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Einigung von Union und SPD : Kritische Reaktionen auf das schwarz-rote Sondierungspapier

Im Turbo haben Union und SPD nach der Bundestagswahl Gemeinsamkeiten einer möglichen Koalition ausgelotet. Aus den Fraktionen kommt Kritik am Sondierungsergebnis.

13.03.2025
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4 Min
Foto: picture alliance / dts-Agentur

Friedrich Merz (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Saskia Esken (SPD) und Markus Söder (CSU) verkündeten am 8. März die Einigung auf ein gemeinsames Sondierungspapier.

Die Bundestagswahl liegt gerade mal drei Wochen zurück und das Motto der wahrscheinlich nächsten Koalition aus CDU/CSU und SPD scheint zu sein: Wir dürfen keine Zeit verlieren! Am Samstag einigten sich beide Seiten auf ein Sondierungspapier  als Grundlage für Koalitionsverhandlungen. Die dort beschlossenen Maßnahmen würden die Handschrift beider Gesprächspartner tragen, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Zentrale Themen des Papiers sind Maßnahmen in den Bereichen Migration, Wirtschaft sowie Arbeit und Soziales.

Bereits am Donnerstag starteten auf dieser Basis erste Koalitionsgespräche in 16 Arbeitsgruppen, die schon nach zehn Tagen, also bis zum 24. März, ihre Ergebnisse präsentieren sollen.

Einigung im Eiltempo: Scharfe Kritik aus den Fraktionen im Bundestag

Aus den anderen Bundestagsfraktionen hagelte es für die im Sondierungspapier formulierten Ergebnisse deutliche Kritik. So kritisierte die Grünen Co-Parteichefin Franziska Brantner die angestrebten Schwerpunkte und den mangelnden Fokus auf Klimapolitik. Offensichtlich gehe es Union und SPD nicht darum, strukturelle Probleme zu lösen, sondern „alles mit Geld zuzuschütten“, sagte sie nach Bekanntwerden der Einigung.

Die AfD-Fraktion nannte das Ergebnis „kläglich“. Die sozial- und wirtschaftspolitischen Vorhaben trügen ausschließlich die Handschrift des Wahlverlierers SPD und seien Rezepte aus der „sozialistischen Mottenkiste“. Die Linke sieht in dem Sondierungspapier eine Politik gegen die Interessen der meisten Bürger. „Es gibt maximal ein ‚Weiter-so‘“, hieß es aus der Fraktion. Zentrale Themen wie Wohnungsbau, Gesundheit und steigende Lebensmittelpreise würden nebenbei verhandelt. 

Die FDP kritisierte das Papier ebenfalls als unzureichend. Dem gigantischen Schuldenpaket stehe nur einzelnes Stückwerk gegenüber, betonte Fraktionschef Christian Dürr. 


Die wichtigsten Punkte aus dem Sondierungspapier im Überblick

Arbeit und Soziales

Mindestlohn: Union und SPD halten an der unabhängigen Mindestlohnkommission fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns soll sich diese "sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren", wie es im Papier heißt. "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar."

Bürgergeld: Das Bürgergeldsystem soll überarbeitet werden. "Wir werden das bisherige Bürgergeldsystem neu gestalten, hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende", sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Für Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, werde ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. 

Rente: Wer in der Rente noch freiwillig weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können. Die sogenannte Mütterrente soll ausgeweitet werden: Auch für vor 1992 geborene Kinder sollen drei statt wie bisher maximal zweieinhalb Erziehungsjahre bei der Rente angerechnet werden.

Pflege: Angesichts immer weiter steigender Milliardenkosten wollen Union und SPD "eine große Pflegereform" auf den Weg bringen.

Überstunden: Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, sollen steuerfrei gestellt werden.

Migration

Staatsangehörigkeitsrecht: Das von der Ampel-Koalition reformierte Staatsangehörigkeitsrecht soll weiter Bestand haben. Die verkürzten Wartefristen für eine Einbürgerung und den Doppelpass für Nicht-EU-Bürger sollen bleiben. 

Zurückweisungen: An den Landgrenzen sollen künftig auch Menschen zurückgewiesen werden, die ein Asylgesuch stellen - allerdings nur in Abstimmung mit den Nachbarstaaten. Möglich sind Zurückweisungen grundsätzlich nur da, wo es stationäre Grenzkontrollen gibt. Die hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zwar in den vergangenen Jahren sukzessive für alle deutschen Landgrenzen angeordnet - wer einen Asylantrag stellen will, darf aber in der Regel einreisen.

Wirtschaft und Finanzen

Stromsteuer: Zur Entlastung von Unternehmen und privaten Haushalten soll die Stromsteuer auf den in der EU erlaubten Mindestwert sinken. Das soll zu Entlastungen um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde führen. Union und SPD wollen daneben die Übertragungsnetzentgelte halbieren, ein Bestandteil des Strompreises. 

Steuerreform: Die "breite Mittelschicht" soll laut Sondierungspapier entlastet werden. Geplant ist eine Reform der Einkommensteuer. Außerdem soll die Pendlerpauschale in der Steuererklärung erhöht werden.

E-Autos: Um die schleppende Nachfrage nach Elektroautos wieder stärker anzukurbeln, planen Union und SPD wieder "einen Kaufanreiz". Eine bestehende Kaufprämie war Ende 2023 wegen Haushaltsnöten von der Ampel-Koalition abrupt gestoppt worden, danach sackte die Nachfrage spürbar ab.

Gastronomie: Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie soll dauerhaft auf sieben Prozent sinken. Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie war bereits in der Corona-Zeit von 19 auf sieben Prozent gesenkt worden, allerdings nur vorübergehend.

Landwirtschaft: Das von der Ampel-Koalition beschlossene Aus für Agrardiesel-Vergünstigungen für Bauern soll gekippt werden.

Weitere Themen

Mietpreisbremse: Die Mietpreisbremse soll zunächst für zwei Jahre verlängert werden. Dieses Instrument für den Mieterschutz wäre sonst Ende 2025 ausgelaufen.

Nahverkehr: Das beliebte Deutschlandticket für Busse und Bahnen kommt in den Koalitionsverhandlungen auf den Tisch - über die Fortsetzung über das Jahresende hinaus soll beraten werden.

Wahlrecht: Eine erneute Reform des kürzlich erst geänderten Bundestagswahlrechts soll geprüft werden. Kritik gab es vor allem, weil bei der Wahl am 23. Februar einige Direktkandidaten, die ihren Wahlkreis gewonnen hatten, kein Mandat erhielten.


Grüne wollen schwarz-rotes Vorhaben zum Sondervermögen nicht unterstützen

Noch bevor die neue Regierung und ihr Programm steht, soll nach den Vorstellungen von Union und SPD die Finanzierungsgrundlage für die kommenden vier Jahre abgesichert werden – also vom 20. Deutschen Bundestag noch vor der Konstituierung des 21. Bundestages am 25. März. Darüber ist nun eine heftige Debatte entbrannt. 

Die Grünen, die als Mehrheitsbeschafferin für das mehrere hundert Milliarden schwere Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur und für eine Lockerung der Schuldenbremse zur Finanzierung höherer Bundeswehr-Ausgaben nötig wären, haben am Montag zunächst abgewunken. Sie stünden nicht zur Verfügung, um "Wahlgeschenke" von Union und SPD zu finanzieren, machte Co-Parteichefin Franziska Brantner in einem gemeinsamen Statement von Partei- und Fraktionsspitze auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes deutlich. 

Union und SPD geben sich dennoch optimistisch, mit den Grünen zu einer Lösung zu kommen. Die Abstimmung über den Gesetzentwurf für das Finanzpaket von schwarz-rot soll am 18. März stattfinden.

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