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Buchrezension : "Blutrünstigster Herrscher seit Stalin"

Slawist Michael Thumann beschreibt in "Revanche" den Ukraine-Krieg als Wladimir Putins Rachefeldzug.

13.02.2023
2024-02-28T10:49:02.3600Z
4 Min

In der journalistischen Tradition Gerd Ruges beobachtet und analysiert Michael Thumann für die Wochenzeitschrift "Die Zeit" die Entwicklungen im post-sowjetischen Russland. Der studierte Slawist lebte seit Anfang der 1990er viele Jahre im Land und leitet zurzeit zum dritten Mal das Moskauer Büro der "Zeit". Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine erlebte Thumann vor Ort: Dies verleiht seinen Berichten mehr Authentizität als vielen TV-Reportagen. Denn die Russen sprechen zwar gerne mit einem Fremden, der ihre Sprache beherrscht, aber ungern in eine Kamera.

Nachdem der Buchmarkt zwei Wellen mit eher Putin-freundlichen Publikationen erlebte, verzichten die aktuellen Russland-Bücher auf solch verständnisvolle Untertöne. Keines dieser Bücher ist jedoch gut wie die Arbeit Thumanns. Er hat Putin bereits 1999 interviewt und betrachtet den Kriegsherrn ganz nüchtern. Über zwei Jahrzehnte sei das Verhalten des Westens gegenüber Putins Ambitionen von Gutgläubigkeit, Vertrauensvorschüssen und Kumpanei geprägt gewesen. Dies hätte Putin erst groß gemacht, ist sich Thumann sicher. Nicht nur für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sei Putin "ein lupenreiner Demokrat" gewesen - "sogar bei den Grünen gab es Leute, die sich von Putin gern täuschen ließen". Thumann rechnet mit der deutschen Öffentlichkeit ab, die sich "überrascht" und "enttäuscht" von dem Gewaltmenschen im Kreml zeige: "Die Illusionen westlicher Politiker und Geschäftsleute haben Wladimir Putin geholfen, die Welt heute derart zu bedrohen."

Revanche für den Zerfall

Thumann erörtert die innen- und außenpolitischen Themen, die zum Krieg gegen die Ukraine führten. Für ihn ist klar: "Wladimir Putin nimmt Rache" und sinnt auf Revanche für die Zeit nach dem Zerfall des kommunistischen Imperiums. Dabei definiere der Kreml-Herrscher die nationalen Interessen Russlands neu; als souveräner Herrscher habe er sich allein für den Krieg gegen die Ukraine entschieden. Den Westen sieht er vor dem Untergang stehen.

Seit dem 24. Februar 2022 geht Putins Repressionsregime noch härter gegen "Verräter und Abschaum" vor. So tituliert Putin alle Bürger, die die Aggression gegen das Brudervolk mit dem verbotenen Wort "Krieg" bezeichnen und verurteilen. Entsprechend wollen Thumanns Geprächspartner oftmals nicht namentlich zitiert werden. Ihnen ist bewusst, dass Putin nicht nur die Ukraine zerstört, sondern parallel ein Angstregime errichtet hat und Russland ausschlachtet.

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Thumann vermutet, der Angriff auf die Ukraine könne Wladimir Putins letzter großer Auftritt auf der Weltbühne sein. Mit der Mobilmachung führe Russlands Präsident faktisch auch einen Krieg gegen das eigene Volk, er werde als "blutrünstigster Herrscher seit Stalin" in die russische Geschichte eingehen. Da Putin "den Gesellschaftsvertrag mit seinem Volk zerrissen" und den Petro-Wohlstand der vergangenen zwei Jahrzehnte verbrannt habe, werde die junge Generation den Niedergang seines Regimes begrüßen. Zurecht betont Thumann, Putin habe sein ursprüngliches Lebenswerk, die "Stabilisierung Russlands", selbst zerstört.

Michael Thumann:
Revanche.
Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat.
C.H.Beck,
München 2023;
288 Seiten, 25,00 €