreies Reisen ging in den westdeutschen Ländern Mitte der 1950er Jahre wieder los. Der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik machte es möglich. Besonders beliebt war die Reise mit dem Auto, anfangs vor allem innerhalb des eigenen Landes, später nach Italien.

Nächster Halt Weltraum?

Entferntere europäische Reiseziele wie Spanien zu besuchen, wurde für eine breitere Masse durch den Flugpauschaltourismus möglich. Bis in die 1960er Jahre war die Flugreise ein Privileg der oberen Zehntausend. Der Brite Vladimir Raitz kam als erster auf die Idee, statt einzelner Plätze ein ganzes Flugzeug zu chartern, um so günstigere Preise anzubieten. Das Konzept ging auf, Reisen wurde zum Massenphänomen. 1970 waren in West- und Ostdeutschland erstmals mehr als 50 Prozent der Menschen im Urlaub, schreibt Spode.

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Und wo geht die Reise hin? Das Wettrennen um die touristische Erschließung des Weltalls hat bereits begonnen. Zwar flogen bisher nur wenige Menschen aus reinem Vergnügen in den Orbit, "doch an der ersten Weltreise nahmen auch weniger als zehn Personen teil", sagt Bunnenberg. Ob der Weltraumtourismus tatsächlich der nächste Schritt in der Geschichte des Reisens sein wird, vermag er nicht zu sagen. Drängender für die Zukunft des Tourismus sei die Frage, inwieweit zweckfreies Reisen mit einer Klimakrise zu vereinbaren sei.