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Kurz rezensiert : Abseits europäischer Mythen

Warum fliehen Menschen? Der Soziologe Olaf Bernau hat ein Buch vorgelegt, in dem er die Vielfachkrisen und Fluchtursachen in Westafrika analysiert.

27.06.2022
2024-01-22T14:48:40.3600Z
2 Min

Der frühere deutsche Botschafter Volker Seitz verarbeitete seine Afrika-Erfahrungen in einem Buch „Afrika wird arm regiert“. Als ein zentrales Problem der Entwicklungshilfe bezeichnete er deren Realitätsferne. Zugleich beurteilte Seitz die Korruption der Eliten und ihre schlechte Regierungsführung. Ausdrücklich kritisierte er die staatliche Entwicklungshilfe: Die „wachsenden Geldströme und die wuchernde Entwicklungshilfeindustrie“ ließen die Armut „nicht schrumpfen“ – im Gegenteil. Wohlbegründet nannte Asfa-Wossen Asserate Seitz Buch einen „Klassiker unter den Sachbüchern über Afrika“ und empfahl es allen als Pflichtlektüre für jene, die „um das Wohlergehen Afrikas und seiner Menschen ringen“.

Blick auf die Situation der Menschen vor Ort

Jetzt hat der Soziologe Olaf Bernau ein „Anti-Seitz-Buch“ veröffentlicht. Er setzt nicht an den politischen Rahmenbedingungen an, sondern betrachtet die Situation der Menschen vor Ort. Daher arbeitet er mit Migranten, bäuerlichen Gemeinschaften und Menschenrechtsgruppen zusammen und widerlegt die europäischen Afrika-Mythen über „geistige Unbeweglichkeit“, „Stammeskonflikte“, „finsteres Patriarchat“ und „schlechte Regierungsführung“. Detailliert beschreibt der Soziologe die Fluchtursachen aus Westafrika und kritisiert die „Marshall-Pläne“ und Afrika-Strategien Deutschlands, der EU und anderer Organisationen. Als Hauptursache für die Rückständigkeit Afrikas nennt er die koloniale Vergangenheit. Dazu stellt Bernau ein Zehn-Punkte-Programm auf: Europa sollte erstens „im Kontakt mit afrikanischen Regierungen nicht eigene Interessen, sondern Menschenrechte zur Richtschnur seines Vorgehens machen“. Punkt 10 betrifft die Freizügigkeit: Die Menschen sollten „frei zwischen Afrika und Europa zirkulieren können, dabei sind Fluchtwege für Geflüchtete stets offen zu halten“.

Mit seiner Streitschrift hat Bernau einen lesenswerten Beitrag zur aktuellen Afrika-Diskussion vorgelegt.

Olaf Bernau:
Brennpunkt Westafrika.
Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte.
C.H. Beck Verlag,
München 2022;
317 S., 18 €