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100 Jahre Rentenmark : Mit einem "faulen Zauber" gegen die Hyperinflation

Vor 100 Jahren gelang es mit der Einführung der Rentenmark, die Hyperinflation zu beenden. Die Sorge um ein stabiles Geldsystem hält in Deutschland bis heute an.

16.10.2023
2024-02-29T15:44:39.3600Z
6 Min

Wer im Oktober 1923 einen Korb voll Bargeld verlor, musste den Korb, nicht das Geld, vor Dieben retten. Es war die Zeit der Hyperinflation im Deutschen Reich. Die junge Weimarer Republik steckte noch in den Kinderschuhen. Die Abdankung des Kaisers und die Niederlage im Ersten Weltkrieg lagen gerade einmal fünf Jahre zurück. Rechte nationalistische Kräfte nutzten die ökonomischen Schwierigkeiten, um Parlamentarismus und Demokratie anzugreifen.

Rentenmark und Rentenpfennig sorgten 1923 für Stabilität.   Foto: Deutsche Bundesbank Numismatik und Geldgeschichte

Im Oktober 1923 kostete ein Ei unfassbare 1,9 Milliarden Mark. Drei Jahre zuvor, im Jahr 1920; hatte der Preis noch bei 75 Pfennig gelegen. Faktisch erlebten die Deutschen in den Jahren 1922 und 1923 den kompletten Zusammenbruch des Geldsystems. "Die Mark war ihrer klassischen Geldfunktionen weitgehend beraubt", fassen Mark Spoerer und Jochen Streb in ihrem Buch "Neue deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts" die Situation zusammen. Die Wertaufbewahrungsfunktion war nicht mehr vorhanden, stündlich verlor die Währung an Wert. Damit war sie auch als Recheneinheit nur begrenzt nutzbar. "Spätestens dann, als sich die Landwirte weigerten, ihre Ernte gegen wertlos gewordenen Banknoten einzutauschen, wurde die Mark auch ihrer Aufgabe als Zahlungsmittel nicht mehr gerecht", schreiben Spoerer und Streb. Bargeld war zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch körbeweise nutzbar.

Inflation, die deutsche Angst seit 1923

Diese Phase exorbitanter Preissteigerungen 1923 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Bis heute gelten die Deutschen im Vergleich zu anderen Nationen als besonders empfänglich für Inflationssorgen. Unter diesen Vorzeichen standen folglich die verschiedenen Währungsreformen, die Deutschland im 20. Jahrhundert erlebte: die Einführung der D-Mark 1948 in Westdeutschland, die deutsch-deutsche Währungsunion 1990, die europäische Währungsunion 1999. Doch zu Beginn des Jahrhunderts der Weltkriege stand eine Währungsreform, die der jungen deutschen Demokratie bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 Stabilität brachte, politische wie ökonomische: die Einführung der Rentenmark.

Die Rentenmark

  • Um der Hyperinflation Herr zu werden, führte die Regierung um Reichskanzler Gustav Ernst Stresemann im Oktober 1923 die Rentenmark ein. 
  • Nach der Gründung der Deutschen Rentenbank per Verordnung im Oktober 1923 wurden im November 1923 die ersten Banknoten und Rentenpfennige ausgegeben. Der Umtausch von Mark zu Rentenmark fand im Verhältnis 1.000.000.000.000 zu 1 statt. 
  • Die Menge an Rentenmark wurde durch eien formelle Bindung an Grund und Boden knapp gehalten. Damit gelang es, die Hyperinflation zu beenden.
  • Auch nach Einführung der Reichsmark im August 1924 blieb die Rentenmark im Verkehr und überdauerte das Dritte Reich. Erst mit der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen und der Einführung der D-Mark verlor die Rentenmark ihre Funktion.


Es war eine mutige politische Reform, mit der die Währungskrise 1923 gelöst wurde. Was aber war überhaupt deren Ursache? Warum stiegen die Preise 1923 so stark? Bis heute machen Wirtschaftshistoriker unterschiedliche Ursachen aus. Da ist zunächst die Last des Ersten Weltkriegs. Das Kaiserreich hatte seine Ausgaben für Rüstung und Soldaten 1914 bis 1918 komplett über Staatsschulden finanziert. Einen Teil davon kaufte die Zentralbank des Reichs, indem sie schlicht neues Geld bereitstellte. Als 1919 die neue deutsche demokratische Reichsverfassung beschlossen wurde, waren Güter des täglichen Bedarfs zehnmal teurer als vor Beginn des Ersten Weltkriegs .

Ruhrkampf lässt Staatsausgaben explodieren

Warum aber stiegen die Preise weiter so drastisch an, sogar immer schneller bis 1923? Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl verweist bei der Ursachenforschung zunächst darauf, dass die Siegerstaaten von 1918 den Reparationskonflikt mit Deutschland verschärften. 1921 beschlossen sie in London, dass das Deutsche Reich 132 Milliarden Goldmark als Ausgleich für Kriegsschäden an andere Staaten zu zahlen habe. Der britische Ökonom John Maynard Keynes war damals der Meinung, Deutschland könne maximal ein Drittel dieses Betrags leisten. 1922 wurde den Deutschen erlaubt, einen Teil der Pflichten in Sachleistungen zu liefern. Als auch das nicht geschah, marschierten französische Truppen ins Ruhrgebiet ein.

Die deutsche Regierung rief darauf hin den passiven Widerstand im Ruhrgebiet aus: Generalstreik! Zugleich unterstützte sie die Streikenden mit ungeheuren finanziellen Mitteln. Das Geld dafür druckte die Reichsbank. Das heizte die Inflation an. Der Großhandelspreisindex machte Anfang 1923 einen Sprung über die Marke von 100.000 und schnellte bis zum Oktober 1923 auf den enormen Wert von 709.000.000.000. Das deutsche Geld war nichts mehr wert.

Bauern horteten die Ernte, Hungerwinter drohte

1923 drohte im Deutschen Reich ein Hungerwinter. Die Bauern zögerten, ihre durchaus vollen Scheunen zu leeren. Wer heute verkauft, ist dumm, denn morgen bekommt er schon das Vielfache für seine Ware, so das Kalkül. Diesen Teufelskreis zu durchschlagen, war die entscheidende Aufgabe der Reichsregierung unter Führung des gemäßigt nationalliberalen Reichskanzlers Gustav Stresemann.

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Am 13. Oktober 1923 gewährte ihr das demokratisch gewählte Parlament mit einem sogenannten Ermächtigungsgesetz die Vollmacht, „die Maßnahmen zu treffen, welche sie auf finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiete erforderlich und dringlich erachtet“. Zwei Tage später wurde die Deutsche Rentenbank errichtet und mir ihr kam eine neue Währung. Die alte Papiermark hatte ausgedient. Mit der Rentenmark wollte die Reichsregierung ein funktionierendes und stabiles Geldsystem schaffen.

Umtausch 1 Billion zu 1

Es folgte einen Monat später die Ausgabe erster auf Rentenmark lautender Banknoten. Das neue Geld war gedeckt, konnte also nicht beliebig vermehrt werden. Es war gebunden an die Menge landwirtschaftlich genutzter Grundstücke sowie an Anlagen von Unternehmen in Industrie, Gewerbe, Handel und Bankwirtschaft. Es galt also ein festes Verhältnis zwischen diesen Realgütern und der Menge an Rentenmark. Als Umtauschverhältnis zur alten Währung galt 1 Billion Papier-Mark für einen Rentenbankschein im Wert von 1 Rentenmark. 

Wertlos, aber nützlich: Nach Einführung der Einführung der Rentenmark dienten die alten Geldbündel nur noch als Spielzeug.   Foto: picture alliance/akg-images

Der im März 2023 verstorbene ehemalige Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts der Universität Hannover, Friedrich Geigant, schrieb dazu im Jahr 2004: „Man suggerierte damit inneren Wert und Wertbeständigkeit des so ausstaffierten neuen Geldes.“ Viele Deutsche erinnerten sich wehmütig an die vermeintlich gute Zeit des Kaiserreichs. Dort galt die Bindung an die Goldmark. „Und das Volk, das durch erbärmliche Jahre gegangen war, wollte verzweifelt daran glauben, dass wieder bessere Zeiten heraufzögen“ schreibt Geigant. 

Die Deutschen glaubten also 1923 bereitwillig, dass die formale Bindung ihres neuen Geldes an Grund und Boden Stabilität bringen würde. Geigant bezeichnet dies als „faulen Zauber“, aber dennoch: die Hyperinflation fand so ein Ende. Man sprach vom „Wunder der Rentenmark“. Boden ist knapp, nicht beliebig vermehrbar. Auch Geld muss knapp sein, damit es seinen Wert behält. Das hatten die Deutschen begriffen.

Für den Erfolg entscheidend war aber noch etwas anderes: Der Staat senkte seine Ausgaben, es gelang eine Verständigung mit Frankreich. Am 30. August 1924 folgte ein weiterer Schritt, die Einführung einer neuen Reichsmark. Ihr Tauschverhältnis zur Rentenmark betrug 1 zu 1. Die Weimarer Republik hatte wirtschaftliche Stabilität gewonnen, die junge Demokratie war zunächst gefestigt, trotz dauernder Angriffe von rechts. 

Rentenmark überdauerte die Reichsmark

Obwohl die neue Reichsmark 1924 zum gesetzlichen Zahlungsmittel in Deutschland wurde, blieb auch die Rentenmark in Umlauf, überdauerte die Reichsmark sogar und erlebte eine weitere Währungsreform. Nachdem die Nazizeit und der Zweite Weltkrieg abermals mit einem verwüsteten Geldsystem geendet hatten, folgte in Westdeutschland 1948 erneut eine Währungsreform.

Es kam die D-Mark. Sie wurde zur Ikone der neuen Bundesrepublik. „Erst mit diesem Tag erlosch die Haftung der Deutschen Rentenbank und der landwirtschaftlichen Grundschulden für die nun wirklich museal gewordenen Geldzeichen“, erklärt Geigant. Am 26. Juli 1956 schließlich trat das Bundesgesetz über die Liquidation der Deutschen Rentenbank in Kraft. Jedoch dauerte es nochmals 22 Jahre, ehe am 26. Oktober 1978 die Deutsche Rentenbank liquidiert wurde. 

"Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr."

Die deutsch-deutsche Währungsunion 1990 erlebte die Rentenbank nicht mehr, auch nicht die Euro-Einführung 1999. Im Bewusstsein der Deutschen verschwand sie, anders als die Hyperinflation von 1923, die immer noch im Bewusstsein der Deutschen vorhanden ist. Dass diese durch die Rentenmark überwunden wurde, wissen heute die Wenigsten. 

Für hartes Geld steht im kollektiven Bewusstsein eine andere Währung. „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“, riefen Ostdeutsche in den Wendejahren 1989/90. Für die europäische Währungsunion musste Kanzler Kohl den Deutschen versprechen, dass der Euro so hart werde wie die D-Mark. 

Jedoch stöhnen 100 Jahre nach der Rentenmark viele Deutsche abermals über erhöhte Inflationszahlen. Aber immerhin: Körbe voller Bargeld, wie 1923, muss 2023 niemand schleppen: