Fünf Fragen an Elene Khoshtaria : "Wir fordern echte demokratische Bedingungen in Georgien"
Die georgische Oppositionspolitikerin Elene Khoshtaria über ihre Gründe für den Boykott der Kommunalwahlen und die Versuche des Regimes, den Widerstand zu brechen.
#1
Frau Khoshtaria, in Georgien sind am 4. Oktober Kommunalwahlen. Nach der gefälschten Parlamentswahl vor einem Jahr haben alle Oppositionspolitiker ihr Mandat nicht angetreten. Warum boykottieren Sie nun auch die Kommunalwahl?
Elene Khoshtaria: Der "Georgische Traum" ist ein autoritäres Regime nach russischem Vorbild unter der Führung von Bidsina Iwanischwili, einem sanktionierten Oligarchen, der den Interessen des Kremls dient. Wahlen unter solchen Bedingungen sind weder frei noch fair. Daran teilzunehmen, hieße, einen Prozess, der nicht mehr den Willen des Volkes repräsentiert, zu legitimieren. Wir fordern stattdessen echte demokratische Bedingungen, beginnend mit der Freilassung politischer Gefangener und neue Parlamentswahlen unter internationaler Aufsicht.

#2
Drei Oppositionsparteien nehmen dennoch an den Wahlen teil. Warum konnte sich die Opposition nicht einigen?
Elene Khoshtaria: Die Teile-und-herrsche-Strategie des Regimes lebt von Angst und davon, politische Gegner in ihr Machtsystem zu integrieren. Die Entscheidung der Parteien, an diesen Wahlen teilzunehmen, respektieren wir, glauben aber, dass es wichtiger denn je ist, eine rote Linie gegen Autoritarismus zu ziehen. Unsere Botschaft ist klar: Ohne echte Reformen und freie Wahlen kann es keine Normalisierung geben.
#3
Bei Demonstrationen kommt es zu massiven Gewaltausbrüchen von Seiten der Behörden. Die Regierung eskaliert die Situation derzeit in einem Ausmaß, wie es seit Dezember nicht mehr der Fall war. Warum jetzt und mit welchem Ziel?
Elene Khoshtaria: Das Regime gerät in Panik. Es hat seine Legitimation, die internationale Unterstützung und die Kontrolle über die politische Entwicklung verloren. Die Eskalation, die Verhaftung von Aktivisten, die Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen und Politikern, die Bedrohung von Journalisten, all das ist der letzte Versuch des Regimes, den Widerstand vor den sogenannten Kommunalwahlen zu brechen. Iwanischwili weiß, dass eine geeinte Opposition und eine mobilisierte Öffentlichkeit sein autoritäres Projekt noch stoppen können. Deshalb versucht das Regime, Angst zu schüren und die Menschen zu ermüden. Doch das wird nach hinten losgehen. Je härter es vorgeht, desto deutlicher wird sein wahres Gesicht, umso größer wird die Wut der Bevölkerung.
„Der Widerstand findet nicht im Parlament, sondern auf der Straße und in internationalen Foren statt.“
#4
Die Regierung hat nicht nur den EU-Beitrittsprozess ausgesetzt, am 2. September verfügte zudem das georgische Parlament, dass Georgien die Schuld am Krieg mit Russland im Jahr 2008 trage. Niemand im Parlament widersprach dem. Bereuen Sie jetzt, das Mandat nicht angetreten zu haben?
Elene Khoshtaria: Dieses Parlament ist illegitim. Die sogenannte Untersuchungskommission, die Georgien für Russlands Angriffskrieg verantwortlich macht, ist ein direktes Produkt von Iwanischwilis kremlnaher Außenpolitik. Wären wir in dieses Parlament eingezogen, hätte es das Abstimmungsergebnis nicht verändert. Es hätte das Ganze aber legitimiert. Der Widerstand findet nicht im Parlament, sondern auf der Straße und in internationalen Foren statt, wo wir weiterhin für Georgiens wahre Geschichte, Souveränität und europäische Zukunft kämpfen.
#5
Direkte Verbindungen zwischen dem russischen Regime und der georgischen Regierung konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Wie lässt sich russischer Einfluss feststellen?
Elene Khoshtaria: Russischer Einfluss ist nicht immer ein unterzeichneter Vertrag. Er ist ein System aus Anreizen, Abhängigkeiten und Verhalten. Die Bilanz des "Georgischen Traums" spricht für sich: Sabotage der EU- und Nato-Integration, Verabschiedung eines "ausländischen Agenten"-Gesetzes nach dem Vorbild Moskaus, Angriffe auf die Zivilgesellschaft, Dämonisierung des Westens und Unterstützung russischer Oligarchen. Russischer Einfluss wird durch Taten bewiesen, nicht durch Papierkram. Und die Aktionen des "Georgischen Traums" folgen Schritt für Schritt dem Drehbuch des Kremls.

Nach der manipulierten Parlamentswahl vor knapp einem Jahr stehen in Georgien Kommunalwahlen an. Der Umgang damit spaltet die ohnehin zerstrittene Opposition weiter.

Während die Proteste nicht abreißen, fordert Präsidentin Salome Surabischwili EU-Unterstützung für Neuwahlen. Die prorussische Regierung festigt indes ihre Macht.

Weiterhin demonstrieren Tausende Menschen in Georgien gegen die prorussischen Regierung. Die geht inzwischen mit zunehmender Härte gegen Oppositionelle vor.