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Laufzeitverlängerung bis 2024 : "Dieser Kompromiss reicht nicht"

Der Unionsabgeordnete Klaus Wiener hält den Ampel-Kompromiss, die drei Kernkraftwerke bis maximal zum 15. April 2023 laufen zu lassen, für zu kurz gesprungen.

24.10.2022
2024-03-05T13:11:34.3600Z
8 Min

Herr Wiener, mit einem Machtwort hat der Kanzler den Streit innerhalb der Ampel über die AKW-Laufzeiten beendet. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Klaus Wiener: Drei Kernkraftwerke im Streckbetrieb bis maximal zum 15. April 2023 laufen zu lassen, ist deutlich zu kurz gesprungen. Wir haben eine extreme Energiemangellage und brauchen eine Lösung - nicht nur für die nächsten drei Monate. Die Energiekrise wird uns länger begleiten. Dieser Kompromiss reicht nicht.

Die FDP wollte die drei AKWs bis 2024 laufen lassen. Die Grünen wollten höchsten zwei der Kraftwerke als Reserve bereithalten. Wer hat durch die Kanzlerentscheidung gewonnen?

Klaus Wiener: Verloren haben in jedem Fall die deutsche Wirtschaft und ihre Unternehmen. Aber auch die Privathaushalte, die weiterhin mit höheren Preisen leben müssen. Drei plus drei wäre die richtige Antwort gewesen. Die drei noch aktiven Kernkraftwerke sowie die drei Ende 2021 vom Netz gegangenen AKW hätten acht Gigawatt Leistung bei einem Tagesbedarf von 80 Gigawatt gebracht. Damit wären wir schon mal ein gutes Stück weitergekommen.

Foto: Deutscher Bundestag/Leon Kügeler/photothek

Befürchtet, dass der Mittelstand für die Politik der Ampelkoalition die Zeche zahlen muss: Der Unionsabgeordnete Klaus Wiener. Der Volkswirt sitzt seit 2021 im Bundestag.

Warum fordert die Union eine Laufzeitverlängerung bis 2024?

Klaus Wiener: Die Energiekrise ist am 15. April 2023 nicht vorbei. Wir werden im nächsten Winter eine noch schwierigere Situation haben als in diesem. 2022 konnten die Gasspeicher noch teils mit russischem Gas gefüllt werden. Zudem ist China wegen seiner Covid-Maßnahmen als großer Gasnachfrager ausgefallen. Das wird 2023 nicht der Fall sein. Wir haben in diesem Jahr so viel Gas verstromt wie schon lange nicht mehr. Daher reicht das, was die Ampel vorhat, nicht aus.

Wirtschaftsminister Habeck geht davon aus, dass die Energieversorgung im Winter 2023/2024 dank neuer LNG-Terminals, dem Netzausbau und dem Aufwuchs bei den erneuerbaren Energien auch ohne Kernkraft sicher ist.

Klaus Wiener: Das kann er ja so sehen. Aber beim IWF und auch bei der Internationalen Energieagentur verweist man auf ein Energieproblem Deutschlands, das im nächsten Winter noch größer wird. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht davon aus, dass die Energiekrise bis mindestens Mitte 2024 anhalten wird, und plädiert für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Wir müssen außerdem die Dimensionen im Blick behalten. Russland hat uns 310 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr geliefert. Die Floating-Terminals haben eine Kapazität von fünf Milliarden Kubikmetern. Wenn es gut läuft, werden wir im Winter zwei davon an den Start bringen - im Sommer drei weitere. Das sind dann 25 Milliarden Kubikmeter. Das ist gut, reicht aber für unseren Energiebedarf bei weitem nicht, selbst wenn wir bei der Energieeffizienz noch deutlich besser werden. Außerdem gehen derzeit die Genehmigungszahlen für Windkrafträder sogar zurück. Einen Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren kann ich da nicht erkennen.


„Wir sind in einer wirklich schwierigen Lage, weil wir in der größten Energiekrise aller Zeiten stecken.“
Klaus Wiener (CDU)

Einer Laufzeitverlängerung stehen aber Sicherheitsbedenken entgegen. Ignorieren Sie die?

Klaus Wiener: Keineswegs. Es wird ja immer auf die im Zehnjahres-Turnus stattfindenden Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) verwiesen. Die fanden letztmals 2009 statt. 2019 wurde darauf verzichtet, mit Verweis auf die Außerbetriebnahme Ende 2022. Bei der PSÜ geht es aber eher um eine Dokumentation, was denn gerade Stand der Technik ist. Für das operative Geschäft spielt die PSÜ keine Rolle. Die AKW werden nicht nur alle zehn Jahre einmal sondern selbstverständlich fortlaufend überwacht und sind auf eine 40-jährige Betriebsdauer ausgelegt.

Grüne und SPD befürchten, dass längere Laufzeiten den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Sehen Sie das auch so?

Klaus Wiener: Nein. Sechs Atomkraftwerke können den Energiebedarf sicherlich nicht decken. Die Investitionsanreize in die Erneuerbaren sind unverändert hoch. In dem Bereich werden die höchsten Gewinne erzielt.

Die Atomkraftwerke können über das Frühjahr 2023 hinaus nur laufen, wenn neue Brennstäbe angeschafft werden. Das ist aber mit den Grünen nicht zu machen. Außerdem braucht es dafür einen Vorlauf von bis zu zwölf Monaten.

Klaus Wiener: Das geht auch schneller. Davon bin ich überzeugt, weil wir entsprechende Signale von den Herstellern bekommen haben. Dennoch sollte bald gehandelt werden.

Neue Brennstäbe würden dann für drei oder vier Jahre den Betrieb ermöglichen. Ist es das, was die Union eigentlich will: Die Laufzeiten weit über 2024 verlängern?

Klaus Wiener: Wir wollen eine Laufzeitverlängerung bis Ende 2024 plus Evaluierungsklausel, um zu sehen, ob wir dann bereits so weit sind, komplett auf Atomkraft verzichten zu können. Glauben Sie mir: Ich bin kein Riesenfan der Kernkraft. Ich sehe die Risiken und auch das Problem mit der Endlagerung. Genauso sehe ich aber auch die Risiken von Energieknappheit und hohen Preisen für unsere Wirtschaft und die Risiken der Kohleverstromung für das Klima. Wir sind in einer wirklich schwierigen Lage, weil wir in der größten Energiekrise aller Zeiten stecken. In dieser Krise brauchen wir eine pragmatische Politik im Interesse unseres Landes - seiner Bürger und seiner Unternehmen. Das kann ich nicht überall erkennen. Noch immer dominieren bei einigen Parteien ideologische Überlegungen.

Foto: Dr. Klaus Wiener/Justus Kersting
Klaus Wiener
Klaus Wiener (CDU) sitzt seit 2021 im Bundestag und gehört dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz an. Als stellvertretendes Mitglied gehört er dem Finanz-, Wirtschafts- sowie Petitionsausschuss an.
Foto: Dr. Klaus Wiener/Justus Kersting

Langfristig auf erneuerbare Energien zu setzen ist also aus Ihrer Sicht falsch?

Klaus Wiener: Nein, überhaupt nicht. Bei einer Gesamtstrategie für die kommenden Jahre spielen die erneuerbaren Energien eine ganz große Rolle. Davon bin ich fest überzeugt, so handle ich auch privat. Aber in der jetzigen Situation nur auf ein Pferd zu setzen, wäre falsch. Der Ausbau der Erneuerbaren kann funktionieren, und ich hoffe sehr, dass es funktioniert. Genauso ist aber auch möglich, dass wir hinter den ambitionierten Zielen zurückbleiben. Als Industriestandort können wir uns das nicht erlauben und müssen deshalb alle Optionen offenhalten und uns neuen Entwicklungen nicht verschließen. Auch was die Atomkraft angeht. Wenn es in Zukunft bei Atomreaktoren tatsächlich Fortschritte in Sachen Sicherheit und Dauer der Lagerung von Atommüll gibt, wären wir schlecht beraten, uns an dieser Entwicklung nicht zu beteiligen.

Und wie sieht es mit Fracking in Deutschland aus?

Klaus Wiener: Auch hier plädiere ich für Pragmatismus. Es gibt eine Expertenkommission, die zu dem Schluss gekommen ist, das Fracking auch mit Blick auf die Umweltrisiken vertretbar ist. Die Fracking-Verfahren sind so weiterentwickelt, dass es für die Umwelt, insbesondere für das Grundwasser, kein Problem mehr darstellt. Es ist nicht vermittelbar, wenn wir auf der einen Seite Fracking-Gas aus den USA und Atomstrom aus Frankreich kaufen und zugleich sagen: In Deutschland gibt's das aber nicht. Diese Verweigerungshaltung wird auch im Ausland inzwischen sehr kritisch gesehen.

Herr Wiener, als Chefvolkswirt haben Sie viele Jahre lang große Unternehmen beraten. Welche wirtschaftlichen Folgen hat die aktuelle Krise?

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Klaus Wiener: Sie wird uns kurzfristig, aber auch langfristig Wachstum kosten. Die Unternehmen schauen zudem schon genau, wie es künftig um die Energiesicherheit und die Preise in Deutschland, aber auch ganz Europa bestellt ist. International aufgestellte Unternehmen prüfen Verlagerungsentscheidungen - beispielsweise in die USA, wo die Energiepreise deutlich günstiger sind. Ein wesentliches Rückgrat unserer Wirtschaft sind aber die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ihre Produktion nicht so einfach verlagern können und die unter den Preisen und der Unsicherheit am stärksten leiden. Ich befürchte, dass schlussendlich der Mittelstand für die falsche Politik der Ampelkoalition die Zeche zahlen muss.