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Verteidigungsetat : Der Patient

Die Verteidigungsausgaben sollen auf 71 Milliarden Euro steigen. Möglich ist dies aber nur Dank des Sondervermögens.

08.09.2023
2024-03-15T12:41:05.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance / DeFodi Images

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beobachtet Anfang August während seines Besuchs beim Sanitätsregiment 3 im baden-württembergischen Dornstadt eine Übung der Bundeswehr.

Deutschlands Verteidigungsausgaben werden im kommenden Jahr mit rund 71 Milliarden Euro auf den höchsten Wert seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 steigen. So sieht es der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 vor. Erreicht wird diese Summe jedoch nur, weil dem regulären Wehretat (Einzelplan 14) von 51,8 Milliarden Euro weitere 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr zufließen sollen. Gegenüber diesem Jahr kann Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in seinem regulären Etat somit ein Plus von 1,68 Milliarden Euro und bei den Mitteln aus dem Sondervermögen ein weiteres Plus von 8,41 Milliarden Euro verzeichnen. Damit stehe "im kommenden Jahr so viel Geld für unsere Bundeswehr zur Verfügung wie noch nie", führte der Minister zum Auftakt der ersten Lesung seines Etats in der vergangenen Woche an.

Opposition kritisiert Sondervermögen

So beeindruckend die rund 71 Milliarden Euro auch klingen, so können sie kaum die Schieflage im Wehretat verdecken. Die Erhöhung des Wehretats um 1,68 Milliarden reiche nicht einmal aus, um die steigenden Personal- und Betriebskosten der Bundeswehr auszugleichen, befand die CDU-Verteidigungspolitikerin Kerstin Vieregge. Tatsächlich wird der Bund im kommenden Jahr mit insgesamt 22,39 Milliarden Euro allein 1,76 Milliarden Euro mehr aufbringen müssen, um die Gehälter, Sozialabgaben und sonstigen Leistungen für seine 185.000 aktiven Soldaten und Reservisten sowie die 80.000 Zivilbeschäftigten zu bezahlen. Um die Personal- und Betriebskosten zu decken, wolle "die Ampelkoalition immer mehr Projekte ins Sondervermögen verlagern", monierte Vieregge. "Diese geplante Zweckentfremdung ist mehr als nur ein Wortbruch gegenüber dem Parlament. Es wäre laut Bundesrechnungshof sogar ein klarer Rechtsbruch." Auch der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, warf der Ampelkoalition vor, sie verwässere die Kriterien für das Sondervermögen und stopfe damit Löcher im regulären Haushalt.

3,08 Milliarden Euro für Beschaffung von Munition

Der FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein wies diese Kritik zurück. Der von der Bundesregierung vorgelegte Formulierungsvorschlag für eine Änderung der Zweckbindung des Sondervermögens widerspreche in "keiner Weise" der in der Verfassung niedergelegten Formulierung. "Wir werden hier im Haus sehr intensiv diskutieren, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise und ob überhaupt wir die Zweckbindung des Sondervermögens ändern", versprach Klein.

Im Bundesgesetz zur Einrichtung des Sondervermögens heißt es jedoch, es diene "zur Finanzierung insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und zur Ertüchtigung der Bundeswehr". Bislang war darunter vor allem die Beschaffung von militärischem Großgerät verstanden worden. Im kommenden Jahr soll erstmals auch die Beschaffung von Munition aus dem Sondervermögen finanziert werden. Rund 3,08 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Aus dem regulären Wehretat sollen hingegen lediglich 467 Millionen beigesteuert werden. Überhaupt sind im Wehretat mit nur noch 2,7 Milliarden Euro rund fünf Milliarden Euro weniger für militärische Beschaffungen eingeplant als noch in diesem Jahr. Die militärischen Beschaffungen sollen zu 88 Prozent aus dem Sondervermögen finanziert werden.

Die dadurch frei werdenden Gelder im Wehretat sollen verstärkt in die Materialerhaltung, Kasernen und andere militärische Liegenschaften investiert werden. So sollen die Mittel für den Materialerhalt um 1,6 Milliarden Euro auf insgesamt 6,45 Milliarden und die Mittel für Unterbringung um 1,4 Milliarden Euro auf insgesamt 7,73 Milliarden Euro erhöht werden. Doch Verteidigungsminister Pistorius weiß, dass das Sondervermögen spätestens 2028 aufgebraucht sein wird. Dann müsse der Wehretat deutlich erhöht werden. Die Union bezifferte die drohende Lücke im Wehretat gar auf 30 Milliarden Euro im Jahr.

Streit über Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels

Widerspruch bei der Union rief die Ankündigung von Pistorius und den Abgeordneten der Ampelkoalition hervor, Deutschland werde im kommenden Jahr erstmals das zugesagte Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben, erreichen. Dies schaffe die Bundesregierung aber nur, weil sie aus anderen Ressorts weitere 14 Milliarden Euro zu den verteidigungsrelevanten Ausgaben hinzurechne, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), und fügte an: "All diese billigen fiskalischen Taschenspielertricks helfen der Bundeswehr aber nicht, verteidigungsfähiger zu werden."

Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz räumte denn auch ein, dass das Zwei-Prozent-Ziel durch die Ausgaben in anderen Ministerien und aus dem Einzelplan 60 erreicht werde. Dort sind beispielsweise vier Milliarden Euro für die "Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung" eingeplant, konkret geht es um die Militärhilfe für die Ukraine.

Sollte Deutschland Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine liefern?

In der Debatte sprach sich die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger dezidiert für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine im Rahmen dieser Militärhilfe aus. Jede Waffenlieferung habe zwar ihre Risiken, aber "auch Verweigern und Verzögern" könne letztlich zu einer "Eskalation beitragen".

Die Haushaltspolitikerin Gesine Lötzsch (Linke) lehnte die Lieferung von Marschflugkörpern hingegen kategorisch ab. Die Bundesregierung müsse sich vielmehr entschlossen für einen sofortigen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine einsetzen.