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Foto: picture-alliance/dpa/Paul Zinken
In Justizvollzugsanstalten wie hier in der JVA Plötzensee in Berlin sitzen jedes Jahr etliche Menschen für einige Woche in Haft ein, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt haben.

Reform des Sanktionsrechts : Richtig bestrafen

Die Regeln zum Maßregelvollzug sollen verschärft, Ersatzfreiheitsstrafen halbiert werden: So will es die Bundesregierung. Das Vorhaben stößt im Bundestag auf Kritik.

20.03.2023
2024-03-14T14:40:59.3600Z
4 Min

Vor einigen Wochen sorgte in Berlin eine Justizposse für Schlagzeilen. Ohne dass die Polizei es wusste, wurde der im September 2021 unter anderem wegen eines Überfalls auf einen Geldtransporter und Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilte Muhamed R. vorerst aus der Haft entlassen. Der dem Berliner Clanmilieu zugerechnete Mann flog kurzerhand in die Türkei, die Aufregung war groß. Grund für seine gerichtlich angeordnete Entlassung Anfang Februar diesen Jahres war, dass es kein Therapieplatz für R. gab. Bei seiner Verurteilung hatten die Richter dem Räuber nämlich eine schwere Kokainsucht attestiert und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Therapie hätte bis September 2022 beginnen müssen. Nach einigen Tagen in der Türkei, kehrte R. nach Berlin zurück. Inzwischen hat er laut Medienberichten die Therapie angetreten.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das von Seiten der Länderjustiz schon seit Jahren beklagt wird. Der sogenannte Maßregelvollzug wird bundesweit über Kapazität gefahren. Waren 1995 noch 1.373 Menschen in einer Entziehungsanstalt untergebracht, waren es 2020 schon 4.677. Die Idee hinter dem Maßregelvollzug ist es, bei Verurteilten, deren Tat im Zusammenhang mit einem Hang zu Suchtmitteln steht, vor beziehungsweise nach Antritt der Freiheitsstrafe mit einer Therapie Besserung zu erzielen.

Maßregelvollzug verfehlt oft die Zielgruppe, meinen Kritiker

Es gibt bei den Verantwortlichen in Bund und Ländern aber große Zweifel, ob die richtige Zielgruppe getroffen wird. So verweisen sie darauf, dass sich die Klientel in den vergangenen Jahren verändert habe, viele gar nicht therapiefähig oder -willens seien. Grund dafür: Die Voraussetzungen in Paragraf 64 Strafgesetzbuch sind aus ihrer Sicht zu lasch formuliert. Und für manche Straftäter gebe es einen anderen Grund, auf eine zeitweise Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu drängen. Denn in bestimmten Konstellationen kann die Freiheitsstrafe dann früher zur Bewährung ausgesetzt werden, als es im regulären Strafvollzug der Fall wäre.

n diesen Stellschrauben soll nun gedreht werden. Der im Dezember vom Kabinett beschlossene und vergangene Woche erstmalig im Bundestag diskutierte Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Überarbeitung des Sanktionsrechts" greift Vorschläge, die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Anfang 2022 vorgelegt hatte, auf. Die Unionsfraktion hatte dazu im Mai 2022 ebenfalls einen inzwischen abgelehnten Entwurf eingebracht. Mit der Neuregelung sollen einerseits die Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug strenger gefasst werden. Zum anderen wird die vorteilhaftere Anrechnung des Maßregelvollzugs auf die Haftstrafe gestrichen.

Regeln zum Maßregelvollzug sollen enger gefasst werden

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte in der Debatte, dass es im "Interesse der Resozialisierung" der Verurteilten sei, dass diese Einrichtungen gut funktionieren. "Wir sorgen dafür, dass diese wichtigen Einrichtungen besser arbeiten können, dass sie sich konzentrieren auf diejenigen, die therapiefähig und -willig sind", so Buschmann.

Für die Unionsfraktion drückte Axel Müller (CDU) Unterstützung für diesen Teil des Entwurfes aus. Er warf der Ampelkoalition allerdings "gefährliche Untätigkeit" vor, hätten die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe doch bereits Anfang 2022 vorgelegen.

Linda Heitmann (Grüne) mahnte, dass mit der Reform künftig mehr suchtkranke Straftäter in den regulären Vollzug kommen würden. Auch für diese Menschen müssten "bessere Chancen auf eine Therapie ermöglicht werden", forderte sie.

Ersatzfreiheitsstrafen sollen halbiert werden, Linke will Entkriminalisierung

Der Entwurf greift zudem das in Fachkreisen schon seit langem und im vergangenen Jahr auch öffentlich breit diskutierte Thema der Ersatzfreiheitsstrafe auf. Diese kann angeordnet werden, wenn eine zu einer Geldstrafe verurteilte Person diese nicht bezahlt. Laut Bundesregierung hat die Zahl derer, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, merklich zugenommen. Kritikerinnen und Kritiker der Ersatzfreiheitsstrafe führen an, dass diese Haftstrafen vor allem mittellose Menschen wie Suchtkranke oder Obdachlose treffen würden, die etwa wegen Schwarzfahrens verurteilt worden sind. In der Debatte forderte für die Linksfraktion Clara Bünger daher eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und von Bagatelldelikten. Zudem sprach sie sich dafür aus, die Ersatzfreiheitsstrafen komplett zu streichen.

Ersatzfreiheitsstrafen sollen vermieden werden

So weit will die Bundesregierung nicht gehen. Als Druckmittel soll die Ersatzfreiheitsstrafe bestehen bleiben. Vorgesehen ist, dass die in Tagessätzen verhängte Geldstrafe nicht mehr eins zu eins in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgerechnet wird, sondern dass zwei Tagessätze künftig einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe bedeuten.

Zudem soll durch gesetzliche Regelungen festgeschrieben werden, dass Betroffene etwa auf die bereits bestehenden Möglichkeiten, Ratenzahlungen zu vereinbaren beziehungsweise gemeinnützige Arbeit abzuleisten, hingewiesen werden sollen. So sollen Betroffene Ersatzfreiheitsstrafe gänzlich vermeiden können.

Für die SPD-Fraktion kündigte Johannes Fechner noch Redebedarf bei den Regelungen an. Denkbar sei etwa eine Richteranhörung vor der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Auch bei der Berechnung von Geldstrafen sah der Sozialdemokrat Nachbesserungsmöglichkeiten.

Während von Seiten der Union dieser Vorschlag skeptisch beäugt wurde, lehnte die AfD ihn ab. Die vorgeschlagene Änderung sei "völlig überflüssig und wird die Bereitschaft zur Bezahlung der Geldstrafe sicherlich nicht erhöhen", kritisierte Thomas Seitz (AfD).

Wer aus Hass handelt, soll schärfer bestraft werden können

Erweitert werden soll zudem die Möglichkeit für Auflagen und Weisungen bei Bewährungsanordnungen oder Einstellungsauflagen. Ferner soll im Strafgesetzbuch explizit festgeschrieben werden, dass geschlechterspezifische oder die sexuelle Orientierung betreffende Tatmotive strafverschärfend berücksichtigt werden können. Das geschehe zwar schon häufig, die Änderung werde aber bei den Staatsanwaltschaften noch einiges ändern, wie der Beauftragte für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), betonte. Zudem sende der Gesetzgeber den Opfern so das Signal, "dass wir die Gewalt gegen sie ernst nehmen und das wir sie dabei nicht alleine lassen".