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Kommunalwahlen in Georgien : Zwischen Boykott und Bürgermeisterkandidaten

Nach der manipulierten Parlamentswahl vor knapp einem Jahr stehen in Georgien Kommunalwahlen an. Der Umgang damit spaltet die ohnehin zerstrittene Opposition weiter.

02.09.2025
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3 Min

Am 4. Oktober wählen die Georgier in 64 Gemeinden neue Bürgermeister und Landräte. Es ist der erste Urnengang nach der gefälschten Parlamentswahl im vergangenen Oktober. Große Teile der Opposition boykottieren das Ereignis. „Das ist keine Wahl, weil das Ergebnis bereits im Voraus feststeht“, sagt die Vorsitzende der größten Oppositionspartei "Vereinigte Nationale Bewegung", Tina Bokutschawa, „Das sind Wahlen, wie sie auch in Russland stattfinden.“ Wie alle Oppositionspolitiker in Georgien, hat Bokutschawa ihr im Herbst errungenes Parlamentsmandat gar nicht erst angetreten.

Acht Oppositionsparteien haben den Boykott der Kommunalwahl erklärt

Der Umgang mit der Kommunalwahl spaltet die hoffnungslos zerstrittene Opposition weiter. Neben der Nationalen Bewegung haben weitere sieben Parteien den Boykott erklärt. Dagegen nehmen die liberale Partei "Girtschi", die wirtschaftsliberale Partei „Lelo - starkes Georgien“ und die eher sozialdemokratische Partei „Gacharia für Georgien“ teil. Die beiden letztgenannten haben sogar einen gemeinsamen Kandidaten für das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt aufgestellt, Irakli Kupradze. 

Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

So wie hier im Mai 2025 versammeln sich seit dem 28. November vergangenen Jahres weiterhin jeden Abend Menschen vor dem Parlament in Tiflis, um für freie Wahlen und die Freilassung von Inhaftierten zu demonstrieren.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass eine europäische Stadt wie Tiflis von einem Mann unter russischem Einfluss regiert wird. Deshalb nehmen wir teil", erklärt Kupradze. Er meint den aktuellen Bürgermeister von Tiflis, Kacha Kaladze, der zugleich Generalsekretär der Regierungspartei „Georgischer Traum“ ist und die georgische Hauptstadt seit acht Jahren regiert. 

In der Vergangenheit ist der ehemalige Fußballprofi vor allem damit aufgefallen, europäische Politiker zu diffamieren. Demokraten bezeichnet Kaladze als radikale Gruppierungen, die er besiegen möchte. „Die Oppositionsparteien haben keine Chance, weder in den Bezirken noch in einer Stadt“, behauptete er am 5. Juni bei einer Pressekonferenz in Tiflis. „Niemand unterstützt sie.“ 

Parlamentsausschuss soll mutmaßliche Verbrechen der Opposition untersuchen

Derzeit sind acht führende Oppositionspolitiker im Gefängnis, weil sie der Vorladung eines Parlamentsausschusses nicht nachgekommen sind, der mutmaßliche Verbrechen der Nationalen Bewegung untersuchen soll. Das Parlament sei illegal und damit auch der Ausschuss, so die Oppositionspolitiker. „Das ist kein Untersuchungsausschuss, das ist ein Instrument der Regierung, um gegen ihre Gegner vorzugehen“, sagte Badri Dschaparidze von Lelo, einer der Inhaftierten.


„Die Opposition muss in dieser Situation geeint auftreten. Die Lage ist zu ernst für Streitigkeiten.“
Demonstrant in Tiflis

„Man sollte jedes Schlachtfeld nutzen, um eine vollständige Konsolidierung der Macht in den Händen von Bidzina Iwanischwili zu verhindern“, rechtfertigt Oppositionspolitiker Irakli Kupradze im Georgischen Dienst von Radio Liberty die Teilnahme an den Kommunalwahlen. Iwanischwili, der Gründer des „Georgischen Traums“, ist der mächtigste Mensch in Georgien. Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes umfasste sein Reichtum, als er und seine Leute 2012 die Regierung übernahmen, etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistung des gesamten Landes. 

Gründer der Regierungspartei mit guten Beziehungen zu Putin?

Die Grundlage für sein Vermögen hat er in den chaotischen 1990er Jahren in Russland gelegt. Das ging nicht ohne Verbindungen zum Machtapparat. Dass er besonders gute Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hat, ist allerdings nicht nachgewiesen. „Iwanischwili kämpft gegen die nationalen Interessen Georgiens“, sagt Oppositionskandidat Kupradze. Damit meint er vor allem die Integration des Landes in die EU und die Nato, die seit vielen Jahren 80 Prozent der Georgier quer durch alle Bevölkerungsgruppen unterstützen und die sogar als Ziel in der Verfassung steht. 

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Die georgische Regierung hat Beitrittsgespräche mit der EU jedoch ausgesetzt. Angesichts diverser Gesetze, die den Grundregeln der EU entgegenstehen und diverser Beleidigungen und Diffamierungen von EU-Vertretern und Diplomaten, betrachtet die EU Georgien mittlerweile nicht einmal mehr als befreundetes Land. Der in der Regierungspartei „Georgischer Traum“ für europäische Integration zuständige Abgeordnete hat auf Interviewanfragen nicht reagiert.

Derweil demonstrieren Georgier seit dem 28. November vergangen Jahres weiterhin jeden Abend vor dem Parlament für die Westbindung des Landes. „Die Opposition muss in dieser Situation geeint auftreten“, sagt Levan, ein Mann um die 50, der nahezu jeden Abend im Zentrum von Tiflis steht. Er hat sein Gesicht verhüllt. „Die Lage ist zu ernst für Streitigkeiten.“ Er spricht aus, was viele Georgier denken und sagen: „Wer an diesen Wahlen teilnimmt, legitimiert eine Farce.“ 

Dass nicht mehr zigtausend Menschen zu den Protesten kommen, wie noch im Winter, sondern an einigen Tagen nur Dutzende, liege daran, "dass die Polizei aufgehört hat, Demonstranten brutal zu verprügeln“, sagt Levan. „Wenn die Regierung und die Polizei damit wieder anfangen, stehen hier auch wieder Tausende vor dem Parlament.“

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