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Patriarchale Mythen über Frauen : Die Schuld an allen Übeln dieser Welt

Von Pandora bis Medea: Rebekka Endler analysiert in einem aufwändig recherchierten Sachbuch patriarchale Narrative über Frauen als Strategie des Machterhalts.

09.07.2025
True 2025-07-09T17:02:29.7200Z
3 Min

Dass die Lektüre dieses Buches auch unterhaltsam sein würde, wird schnell klar: "Pandora, die blöde Bitch, ist schuld an allen Übeln dieser Welt", schreibt Rebekka Endler in ihrem neuesten Werk "Witches, Bitches, It-Girls. Wie patriarchale Mythen uns bis heute prägen" bereits auf Seite zwei.

Foto: picture alliance / Heritage Images

Mit ihr fing es an: Pandora, die erste Menschen-Frau, die von Göttervater Zeus erschaffen wurde, öffnete verbotenerweise eine Büchse und entließ so Unheil und Schrecken in die Welt.

Endler, die bereits mit "Das Patriarchat der Dinge" einen publizistischen Erfolg gelandet hat, beginnt ihren kulturhistorischen Streifzug nicht von ungefähr mit der griechischen Mythologie: Denn Pandora, die von Zeus aus Lehm geschaffene erste menschliche Frau, kann auf ihrer Reise zu Prometheus ihre Neugier nicht zügeln und öffnet eine Büchse, obwohl es ihr strengstens verboten ist. Ab da ist das Unheil in der Welt und mit ihr eine Geschichte - so erfolgreich, dass das "Öffnen der Büchse der Pandora" zu einem Sinnbild für falsches Handeln geworden ist.

Zwischen Femme fatale und aufopferungsvoller Mutter

Auf Pandora folgen unzählige weitere Erzählungen, in denen Frauen entweder als Schreckgespenster oder als Femme fatale auftauchen, um Frauen zu zeigen, wie sie nicht sein sollen. Die entweder Männer zu schlechtem Verhalten animieren - wie Eva im Paradies -, Unheil über ihre Mitmenschen bringen - wie die Hexen im mittelalterlichen Europa - oder ihre Kinder töten - wie Medea, von der es auch eine friedliche Variante gibt, die aber nicht so erfolgreich ist, oder eben Gretchen in Goethes "Faust". Auf der anderen Seite dieses von Männern gemachten Frauen-Kosmos steht entweder die aufopferungsvolle Mutter oder das wehrlose, noch unschuldige Opfer, das durch einen Mann gerettet werden muss.


Rebekka Endler:
Witches, Bitches, IT-Girls.
Wie patriarchale Mythen uns bis heute prägen.
Rowohlt,
Berlin 2025;
464 S., 25,00 €


"Das Patriarchat ist nicht - wie viele uns glauben machen wollen - längst Geschichte, es lebt in uns allen weiter und bestimmt unsere Wahrnehmungen bis heute", schreibt Endler. Sie hinterfragt auch, wie Frauen selbst von Vorurteilen geprägt sind und nimmt sich als Autorin von der kritischen Selbstreflexion nicht aus. Das ist wohltuend zu lesen. Entstanden ist auf diese Weise ein aufwendig recherchiertes Sachbuch, das gekonnt zwischen den Epochen jongliert, den Finger in die Wunde legt, dabei aber nicht schäumend die Männer anklagt.

Gleichwohl lässt sie in ihrer Analyse keinen Zweifel, worum es bei diesen Kategorisierungen geht: um Machterhalt. Denn für den Erhalt von Macht ist die Deutungshoheit über Gruppen - in dem Fall Frauen - die entscheidende Voraussetzung. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis. Aber durch die Vielzahl an Beispielen und ihre zwischen Seriosität und Witz changierende Sprache bietet Endler auch all jenen einen Zugang, die sonst nicht unbedingt feministische Literatur lesen.

Um die “Normalität” ist ein Kulturkampf entbrannt

So haben sich wohl die wenigsten Zuschauer der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" zur Aufklärung von Kriminalfällen gefragt, welches Frauenbild dort transportiert wurde. So wurden Beiträge, in denen Frauen Opfer von männlicher Gewalt geworden waren, stets verbunden mit Hinweisen, wie riskant ihr Verhalten, ihre Garderobe, die Uhrzeit oder der Aufenthaltsort gewesen seien.

Wie sehr um diese Deutungshoheit auch aktuell gerungen wird, diskutiert die Autorin nicht nur an Inszenierungen von Frauen und Frauenkörpern in der Popkultur und auf Internetplattformen. Man könne darüber nicht nachdenken, ohne den Begriff der "Normalität" zu hinterfragen, der zu einem Kampfbegriff rechter und rechtsextremer Aktivisten geworden sei. Diese könnten mit dem Versprechen von einer "Rückkehr zur Normalität" auch in der politischen Mitte und bei transfeindlichen Feministinnen zunehmend punkten, warnt Endler.

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