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Ukraine-Krise : Russischer Truppenaufmarsch beschäftigt den Bundestag

Trotz aller Beteuerungen aus Moskau wächst die Sorge vor einem russischen Angriff.

21.02.2022
2024-02-26T11:54:11.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Russian Defence Ministry

Ein Zug transportiert vergangene Woche Militärfahrzeuge von der Krim zurück in die Stützpunkte im südrussischen Militärbezirk. Allerdings bleiben Zweifel, wie ernst es die russische Führung mit der Ankündigung des Abzugs von Soldaten und Gerät an der Grenze zur Ukraine meint.

Das Risiko einer Aggression Russlands gegen die Ukraine besteht nach westlicher Einschätzung unvermindert weiter fort. Angesichts des massiven russischen Truppenaufmarschs im Grenzgebiet zur Ukraine besteht seit Wochen die Befürchtung, dass die Verlegung Zehntausender Soldaten der Vorbereitung eines Krieges dienen könnte. Russland weist solche Pläne als Unterstellung zurück. Der russische Präsident Wladimir Putin hat zudem wiederholt ein Ende der Nato-Osterweiterung gefordert sowie vor einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis gewarnt.

Unter anderem nach einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Kiew und in Moskau hatte es vergangene Woche von russischer Seite Signale für weitere Verhandlungen gegeben, auch zum Abzug russischer Truppen an der ukrainischen Grenze. Allerdings fehlten zunächst substanzielle Hinweise für einen solchen Abzug.

Union wirft Regierung "gefährlichen Schlingerkurs" vor

Die Frage von Krieg und Frieden in Europa beschäftigte die Abgeordneten im Bundestag, Anlass bot am Donnerstag ein Antrag der Unionsfraktion, in dem diese die Bundesregierung aufforderte, "ihren gefährlichen Schlingerkurs in der Russlandpolitik zu beenden", der zu Irritationen bei den Nato- und EU-Partnern sowie bei Nachbarn und befreundeten Staaten führe.

Johann Wadephul (CDU) kritisierte, dass der Bundeskanzler länger klare Worte habe vermissen lassen. So habe es Scholz bei seinem Besuch in Washington US-Präsident Joe Biden überlassen, die Gaspipeline Nord Stream 2 als Teil eines möglichen Sanktionspakets gegen Russland zu bezeichnen. "Ein schwerer Fehler", befand Wadephul. Er konstatierte, dass das "Modell einer Ukraine, die demokratisch, parlamentarisch funktioniert, in der es freie Presse und unabhängige Gerichte gibt", von der russischen Führung als Bedrohung angesehen werde. An der freien Entscheidung des Landes für eine Nato-Mitgliedschaft dürfe nicht gerüttelt werden. "Wir dürfen uns von Russland nicht vorschreiben lassen, wer sich unseren defensiven, friedlichen Bündnissen anschließt."


„Wer die nächsten fünf Züge vorher ankündigt, der verliert wahrscheinlich die Partie.“
Ralf Stegner (SPD)

Ralf Stegner (SPD) wies einen Unions-Vorwurf des "Schlingerkurses" in der Russlandpolitik zurück. Russland müsste bei einer militärischen Eskalation einen hohen Preis zahlen, aber bevor es überhaupt dazu komme, brauche es Geduld für die Diplomatie - und die werde nicht in Interviews betrieben, sondern finde hinter verschlossener Tür statt. "Wer die nächsten fünf Züge vorher ankündigt, der verliert wahrscheinlich die Partie." Stegner wandte sich nicht gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, plädierte aber für Pragmatismus. Diese Entscheidung stehe auf absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung, wie Bundeskanzler Scholz bei seinem Besuch in Moskau betont habe.

 Alexander Gauland (AfD) sprach sich gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Ihr möge die freie Bündniswahl zustehen, aber es gehe auch darum, in der Staatenordnung "seinen Platz mit Klugheit" zu behaupten. "Eine gesicherte Existenz zwischen den Fronten ist heilsamer als ein unendlicher Konflikt." Es müsse um eine Lösung gehen, die für die "Großmacht Russland annehmbar", für die Ukraine akzeptabel sei. Dies könnte ein neutraler Status sein, sagte Gauland und verwies auf das Beispiel Finnlands und Österreichs.

Grüne: Krise nicht von der Ukraine mitverursacht

Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) unterstrich, dass diese Krise nicht von der Ukraine mitverursacht und nicht von der Nato ausgelöst wurde, sondern das Ergebnis russischer Aggression sei. "Es ist der Versuch, mit Militär geopolitische Einflusssphären über die Köpfe unserer mittel- und osteuropäischen Partner hinweg durchzusetzen." Die Bundesregierung habe in aller Klarheit deutlich gemacht, dass auf eine weitere russische militärische Eskalation sehr harte Sanktionen folgen würden: "Der Kreml müsste und würde eine solche Attacke bitter bereuen."

Auch Ulrich Lechte (FDP) warf der russischen Führung ein Denken in Einflusssphären vor, das mit der heutigen regelbasierten internationalen Weltordnung nicht vereinbar sei. Der russische Präsident wünsche sich offenbar eine Zeit zurück, als es noch die Sowjetunion gab und man von Moskau aus den Sowjetrepubliken die Politik diktieren konnte. "Aber diese Zeiten sind vorbei. Herzlich willkommen im 21. Jahrhundert". Lechte erinnerte daran, dass Russland im Budapester Memorandum 1994 der Ukraine Sicherheitsgarantieren zugesagt habe. Mit der Annexion der Krim und der Intervention in der Ostukraine habe Russland genau diese Zusage gebrochen.

Linke: Nato steht kein moralisches Urteil

Gregor Gysi (Die Linke) wandte sich gegen den Vorwurf, nur Russland denke in den alten Bahnen von Einflusssphären. "Es war doch die Nato, die entgegen einem Versprechen von 1990 14 Staaten aus Ost- und Mitteleuropa aufnahm, also die eigene Einflusssphäre deutlich erweiterte." Dem Militärbündnis stehe ohnehin kein moralisches Urteil zu. Der erste "heiße Krieg" in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges drohe nicht in der Ukraine, diesen "ersten heißen Krieg führte die Nato gegen Serbien, und zwar auch noch völkerrechtswidrig".

Die Unionsfraktion fand mit ihrem Antrag (20/692) für einen noch entschlosseneren Kurs gegenüber Russland in der Ukrainekrise keine Mehrheit. Zwei weitere Oppositionsanträge (20/703, 20/677) überwies das Plenum an die Ausschüsse. Die AfD setzt sich für eine offene Debatte über die Neutralität oder Allianzfreiheit der Ukraine ein, die Linke wendet sich gegen den Plan der Bundesregierung, weitere Bundeswehrsoldaten nach Litauen im Rahmen der Nato-Präsenz zu entsenden.