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Cornelius Bähr im Interview : "Vor allem bei der digitalen Infrastruktur hapert es"

Laut Standortindex des Instituts der deutschen Wirtschaft bleibt Deutschland attraktiv für Industrieunternehmen. Wo es Nachholbedarf gibt, erklärt Cornelius Bähr.

22.08.2022
2024-03-04T11:04:40.3600Z
6 Min

Herr Bähr, der IW-Standortindex bewertet regelmäßig die Standortattraktivität von 45 Industrie- und Schwellenländern für Industrieunternehmen. Was macht einen guten Standort aus?

Cornelius Bähr: Es braucht eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen, damit in einem Land gute Investitionsvoraussetzungen für Industrieunternehmen herrschen. Diese gelten nicht nur für Neuansiedlungen, sondern auch für bestehende Industrien, die an einem Standort in ihre Aufrechterhaltung oder Weiterentwicklung investieren sollen. Für den Standortindex betrachten wir rund 60 Indikatoren, die wir zu den sechs Bereichen Staat, Infrastruktur, Wissen, Ressourcen, Kosten und Markt zusammenfassen.

Deutschland landet im aktuellen Ranking mit Zahlen von 2019 auf Rang vier. In welchen Bereichen schneidet die Bundesrepublik besonders gut ab?

Foto: Institut der Deutschen Wirtschaft
Cornelius Bähr
ist Senior Consultant beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Foto: Institut der Deutschen Wirtschaft

Cornelius Bähr: In dem Ranking ist sie im Bereich Markt auf Platz eins und im Bereich Infrastruktur auf Platz zwei. Das sind ihre größten Stärken. Aber auch bei Staat, Wissen und Ressourcen kommt Deutschland noch unter die Top Ten.

Obwohl Deutschland bei der Infrastruktur in Ihrer Bewertung auf dem zweiten Platz landet, bezeichnen Sie diesen Bereich in Ihren Ausführungen als Problemfeld. Warum?

Cornelius Bähr: Vor allem bei der digitalen Infrastruktur hapert es. Deutschland steht zwar zum Beispiel beim Thema Breitbandversorgung im Vergleich zu allen 45 Ländern überdurchschnittlich gut da, gemessen an den Werten anderer OECD-Länder allerdings eher schwach. Dies betrifft auch die Verbreitung in der Fläche. Wenn man die digitale Infrastruktur innerhalb Deutschlands vergleicht, sehen wir, dass häufig besonders ländliche Bereiche nochmal deutlich schlechter angebunden sind als die urbanen Zentren.

Gibt es weitere Bereiche mit Nachholbedarf?

Cornelius Bähr: Ja, ein Beispiel ist der bürokratische Aufwand für Unternehmen bei Steuerzahlungen. In anderen Ländern hat sich dieser Aufwand verringert, in Deutschland aber nicht. Hier könnte durch bessere Regulierung Abhilfe geschaffen werden. Bisher ist dies nicht geschehen.

Außerdem ist Deutschland eines der Länder mit den höchsten Kosten. Insbesondere Arbeitskosten sowie Steuern sind hier sehr hoch und die Energiekosten gehören - gerade auch im Strombereich - zu den höchsten in Europa.

Welche Konsequenzen wird die aktuell andauernde Energiekrise für die künftige Standortattraktivität Deutschlands haben?

Cornelius Bähr: Energiekosten werden häufig durch internationale Märkte bestimmt. Dennoch können wir gerade beobachten, dass Europa besonders stark von der sich abzeichnenden Energiekostensteigerung betroffen zu sein scheint. In Deutschland haben wir dann noch die Besonderheit, dass relativ hohe Abgaben auf den Energiekosten liegen. Das hat sie hierzulande besonders teuer gemacht. Inwiefern es da eine Veränderung geben wird, hängt von der Politik in Deutschland und in anderen Ländern ab. Neben der aktuellen Krise stehen wir beim Thema Kosten zusätzlich vor der Herausforderung, dass fossile Energieträger langfristig teurer werden müssen, wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen.

Sollte die Bundesregierung bei dem Faktor Kosten aktiv gegensteuern, um die Standortattraktivität Deutschlands zu wahren?

Cornelius Bähr: Die Politik sollte in jedem Fall im Blick behalten, dass ein guter Standort für Industrieunternehmen zu sein, kein Selbstzweck ist, sondern Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Wohlstand eines Landes davon abhängen. Von daher sollte sie auf jeden Fall die Nebenwirkungen ihrer Handlungen auf die Attraktivität eines Standortes mitberücksichtigen. Dinge wie Steuern oder Sozialabgaben auf die Arbeitskosten werden beispielsweise direkt von der Politik beschlossen. Auch bei den Handelskosten spielt der Staat unter anderem durch die Gestaltung von Freihandelsabkommen eine wichtige Rolle. Viele der Rahmenbedingungen werden durch staatliches Handeln mitbeeinflusst. Das betrifft aber nicht nur die Energiekosten.


„Aus Standortsicht ist vieles entweder direkt oder zumindest mittelbar von politischen Entscheidungen abhängig.“
Cornelius Bähr, Institut der deutschen Wirtschaft

Sondern?

Cornelius Bähr: Aus Standortsicht ist vieles entweder direkt oder zumindest mittelbar von politischen Entscheidungen abhängig. Das geht auch über staatliche Rahmenbedingungen wie Rechtsstaatlichkeit, Korruptionskontrolle oder Bürokratie hinaus. Wir haben bereits über die Infrastruktur gesprochen, die zu großen Teilen staatlicher Zuständigkeit unterliegt. Auch beim Humankapital spielt der Staat eine wichtige Rolle, da es seine Aufgabe ist, der Bevölkerung eine gute Schulbildung zu ermöglichen.

Der IW-Standortindex umfasst Industrie- und Schwellenländer. Das attraktivste Schwellenland ist Malaysia auf Rang 15, China befindet sich auf Platz 22. Insgesamt schreiben Sie, dass sich die Werte der 45 Länder tendenziell immer weiter annähern. Werden die Schwellenländer künftig eine immer größere Konkurrenz für die Industrieländer?

Cornelius Bähr: Langfristig ist das bestimmt so. Die heutigen Vorteile von Industrienationen wie eine hohe Bildung in der Bevölkerung oder eine gute Infrastruktur sind ja nichts, was den Industrienationen natürlich gegeben ist, sondern basieren auf einer langen Entwicklung. Diese kann auch in Schwellenländern stattfinden.

Malaysia hat zum Beispiel schon jetzt gute Werte im Bereich Wissen und Markt. Die Unternehmen dort stellen häufig international wettbewerbsfähige Produkte her.

China ist eine riesige Wirtschaftsmacht. Dennoch schneidet es im Ranking nur mittelmäßig ab. Woran liegt das?

Cornelius Bähr: Das liegt unter anderem daran, dass die staatlichen Strukturen in China aus marktwirtschaftlicher Perspektive betrachtet unterentwickelt sind. Besonders bei Aspekten wie Rechtsstaatlichkeit, Investitionssicherheit und Korruptionsbekämpfung schneidet China schlecht ab. Das schafft Unsicherheit bei den Unternehmen.

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Welchen weiteren großen Herausforderungen wird Deutschland in den kommenden Jahren im Wettbewerb um die besten Standortbedingungen gegenüberstehen?

Cornelius Bähr: Neben dem Klimawandel und der Digitalisierung als großer Transformationstreiber, wird es um die Frage gehen, ob die Globalisierung und Offenheit der Weltwirtschaft im bekannten Maße fortbestehen wird. Konflikte wie der Krieg in der Ukraine oder die Spannungen zwischen Taiwan und China könnten zu einer wirtschaftlichen Blockbildung führen. Solche Tendenzen müssen wir mit Sorge betrachten, da sie den Standortwettbewerb verändern würden und für eine exportorientierte Wirtschaft wie Deutschland problematische Auswirkungen hätten.