Petentin fordert Mindestalter für Social Media : Wenn Algorithmen aufs Gemüt drücken
Viele Kinder und Jugendliche leiden unter der Nutzung sozialer Medien. Hilft ein gesetzliches Mindestalter? Damit beschäftigte sich der Petitionsausschuss näher.
Nicht nur Eltern, auch sehr viele Jugendliche sympathisieren mit strengeren Regeln. Die Algorithmen sorgen dafür, dass viele Nutzer sehr viel Zeit bei Social Media verbringen.
Die sozialen Medien wirken sich negativ auf die psychische und die körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus. Diese Ansicht vertritt eine deutliche Mehrheit der im Rahmen des ifo Bildungsbarometers 2025 befragten Personen. 40 Prozent der Erwachsenen gehen davon aus, dass sich Social Media negativ auswirkt - 37 Prozent sehen gar eine sehr negative Wirkung auf die psychische Gesundheit. Bei der körperlichen Gesundheit sieht es ähnlich aus: 36 Prozent glauben an einen negativen Einfluss, sogar 38 Prozent an sehr negative Folgen. Ähnlich ist der Befund hinsichtlich des Einflusses auf die schulischen Leistungen, die sozialen Kompetenzen und die Identitätsfindung.
So weit, so erwartbar. Die ifo-Forscher haben aber herausgearbeitet, dass die Jugendlichen selbst das fast genauso dramatisch einschätzen. Bei psychischer Gesundheit, körperlicher Gesundheit, der Aufmerksamkeit und den schulischen Leistungen geht eine Mehrheit von negativen bis sehr negativen Folgen aus.
Warum, so könnte man fragen, hören sie dann nicht mit der Social Media Nutzung auf? Weil sie es allein nicht schaffen, wie eine Mehrheit der für eine Studie der Vodafone-Stiftung Befragten einräumt. Zu groß ist offenbar die Sogwirkung von TikTok, Instagram und Co.
Australien macht es vor, hat Ende 2024 ein Verbot beschlossen
Hilfe erhoffen sie sich von der Politik. Laut dem ifo Bildungsbarometer sind 47 Prozent der Jugendlichen für eine Accounterstellung erst ab 16 - 42 Prozent sind dagegen. Bei den Erwachsenen befürwortet eine klare Mehrheit von 85 Prozent ein Social Media-Verbot für unter 16-Jährige.
Wie aber soll ein solches Verbot aussehen? Ein Blick nach Australien hilft weiter. Dort wurde Ende 2024 ein Gesetz verabschiedet, das neun namentlich genannte Tech-Unternehmen, darunter TikTok, Snapchat, YouTube, Facebook und Instagram, verpflichtet, funktionierende und datenschutzkonforme Alterskontrollen einzuführen. Tun sie das nicht, drohen ihnen empfindliche Geldstrafen im zweistelligen Millionenbereich. Am 10. Dezember läuft der Countdown ab. Dann dürfen in Australien unter 16-Jährige keine Social Media-Accounts mehr haben.
„Kinder sind im digitalen Raum schwerwiegenden Gefahren und Risiken ausgesetzt.“
Und wie sieht es in Deutschland aus? Am Montag hat sich der Bundestag mit dem Thema befasst - genauer gesagt, der Petitionsausschuss. Grundlage war eine Petition von Verena Holler, Mitgründerin und Vorstandsmitglied des Vereins "Smarter Start". Sie fordert ein gesetzliches Mindestalter von 16 Jahren für die Nutzung von Social Media.
Petentin fordert ein Mindestalter von 16 Jahren für Social Media
Kinder seien im digitalen Raum schwerwiegenden Gefahren und Risiken ausgesetzt, verbrächten mehr und mehr Zeit vor Bildschirmen, statt sich aktiv mit Familie, Freunden und der Offline-Welt auseinanderzusetzen, sagte sie. Die Frage sei, wie man Kinder vor Plattformen schützen kann, "die ihr Verhalten, ihre Schwächen, ihre Stimmungen durchgehend beobachten und analysieren".
Wenn Kinder und Jugendliche unzufrieden mit ihrem Körper, traurig wegen Liebeskummer oder empfänglich für extremistisches Gedankengut seien, werde ihnen passgenau das vorgesetzt, für das sie in diesem Moment empfänglich seien. Für die einen seien das Inhalte, die Essstörungen fördern, für die anderen Inhalte, die Suizid als Lösung aller Probleme glorifizierten, für den dritten extremistische Propaganda. "Die richtige Antwort auf diese Fragen ist ein gesetzliches Mindestalter von 16 Jahren für Social Media kombiniert mit einer verpflichtenden Altersverifikation", sagte die Petentin.
Die Dauernutzung ist eine Folge gezielt entwickelter Algorithmen
Die vermeintliche Alternative, Kinder durch den Aufbau von Medienkompetenz zum Selbstschutz zu befähigen, "klingt vernünftig, ist es aber nicht", befand sie. Es liege nicht an mangelnder Aufklärung, wenn Kinder zu lange scrollten oder sich bei Gewalttaten oder lebensgefährlichen Challenges filmten. Es sei vielmehr die logische Folge von Algorithmen, die genau zu diesem Zweck programmiert würden.
Holler hält den australischen Weg für den richtigen. Die Plattformbetreiber hätten das Problem geschaffen. Daher müsse man sie auch in die Verantwortung nehmen, es zu lösen.
Bundesregierung setzt auf Altersverifikation mit der EUDI-Wallet
Die Bundesregierung hat auf die Problematik mit der Einsetzung einer Expertenkommission reagiert, die im Herbst 2026 ihre Ergebnisse vorlegen wird, wie Familien-Staatssekretärin Mareike Wulf (CDU) während der Sitzung sagte. Ein wissenschaftsbasiertes Vorgehen sei wichtig, betonte sie. Bei der Altersverifikation will man aber offenbar nicht auf Aktivitäten der Unternehmen setzen.
Mit der EUDI-Wallet, einer Art digitaler Identitätsnachweis, gebe es Ansätze für einen Mechanismus, mit dem nachweisbar werden soll, wie alt ein Kind ist, wenn es einen Account anlegt, sagte Wulf. Die EUDI-Wallet werde Ende nächsten Jahres zur Verfügung stehen, "was dann mit dem Bericht der Kommission ganz gut zusammenfallen sollte", sagte die Staatssekretärin.
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