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Foto: picture alliance/dpa | Monika Skolimowska
Das Potsdamer Stadtschloss ist der Sitz des Brandenburger Landtags. Der interne Streit in der BSW-Landtagsfraktion droht zu eskalieren - die Koalition von SPD und BSW steckt in einer Krise.

Chaostage im Brandenburger Landtag : Deutschlands einziges SPD/BSW-Bündnis vor der Zerreißprobe

Im Streit über Medienstaatsverträge ist die SPD/BSW-Koalition in Potsdam in eine Krise geraten. Vier BSW-Mitglieder sind aus der Partei ausgetreten.

18.11.2025
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5 Min

Es sind chaotische Tage im Brandenburger Parlament. Nach dem Austritt von vier Landtagsabgeordneten beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und einem Richtungsstreit in der Fraktion steht Deutschlands einziges rot-lila Regierungsbündnis vor einer Zerreißprobe. SPD und BSW haben im Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. Und die ist durch die Querelen in der Wagenknecht-Partei fragil wie nie.

Ministerpräsident Woidke ruft das BSW zur Räson

Zwar betonte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der vergangene Woche während einer Wirtschaftsreise in Großbritannien von dem Potsdamer Streit überrascht wurde: „Die Koalition steht.“ Die Debatten innerhalb des BSW, die wegen unterschiedlicher Positionen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eskalierten, hätten mit dem Regierungsbündnis nichts zu tun. „Die Menschen im Land erwarten, dass wir für Brandenburg arbeiten“, rief Woidke den Partner zur Räson. Doch auch nach einer Sondersitzung der BSW-Fraktion am vergangenen Freitag ist die Krise noch nicht ausgestanden.

Nach der Landtagswahl im Herbst 2024 war ein Bündnis mit dem BSW für die Woidke-SPD, die zuvor fünf Jahre lang mit CDU und Grünen regiert hatte, im neuen Vier-Parteien-Parlament die einzige Option. Eine Kooperation mit der AfD, die Woidke mit einem auf ihn zugeschnittenen Wahlkampf knapp besiegte und die inzwischen vom Brandenburger Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist, kam nicht infrage. Eine Minderheitsregierung mit der CDU, die ihr bislang schlechtestes Ergebnis in Brandenburg einfuhr und nur noch zwölf Abgeordnete stellt, wurde von beiden Parteien verworfen.

Vier BSW-Abgeordnete haben ihre Partei verlassen 

Somit blieb als Juniorpartner nur das erst im Mai 2024 auf Landesebene gegründete BSW, das bei der Brandenburg-Wahl aus dem Stand 13,5 Prozent holte und mit 14 Abgeordneten, überwiegend Politikneulingen, in den Landtag einzog. Ein gutes Jahr später haben vier von ihnen der Partei den Rücken gekehrt. 


„Es ist bestimmt kein Zufall, dass das jetzt gleichzeitig passiert.“
Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek

Am Dienstag vergangener Woche erklärten Landtagsvizepräsidentin Jouleen Gruhn, Alterspräsident Reinhard Simon, früher Theaterintendant in Schwedt, die Sachbuchautorin Melanie Matzies und der Arbeitsrichter André von Ossowski überraschend ihren Austritt beim BSW. Als Grund gaben sie an, dass „autoritäre Tendenzen“ und „radikalisierte Positionen“ in der Partei zunähmen. Auch dass Ostdeutschland bei der Neuaufstellung des Bundesvorstands „sträflich vernachlässigt“ werde, habe sie zum BSW-Austritt bewogen.

Kritik von Wagenknecht am Verhalten der Abtrünnigen

Einen Tag zuvor hatte Parteigründerin Sahra Wagenknecht ihren Rückzug von der BSW-Bundesspitze angekündigt. „Es ist bestimmt kein Zufall, dass das jetzt gleichzeitig passiert“, erklärte der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ zu den vier Parteiaustritten in Brandenburg. „Wenn man das Gefühl hat, man ist Teil eines sinkenden Schiffs, möchte man abspringen, bevor es zu spät ist“, sagte Thomeczek, der an der Universität Potsdam zum BSW forscht.

Wagenknecht kritisierte die vier Abtrünnigen noch am selben Abend. „Ich finde es wirklich problematisch, wenn einzelne Abgeordnete hier in einer wichtigen Position – und unsere Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine wichtige Position – meinen, das müssten sie einfach anders machen, weil sie es vielleicht besser wissen“, sagte sie in der ARD.

Konflikt über die Staatsverträge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Denn offen ausgebrochen war der im Brandenburger BSW schon länger gärende Konflikt beim Thema Öffentlich-Rechtliche. Die beiden Staatsverträge, mit denen ARD, ZDF und Deutschlandradio durch eine Verringerung der Programme finanziell konsolidiert und der Jugendmedienschutz verbessert werden sollen, waren im April vom SPD/BSW-Kabinett verabschiedet worden – mit Zustimmung aller drei BSW-Ministerinnen und -Minister, darunter Finanzminister und Vize-Ministerpräsident Robert Crumbach, früher SPD-Mitglied, der das BSW in Brandenburg aufbaute.

Dann kam der Schwenk der Bundespartei, die die Rundfunkreform für nicht ausreichend hält. Nach einem einstimmigen Beschluss hatte Brandenburgs BSW-Chefin Friederike Benda – Nachfolgerin von Crumbach und als Vize-Bundesvorsitzende eine Vertraute Wagenknechts – mit Fraktionschef Niels-Olaf Lüders die Parteilinie in der Landtagsfraktion durchgesetzt. Die vier ausgetretenen Abgeordneten wollten wie Minister Crumbach, der gleichzeitig Abgeordneter ist, für die Verträge stimmen und der Kabinettslinie folgen.

Die Landes-CDU unterstützt die Rundfunkstaatsverträge

Der Versuch der vier Rebellen, Fraktionschef Lüders und seinen ebenfalls als Hardliner geltenden Vize-Chef Christian Dorst mit Misstrauensanträgen zu stürzen, scheiterte allerdings am Freitag. Für die Abwahl der Fraktionsspitze stimmten sechs Abgeordnete, acht dagegen. Die vier BSW-Abtrünnigen erklärten, dennoch bis auf Weiteres als Parteilose in der Fraktion zu bleiben. Bei der Abstimmung zu den Medienstaatsverträgen am Mittwoch in der Plenarsitzung  des Landtags wollen sie den Saal verlassen, um nicht gegen den Fraktionsbeschluss zu verstoßen.


„Wir versuchen erst einmal, als Koalition, die ja noch existent ist, zusammenzufinden.“
Brandenburgs SPD-Generalsekretär Kurt Fischer

Eine Mehrheit dürften die Staatsverträge, die alle 16 Landtage bis Ende November absegnen müssen, in Brandenburg dennoch finden: Die oppositionelle CDU, die die Verträge in der damaligen Kenia-Koalition bereits gebilligt hatte, will zustimmen. Die Vorwegnahme eines neuen Bündnisses? Nur eine Stimme fehlt für eine SPD-CDU-Koalition. Bisher haben SPD und Union zusammen 44 von 88 Sitzen im Parlament. Möglich wäre, nun doch eine rot-schwarze Minderheitsregierung zu bilden und bei den Parteilosen jeweils um Zustimmung zu werben.

Der Fortbestand des Bündnisses von SPD und BSW scheint nicht gesichert

Brandenburgs SPD-Generalsekretär Kurt Fischer betonte allerdings im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), dass es aktuell keine Angebote an andere Parteien gebe: „Das wäre viel zu früh. Wir versuchen erst einmal, als Koalition, die ja noch existent ist, zusammenzufinden.“

Doch auf Dauer sicher ist der Fortbestand von Deutschlands erstem SPD/BSW-Bündnis nicht. Am Wochenende legte der Ex-BSW-Abgeordnete André von Ossowski mit interner Kritik nach. „Das Eingehen einer Koalition war in der Fraktion von Anfang an umstritten“, teilte er mit. „Starke Gegner übten lediglich Disziplin, weil diese von Sahra Wagenknecht gewünscht war.“ Am Montag konterte der Fraktionsvorstand und beschloss, den vier abtrünnigen Abgeordneten in der bevorstehenden Plenarsitzung die Redebeiträge zu entziehen. Zudem legte Fraktionsvize Dorst Minister Crumbach den Austritt aus der Fraktion nahe.

Neuwahlen stehen wohl erst einmal nicht an

Ein Szenario wünschen sich hingegen weder BSW, noch SPD oder CDU: Neuwahlen. Daran hat die AfD ein Interesse, die bei Umfragen vorne liegt. Auch die Grünen, die 2024 wie die Linke aus dem Landtag flogen, fordern vorgezogene Wahlen. Doch die Hürde ist hoch: Für eine Selbstauflösung des Parlaments ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Plenum nötig. Politikwissenschaftler Thomeczek meint deshalb: „Eine Auflösung des Landtags sehe ich gerade noch nicht auf uns zukommen.“

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