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Rolle des Kanzleramts : Referatsleiter nimmt Stellung zum Vorwurf der Passivität

Der Untersuchungsausschuss befasst sich erstmals mit der Rolle des Kanzleramtes und der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Afghanistan-Politik.

24.04.2023
2024-04-19T13:34:02.7200Z
3 Min

Bisher hat sich der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan auf die Einschätzungen und die Arbeit einzelner Ministerien in den letzten eineinhalb Jahren des Afghanistan-Einsatzes konzentriert. In der jüngsten Sitzung rückten vergangene Woche erstmals das Bundeskanzleramt und die Rolle der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Vordergrund.

Im Vorfeld hatte sich mancher Parlamentarier kritisch über die Rolle Merkels geäußert. Es scheine, dass das Bundeskanzleramt sich sehr passiv verhalten habe, hieß es. Der Ausschuss wollte herausfinden, welche Gründe es dafür gab.

Keine Anweisungen der Kanzlerin und des Kanzleramtschefs

Dafür lud er zunächst den zuständigen Referatsleiter im Bundeskanzleramt vor. Ziel des Amtes sei es gewesen, eine kohärente Politik zu entwickeln und dafür einen Konsens zwischen allen beteiligten Ministerien zu erreichen, sagte der Zeuge. Jedes Ressort bringe seine eigene Sichtweise mit, auch in der Afghanistan-Politik.

Dennoch sei die Zusammenarbeit der Ministerien "sehr gut" gewesen, betonte er. Eine Staatssekretärsrunde, an der er auch beteiligt gewesen war, habe sich regelmäßig im Bundeskanzleramt ausgetauscht. Dabei habe es weder von Merkel noch vom damaligen Kanzleramtsminister Anweisungen gegeben.

Berichte und Dokumente vom Bundesnachrichtendienst

Auch habe er sich nie zu Wort gemeldet. Als Ausschussmitglieder das hinterfragten, verteidigte der Zeuge sich: "Im Endeffekt ging es darum, dort präsent zu sein."

Der interne Informationsfluss sei hauptsächlich über sein Referat gelaufen, berichtete er. Routinemäßig habe er Berichte und Dokumente, unter anderem vom Bundesnachrichtendienst (BND), erhalten. Nach Auswertung des Materials sei entschieden worden, was wichtig sei und was "nach oben" gegeben werden müsse.


„Jedes Ressort bringt seine eigene Sichtweise mit.“
Referatsleiter im Kanzleramt

Das Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban zum Abzug der US-Truppen im Februar 2020 habe die Berliner Machtzentrale überrascht, weil es eine Kehrtwende zur bisherigen Praxis dargestellt habe, sich auf Fortschritte in Afghanistan zu orientieren. Bei einem Telefonat Merkels mit dem neu gewählten US-Präsidenten Joe Biden habe es dazu aber keinen Durchbruch gegeben.

Präsident wollte Friedensverhandlungen in Deutschland abhalten 

Der Beamte unterstrich, Deutschland habe bei der afghanischen Regierung stets einen guten Ruf gehabt. "Aber bei den Taliban war das nicht so", fügte er hinzu. Deshalb seien die Möglichkeiten Berlins bei den innerafghanischen Friedensverhandlungen stark eingeschränkt und die "Verhandlungsdynamik" begrenzt gewesen.

Als der afghanische Präsident Aschraf Ghani gefragt habe, ob die innerafghanischen Friedensverhandlungen in Deutschland abgehalten werden könnten, habe Merkel die Idee unterstützt. Daraufhin habe sein Referat den Vorschlag an das Auswärtige Amt (AA) herangetragen, sagte der Kanzleramtsvertreter. "Die Idee kam jedoch nicht zum Tragen", erklärte er. "Vielleicht waren die Amerikaner skeptisch, vielleicht die Taliban."

Strittige Evakuierung der afghanischen Ortskräfte 

Auf den Umgang mit den Ortskräften und deren Evakuierung angesprochen, berichtete der Beamte, die Bundeskanzlerin habe mit einer Notiz auf einer Vorlage darum gebeten, Charterflüge als eine Alternative für die Evakuierung der Ortskräfte zu prüfen. Aus Sicht seines Referates sei dies auch möglich gewesen.

Das AA und das Bundesministerium für Zusammenarbeit (BMZ) seien jedoch skeptisch geblieben. Beide Ressorts hätten ihre Arbeit in Afghanistan auch nach dem militärischen Rückzug fortsetzen können und gefürchtet, falsche Signale auszusenden. Auch der afghanische Präsident Ghani habe darum gebeten, die Ortskräfte nicht zu evakuieren.

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Die Diskussion sei nicht abschließend geklärt worden, führte der Zeuge aus. Merkel habe aber mehrfach darauf bestanden, dass diese Option erhalten bleibe. Es sei jedoch nie davon die Rede gewesen, von der Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen.

Im Anschluss befragte der Untersuchungsausschuss, wie bei den früheren Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, noch zwei Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND).