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Vor den Parlamentswahlen : Moldau steht vor der "wichtigsten Wahl der Geschichte"

2,5 Millionen Moldauer stehen am Sonntag vor einer Richtungswahl. Ihr Ausgang entscheidet auch über den künftigen EU-Kurs des südosteuropäischen Landes.

25.09.2025
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4 Min

Vor der Parlamentswahl am Sonntag wächst in Moldau die Nervosität: Am Montag untersuchte die Polizei mehr als 250 Objekte in verschiedenen Orten des südosteuropäischen Landes, darunter auch Gefängnisse. 74 Bürger wurden unter dem Vorwurf der Vorbereitung von Unruhen zur Destabilisierung des Landes festgenommen. 

Die meisten stammen den Ermittlungsbehörden zufolge aus dem Norden Moldaus, das an Rumänien und die Ukraine grenzt. In Serbien sollen sie von russischen Agenten ausgebildet und mit 400 Euro bezahlt worden sein, lauten die Vorwürfe. Das ist viel Geld in Moldau, wo etwa 30 Prozent der 2,5 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze leben. "Das kriminelle PAS-Regime versucht uns einzuschüchtern", protestiert der pro-russische Sozialistenchef Igor Dodon. "Doch die Stimme des Volkes ist mächtiger als die Diktatur", sagt der Oppositionsführer.

Foto: picture alliance/dpa

Prominente Wahlhelfer: Polens Premier Donald Tusk, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz (v.l.n.r.) reisten Ende August nach Chisinau, um den pro-europäischen Kurs der moldauischen Präsidentin Maia Sandu (Mitte) zu unterstützen.

Im Dezember 2020 war Dodon bei den Präsidentschaftswahlen der früheren Weltbank-Ökonomin Maia Sandu unterlegen. Sandus pro-europäische "Aktion und Solidarität" (PAS) gewann daraufhin 2021 die Parlamentswahlen. Seither versucht sie das von Korruption geplagte Land zu reformieren und in die Europäische Union zu führen. Seit 2022 ist Moldau offiziell Beitrittskandidat. Im Juni 2024 begannen die Verhandlungen.

Moldau zwischen EU-Kurs und russischer Desinformation

Doch die Bevölkerung der ehemaligen Sowjetrepublik ist hin- und hergerissen zwischen einer Annäherung an die EU oder an Russland. Präsidentin Sandu hielt Moskau mehrfach vor, sich in innere Angelegenheiten des Landes einzumischen und Wahlen beeinflussen zu wollen. Zur Unterstützung ihres pro-europäischen Kurses hatte die EU im Juli erstmalig einen EU-Gipfel in Moldaus Hauptstadt verlegt. 

Zuletzt reisten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der polnische Premier Donald Tusk am 27. August, dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung von der Sowjetunion, nach Chisinau, um sich der russischen Einflussnahme entgegenzustellen. Die Wahl am Sonntag gilt als Richtungsentscheidung. Moldau stehe vor der "wichtigsten Wahl seiner Geschichte", hatte Sandu in einer Rede vor dem EU-Parlament Anfang September betont.


„Wir müssen der Bevölkerung besser erklären, dass wir dank EU-Geldern mehr Mittel im Staatshaushalt haben - und wer davon konkret profitiert.“
Cristina Gherasimov (Chefunterhändlerin für europäische Integration)

Wie diese ausgeht, sei völlig offen, sagen politische Beobachter in Chisinau. Doch viele fürchten einen Wahlsieg der pro-russischen "Patriotischen Front" des früheren moldauischen Präsidenten Dodon. Eines der drängendsten Probleme ist weiterhin die wirtschaftliche Lage des Landes und die hohe Inflation. Auf fast 30 Prozent war sie nach Russlands Angriff auf die Ukraine gestiegen. Inzwischen ist sie zwar wieder gesunken, doch mit 7,3 Prozent liegt sie noch immer sehr deutlich über dem EU-Durchschnitt.

Diese Unzufriedenheit versucht die Opposition, unterstützt von Moskau, mit allen Mitteln zu nutzen. Ob Stimmenkauf, Desinformation über Social-Media oder die Rekrutierung von Bürgern für geplante Proteste: Der Kreml investiert viel Geld und Knowhow in die hybride Kriegsführung, um Moldau zurück in den russischen Einflussbereich zu bringen.

Präsidentin Sandu wirft Moskau massive Wahlbeeinflussung vor

Sandu sprach in einem am Montag veröffentlichten Video von "hunderttausenden" gekauften Stimmen. Als pro-russisch gilt die sowjet-nostalgische "Patriotische Front" von Igor Dodon, aber teils auch die pro-europäisch auftretende "Alternative" rund um den beliebten Bürgermeister von Chisinau, Ion Ceban. 

Hintergrund

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Dieser verurteilte Russlands Krieg gegen die Ukraine, sein Wahlbündnis wurde aber 2022 vom US-Außenministerium wegen Verbindungen nach Russland auf eine Sanktionsliste gesetzt. Zusätzlich mischt im Wahlkampf die Formation "Unsere Partei" des in Russland reich gewordenen Politikers Renato Usati mit.

In der PAS-Wahlkampfzentrale geben sich Sandus Anhänger trotzdem siegesgewiss. 40 Prozent der Moldauer seien noch unentschieden, ob sich Moldau Brüssel oder Moskau zuwenden solle, so PAS-Generalsekretär Artur Mija. "Wir müssen der Bevölkerung besser erklären, dass wir dank EU-Geldern mehr Mittel im Staatshaushalt haben - und wer davon konkret profitiert", sagt Cristina Gherasimov, Chefunterhändlerin für europäische Integration.

Politische Beobachter: Regierung hat den pro-russischen Norden zu lange ignoriert

In Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region Gaugasien, wurden mit EU-Geld so bereits viele Landstraßen ausgebaut. Trotzdem hängen hier nur Wahlplakate der pro-russischen "Patriotischen Front". Es sei ein Fehler, dass die PAS um die russisch-sprachigen 20 Prozent der Wähler nicht kämpfe, kritisieren politische Beobachter. 

Seit 2021 habe sich die Partei vor allem auf Chisinau und Umgebung konzentriert und den pro-russisch wählenden, stark verarmten Norden und Süden des Landes vernachlässigt. Die Regierung in Chisinau mache leider viele Fehler und isoliere die Region, weil die Bürger immer wieder pro-russisch wählten, klagt auch Alexandru Tarnavschi, der letzte pro-europäische Abgeordnete im Parlament der Autonomen Region Gagausien. 

2024 soll der Oligarch Ilam Schor hier Zehntausende Wähler gekauft haben, damit diese die Kandidaten seiner pro-russischen Schor-Partei unterstützen und beim Referendum über den EU-Beitritt mit "Nein" stimmen. Auch 20.000 Rentner sollen sich damals dazu verpflichtet haben. Nun drohen ihnen hohe Strafen. "Die Strafen radikalisieren die Gagausen für Russland", fürchtet Tarnavschi.

Nach Festnahmen Anfang der Woche könnte das auch im Norden passieren. Unruhen drohen nun nicht, doch viele Bürger dürften am Sonntag aus Trotz gegen Sandus regierende PAS stimmen.

Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent.