
Nach den Wahlen in Tschechien : "Babiš ist ein größerer Pragmatiker als Orbán"
Dem Ex-Premierminister Andrej Babiš ist in Tschechien ein Comeback gelungen. Einen radikalen Kurswechsel erwartet Politikwissenschaftler Petr Jüptner trotzdem nicht.
Herr Jüptner, Wahlsieger Andrej Babiš wird oft als "tschechischer Trump" bezeichnet. Was ist da dran?
Petr Jüptner: Der Vergleich von Babiš und Trump ist treffend. Beide waren Unternehmer, beide haben sich oft an der Grenze der Regeln bewegt und beide sind in fortgeschrittenerem Alter in die Politik eingestiegen. Beide sind außerdem auf Transaktionen fokussiert - darauf, Deals zu schließen.
Politisch steht Babiš Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und dem slowakischen Premier Robert Fico nahe ...
Petr Jüptner: Ja, aber Babiš ist ein größerer Pragmatiker als Orbán und Fico. Das sieht man auch an seiner europapolitischen Ausrichtung: Ursprünglich gehörte seine Partei im EU-Parlament zur Fraktion Renew Europe, weil Babis seine Bewegung ANO als liberales Projekt gegründet hat. Danach ist er zur linken Seite des politischen Spektrums gerudert und hat die Wähler der Sozialdemokraten, die nicht mehr im tschechischen Parlament vertreten waren, übernommen. Auf Anraten seiner Berater hat er sich dann in die Welle gestürzt, die den Progressivismus mit seinen Zielen wie Chancengleichheit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit ablehnt. Im EU-Parlament ist ANO Teil der rechten Fraktion der Patrioten.

Nein zum Migrationspakt, nein zum Green Deal: Worauf muss sich Brüssel mit Babiš als Premier noch einstellen?
Petr Jüptner: Babiš ist kein Ideologe. Er spricht Englisch, Französisch, Deutsch, ist ein aktiver Kommunikator. Auf der europäischen Bühne wird auf jeden Fall sichtbar sein. Aber gleichzeitig gilt: Dass er vor seinen Wählern ganz anders über die EU spricht als in Brüssel, könnte seine Autorität in Europa untergraben. Und wenn er seine Position in Europa geschwächt sieht, könnte es passieren, dass er dann tatsächlich aus der pro-europäischen Strömung ausschert.
Bislang gehörte Tschechien zu den engagiertesten Unterstützern der Ukraine: Wird sich das nun ändern?
Petr Jüptner: Ein Teil der Wähler von ANO will die Ukraine nicht mehr so stark unterstützen. Bei ihnen herrscht der Eindruck vor, dass wir in Tschechien zu viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben und zu viel für sie tun. Auf der anderen Seite hat Andrej Babiš aber auch viele Wähler, die durchaus verstehen, warum Tschechien zusammen mit anderen Staaten die Ukraine unterstützt. Es liegt also nicht in Babiš' Interesse, in dieser Hinsicht allzu kategorisch aufzutreten. Hier jedenfalls dürfte er nicht mit Orbán und Fico an einem Strang ziehen.
Gilt das auch für die tschechische Munitionsinitiative? Babiš hat vor der Wahl angekündigt, sie zu beenden.
Petr Jüptner: Ich halte das nicht für definitiv.
„Den Wählern von Andrej Babiš und den anderen bisherigen Oppositionsparteien hingegen ging es weniger um die Außenpolitik, sondern vor allem um den eigenen Geldbeutel.“
Wie sehr haben außenpolitische Überlegungen die Entscheidung der tschechischen Wählerinnen und Wähler beeinflusst?
Petr Jüptner: Bei den Wählern der bisherigen Mitte-Rechts-Koalition spielte die Außenpolitik eine große Rolle. Manchen ging es explizit um die "Rettung der Demokratie". Eine große Motivation war für sie der Wunsch, die außenpolitische Orientierung Tschechiens beizubehalten. Den Wählern von Andrej Babiš und den anderen bisherigen Oppositionsparteien hingegen ging es weniger um die Außenpolitik, sondern vor allem um den eigenen Geldbeutel. Die scheidende Regierung von Petr Fiala hat ihre Reformen im Bereich der Wirtschafts- und Rentenpolitik nicht erklären können. Hinzu kam die starke Inflation. Das hat es der Opposition sehr leicht gemacht, zu behaupten, dass die Regierung den Bürgern und der tschechischen Wirtschaft schade.
Extreme Parteien haben bei der Wahl verloren: Die kommunistische Partei "Stacilo!" ("Es reicht!") scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde, die Rechtsnationalen schnitten mit weniger als acht Prozent schwächer ab als bei der letzten. Warum?
Petr Jüptner: Andrej Babiš konnte einen Teil dieser Wähler - ob nun von rechts oder von links - für sich gewinnen. Aber die Wähler, die dem Staat und seinen Institutionen misstrauen, sind dadurch nicht verschwunden.
Babiš' Partei ANO könnte zusammen mit der Autofahrerpartei ("Motoristé sobe") und der rechtsnationalen SPD regieren, die sich unter anderem für ein Referendum über den Austritt Tschechiens aus EU und Nato stark macht. Wie stabil wäre ein solches Bündnis?
Petr Jüptner: Ich würde nichts überstürzen: Es gibt noch keinerlei Einigung. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar hoch, dass es irgendeine Form der Zusammenarbeit zwischen den genannten drei Parteien geben könnte - sei es als Koalition oder sei es über die Duldung einer ANO-Minderheitsregierung durch die beiden kleineren Parteien. Aber vieles ist nicht vorhersehbar, zum Beispiel das Verhalten der SPD. Und auch Babiš selbst hat es schon in seiner Regierungszeit 2017 bis 2021 den Koalitionspartnern schwer gemacht. Er tritt sehr hart auf - das war so, als er noch Unternehmer war, und es ist jetzt in der Politik genauso. Es kann also durchaus passieren, dass die Verhandlungen scheitern und es zu einer völlig anderen Regierung kommt.
Der Autor berichtet als freier Korrespondent aus Tschechien.