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Terror der RAF : Bekenntnisse der Ex-Terroristin Silke Maier-Witt

Die frühere RAF-Terroristin Silke Maier-Witt erinnert sich in ihrem Buch voller Scham an die Gewalt des Jahres 1977. Den Opfern hilft die späte Einsicht nicht mehr.

06.06.2025
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4 Min

Im Jahr 1977 wird Westdeutschland von einer beispiellosen Terrorwelle erfasst. Dahinter steht die sogenannte Rote Armee Fraktion (RAF), eine linksextreme Gruppierung, die gegen den "Imperialismus" zu Felde zieht. Der RAF-Terror erschüttert die Bundesrepublik in ihren Grundfesten. 

In kurzer Abfolge verübt die Terrorgruppe brutale Anschläge. Im April 1977 erschießt die RAF den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1920 - 1977) und seine zwei Begleiter. Im Juli wird der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto (1923 - 1977), in seinem Haus bei Frankfurt am Main erschossen. Als "Türöffner" fungiert die RAF-Aktivistin Susanne Albrecht, deren Familie mit den Pontos freundschaftlich verbunden ist.

Foto: picture alliance/dpa/Uwe Anspach

2011 ist Silke Maier-Witt (m.) Zeugin vor Gericht: Verhandelt wird die Beteiligung der Ex-RAF-Terroristin Verena Becker (l.) am Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Buback im Jahr 1977.

Höhepunkt der Terrorwelle ist im September 1977 die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer (1915 - 1977). Die RAF-Terroristen erschießen dabei seine vier Begleiter. Mit der Entführung Schleyers wollen die Terroristen inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen.

Baader, Ensslin und Raspe begehen Selbstmord im Gefängnis Stuttgart-Stammheim

Im Oktober 1977 entführen palästinensische Terroristen, die mit der RAF kooperieren, eine Lufthansa-Maschine, ebenfalls mit dem Ziel, Gefangene freizubekommen. Der Pilot wird erschossen. Der Eliteeinheit GSG 9 gelingt es auf dem Flugplatz in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, die Passagiere aus dem Flugzeug zu befreien. In der Folge begehen die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe unter nicht vollständig geklärten Umständen in ihren Zellen Selbstmord. Die inhaftierte Irmgard Möller überlebt die "Todesnacht von Stammheim" schwer verletzt. Die bedrückende gesellschaftliche Stimmung im Terrorjahr 1977 findet ihren Niederschlag in der Bezeichnung "Deutscher Herbst".

Ein Fahndungsplakat aus den 1970er Jahren. Ganz rechts im Bild zu sehen: die RAF-Terroristin Silke Maier-Witt.   Foto: picture-alliance/dpa/BKA Wiesbaden

Auf den Fahndungsplakaten findet sich auch die Hamburgerin Silke Maier-Witt, die sich just am Tag der Ermordung Bubacks in Karlsruhe der zweiten Generation der RAF anschließt. Wegen ihrer guten Sprachkenntnisse und ihres Organisationstalents wird sie zur Anmietung konspirativer Wohnungen und Erkundung von Grenzübergängen und Fahrtstrecken eingesetzt.

In ihrer Autobiografie schildert sie anschaulich, wie die Terroristen planen und wie die Funktionen in der Terrorgruppe verteilt sind. Es gibt Anführer, Techniker und Taktiker, Feindschaften und Beziehungen. Von geheimen Erddepots ist die Rede, von chiffrierten Botschaften, falschen Pässen, geklauten Autos und Schießübungen im Wald.

Maier-Witt schwankte zwischen ihrer Solidarität zur RAF und der Abscheu vor Gewalt

Das Buch ist ein publizistischer Glücksfall für alle, die sich für die RAF-Geschichte interessieren und denen das Schicksal der Terroropfer und ihrer Angehörigen nahe geht. Zwar werden die Ereignisse aus der Perspektive der Terroristen geschildert, jedoch distanziert und selbstkritisch. 

Entstanden ist ein Insiderbericht in beeindruckender Detailfülle und mit psychologischer Tiefenschärfe. Die Bekenntnisse von Silke Maier-Witt (75) räumen zugleich auf mit dem Mythos der moralischen Überlegenheit der Terroristen im Kampf gegen verhasste Kapitalisten, Imperialisten, Altnazis und den vermeintlichen Polizeistaat. Sie ersetzen die RAF-Romantik, die sich in der linken Szene teils bis heute hält, durch die Banalität und Sinnlosigkeit des blanken Terrors. 

Die studierte Psychologin beschreibt authentisch, wie sie damals schwankt zwischen Solidarität mit der Terrorgruppe und Abscheu vor Gewalt. Sie legt Wert darauf, niemanden getötet zu haben. Auch wenn sie in der Gruppe keine Anführerin war, hat sie schwere Schuld auf sich geladen. Es ist Silke Maier-Witt, die nach der Ermordung Schleyers das Bekennerschreiben der RAF telefonisch an die französische Zeitung "Libération" übermittelt. Sie räumt ein, es falle ihr heute schwer, die Zeilen zu lesen, auch wenn sie den Text nicht selbst geschrieben hat. "Wenn ich heute an diese Worte denke, sie lese oder höre, schäme ich mich noch immer."

Untergetaucht in der DDR, geleitet von der Stasi

1980 taucht Silke Maier-Witt mit anderen RAF-Aktivisten unter falschen Namen in der DDR unter und wird 1990, im Jahr nach dem Fall der Mauer, enttarnt. Sie wird 1991 verurteilt und muss bis 1995 ins Gefängnis. Ihre Schilderungen der zehn Jahre in der DDR, der enge Kontakt zur Stasi, der Versuch, ein neues Leben im realen Sozialismus zu beginnen, ist bereits ein wertvolles Stück Zeitgeschichte. Nach der Haft bemüht sie sich erneut um ein bürgerliches Leben, diesmal auf dem Balkan. Dass eine ehemalige Kämpferin der RAF nun Friedensarbeit im Kosovo leistet, könnte als treffsichere Form der "Resozialisierung" durchgehen.


Silke Maier-Witt:
Ich dachte, bis dahin bin ich tot.
Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2025;
384 S., 26,00 €


Das Buch bietet neben den erhellenden Einblicken in den Alltag von Terroristen eine ebenso intelligente wie schonungslose Abrechnung mit einem Leben ohne Sinn, ohne Heimat, ohne Familie oder Freunde, auf der Flucht, im Untergrund, im Provisorium, in Haft. Silke Maier-Witt offenbart keine grundsätzlich neuen Fakten über die Terroranschläge, sie lüftet auch nicht das Geheimnis um die Todesschützen im Fall Schleyer und Buback, weil sie es offenbar nicht kann. Trotzdem ist die Autobiografie in dieser Offenheit, kritischen Reflexion, historischen Einordnung und nicht zuletzt in der authentischen Reue eine kleine Sensation. Sie schreibt nüchtern: “Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.”

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