Piwik Webtracking Image

Der Weg zum Grundgesetz : Das Fundament der Bundesrepublik

Nachdem sich die Alliierten für einen westdeutschen Teilstaat entschieden hatten, arbeitete der Parlamentarische Rat die Verfassung aus - explizit als Provisorium.

11.04.2023
2024-03-05T13:05:24.3600Z
5 Min
Foto: picture-alliance/dpa

Die drei Militärgouverneure Brian Robertson (Großbritannien), Pierre Koenig (Frankreich) und Lucius D. Clay (USA) (v.l.n.r.) genehmigen das Grundgesetz vorbehaltlich der Bestimmungen des Besatzungsstatuts.

Einer der Meilensteine in der Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland war die Entscheidung der westlichen Alliierten auf der Londoner Außenministerkonferenz im Sommer 1948, aus ihren Besatzungszonen einen westdeutschen Teilstaat zu errichten. Die drei Militärgouverneure Lucius D. Clay (USA), Pierre Koenig (Frankreich) und Sir Brian Robertson (Großbritannien) "ermächtigten" in einer Besprechung in Frankfurt/Main am 1. Juli 1948 die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder bis zum 1. September 1948 eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Der fertige Verfassungsentwurf sollte von den Militärgouverneuren genehmigt und in einem Referendum vom Volk ratifiziert werden. Ein Besatzungsstatut, das von deutscher Seite explizit gewünscht worden war, um alliierte Willkürherrschaft zu verhindern, sollte ein "Mindestmaß der notwendigen Kontrollen" festgelegen.

Vorschlag einer provisorischen Verfassung

Vom 8. bis 10. Juli 1948 erörterten die Ministerpräsidenten die sogenannten Frankfurter Dokumente. Sie weigerten sich, an der Spaltung Deutschlands mitzuwirken und schlugen deswegen vor, durch einen "parlamentsähnlichen Rat" nur eine "provisorische" Verfassung ausarbeiten zu lassen. Doch die Alliierten erklärten am 20. Juli 1948, dass es sich bei den Frankfurter Dokumenten um "Anweisungen" gehandelt habe und sie selbst für die deutsche Teilung die Verantwortung übernehmen würden. Lediglich die Bezeichnungen "Parlamentarischer Rat" statt "Nationalversammlung" sowie "Grundgesetz" statt "Verfassung" ließen sie zu.

Im Auftrag der Ministerpräsidenten erarbeiteten wenige Wochen später westdeutsche Verfassungsexperten, überwiegend Juristen und nur wenige Politiker, vom 10. bis 23. August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee einen ersten Entwurf. Dieser Entwurf bildete bis hin zur Artikelnummerierung die Grundlage der gesamten Arbeit des Parlamentarischen Rates.

Berliner Vertreter nur mit Gästestatus

Die von den Landtagen in den drei westlichen Besatzungszonen gewählten 65 Mitglieder des zum 1. September 1948 nach Bonn in der Pädagogischen Akademie am Rhein einberufenen Parlamentarischen Rates wählten Konrad Adenauer (CDU) zum Präsidenten und Carlo Schmid (SPD) zum Vorsitzenden des Hauptausschusses. Angesichts des Viermächte-Status von Berlin nahmen dessen Vertreter nur als Gäste teil. CDU/CSU und SPD konnten jeweils 27 Abgeordnete entsenden (davon 19 CDU und 8 CSU), FDP fünf, Deutsche Zentrumspartei sowie DP und KPD jeweils zwei Abgeordnete.

Am 9. September 1948 konstituierten sich die Fachausschüsse. Ihre Ergebnisse wurden ab 11. November 1948 im Hauptausschuss presseöffentlich beraten, in der Hoffnung, dass die Arbeit bei der Bevölkerung größere Beachtung und das Grundgesetz später größere Akzeptanz erfährt.

Ideologische Unterschiede bei den Elternrechten und Kirchenartikeln

Beim Elternrecht und den Kirchenartikeln traten ideologische und weltanschauliche Unterschiede zutage, weswegen diese erst unmittelbar vor der Verabschiedung des Grundgesetzes entschieden wurden. Auf Theodor Heuss (FDP) ging der Vorschlag zurück, die Kirchenregelungen aus der Weimarer Reichsverfassung zu übernehmen (Staatskirchenrecht). Die Mitwirkung der Länder (Bundesrat oder Senat) wurde erst im Frühjahr 1949 vor allem in Verhandlungen mit den alliierten Verbindungsstäben vorentschieden. Der Bundesrat erreichte demnach wegen eines umfassenden Katalogs an Vorranggesetzgebung des Bundes nicht die volle Gleichberechtigung mit dem Bundestag.

Der Präambelentwurf erhielt auf Antrag von CDU/CSU und Zentrumspartei seit dem 16. November 1948 die Anrufung Gottes ("Invocatio Dei"). Am 28. April 1949 stellte die SPD die Anrufung Gottes erneut zur Diskussion, doch hielt die CDU/CSU diese für unverzichtbar. Thomas Dehler (FDP) vermittelte und schlug die noch heute gültige Präambelfassung mit Invocatio Dei vor, wie sie erstmals am 21. Februar 1949 formuliert wurde. Die Finanzfragen blieben offen, solange die Frage nach der Gestaltung der Länderkammer (Bundesrat oder Senat) ungeklärt blieb.

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema Das Provisorium am Rhein
Tagungssitz Bonn: Das Provisorium am Rhein

Die Militärgouverneure hatten an dem ersten Entwurf am 20. Oktober 1948 bemängelt, dass er nicht den Grundsätzen der Frankfurter Dokumente entsprach, dass der Föderalismus viel zu wenig Beachtung gefunden hätte. Um nicht den Eindruck zu erwecken, einem "Diktat" der Alliierten zu unterliegen, wurde das Schreiben der Militärgouverneure zu den Akten genommen.

Die Annahme eines zweiten Schreibens, das den Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 nicht ausgehändigt wurde, verweigerte Präsident Adenauer am 22. November 1948, weswegen ihm der Text vorgelesen wurde. Inhaltlich kam das Schreiben den Positionen der CDU/CSU-Fraktion sehr entgegen.

Fünferausschuss auf Anregung Adenauers

Nach einer Besprechung am 16./17. Dezember 1948 in Frankfurt, warfen SPD, FDP, DP und KPD dem Leiter der Deutschen Delegation, Präsident Adenauer, vor, er habe in den kontroversen Fragen die Militärgouverneure zu Schiedsrichtern angerufen. Auf Anregung Adenauers wurde am 26. Januar 1949 ein interfraktioneller Fünferausschuss eingerichtet, dessen Ergebnisse im Hauptausschuss beschlossen, doch von den Alliierten abgelehnt wurden, weil der Parlamentarische Rat an der Bundesfinanzverwaltung, einer umfangreichen Vorranggesetzgebung des Bundes sowie am sogenannten Berufsbeamtentum festhielt. Auch das Ergebnis des interfraktionellen Siebenerausschusses, der mit alliierten Finanzexperten verhandelte, lehnten die Alliierten ab.

Erst die Washingtoner Außenministerkonferenz ebnete am 5. April 1949 den Weg zum Grundgesetz. Die Militärgouverneure übermittelten am 10. April 1949 das in den Frankfurter Dokumenten angekündigte Besatzungsstatut und brachten das "Vertrauen" zum Ausdruck, dass der Parlamentarische Rat den Empfehlungen der Militärgouverneure die nötige Beachtung schenken würde. Eine zweite Note der Außenminister veröffentlichten die Militärgouverneure am 22. April 1949. Darin übermittelten sie ihr Wohlwollen gegenüber der bisherigen Grundgesetzarbeit. Am 25. April 1949 wurden die bislang von den Alliierten abgelehnten Artikel mit einer Delegation des Parlamentarischen Rates diskutiert. Nur bei der Frage der Konfessionsschule hielten sich die Alliierten heraus. Die deutsche Presse feierte am nächsten Tag den 25. April 1949 überschwänglich als die "Geburtsstunde" des westdeutschen Staates.

Zustimmung mit 53 zu 12 Stimmen

Nach der vierten Lesung im Hauptausschuss und der zweiten und dritten Lesung im Plenum bis zum 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit 53:12 Stimmen verabschiedet. Sechs Abgeordnete der CSU sowie DP, KPD und Zentrum lehnten es ab. Die CSU vermisste bei dem Entwurf des Grundgesetzes grundlegende föderalistische Vorgaben und ein Bekenntnis zur christlichen Staatsauffassung.

Militärgouverneure verzichten auf Referendum

Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure das Grundgesetz. Sie verzichteten auf das Referendum. So wurde vom 18. bis 21. Mai 1949 das Grundgesetz in den Landtagen angenommen. Nur der Bayerische Landtag lehnte in einer ersten Abstimmung das Grundgesetz ab; stimmte immerhin in einer zweiten Abstimmung dafür, dass bei Annahme des Grundgesetzes in zwei Dritteln der deutschen Länder, die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes auch für Bayern anerkannt wird.

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Bonn ausgefertigt und verkündet. Es trat um Mitternacht vom 23. auf den 24. in Kraft. Die Wahlbeteiligung von 86,3 Prozent bei der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 wurde stets als Zustimmung zum Grundgesetz gewertet. Erst mit der Konstituierung von Bundesrat und Bundestag am 7. September 1949 war auch aus völkerrechtlicher Perspektive der Alliierten die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, woraufhin in der Sowjetischen Besatzungszone am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet wurde.