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Rezension: Jan-Otmar Hesses "Exportweltmeister" : Ein Teil der nationalen Identität

Der Wirtschaftshistoriker Jan-Otmar Hesse hat sich auf die Spuren der deutschen Obession, Exportweltmeister zu sein, gemacht.

30.12.2023
2024-01-24T17:22:30.3600Z
2 Min
Foto: picture alliance / ZB/euroluftbild.de

Blick auf den Containerhafen am Burchardkai des Überseehafens im Ortsteil Waltershof in Hamburg.

Das "außenwirtschaftliche Gleichgewicht" ist eines der vier wirtschaftspolitischen Ziele des Stabilitätsgesetzes von 1967. Gleichwohl ist die deutsche Leistungsbilanz seit gut 20 Jahren stets positiv, ein international kritisierter Sachverhalt, den der Wirtschaftshistoriker Jan-Otmar Hesse in seinem Buch, dessen Titel wie Untertitel nicht, wie man meinen könnte, nur dem Verlagsmarketing geschuldet sind, "kritisch und differenziert zu hinterfragen" beansprucht. Im Ausdruck "Exportweltmeister" verbinde sich die "wirtschaftliche Sphäre mit der kollektiven nationalen Identität", das Ökonomische sei dabei an die Stelle der nach den Weltkriegen verlorenen politischen und militärischen Macht getreten, schreibt Hesse. Die "strikte historische Prägung zur Exportorientierung" lege eine "Exportobsession" nahe. Nur ihre "historische Rekonstruktion" helfe, "ihre unvernünftigen Folgen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte", wie ihre "negativen weltwirtschaftlichen", offenzulegen.

Grund des Erfolgs: Anpassung an den Weltmarkt

Die Exporterfolge verdanken sich vor allem Produkten der Fertigwarenindustrie, der es, wie der Politik, stets gelungen sei, sich dem Weltmarkt anzupassen. Hierin liege, wie Hesse betont, deren Stärke, es sei nicht die "industrielle Kontinuität", "nicht die 'deutsche Wertarbeit' oder gar ein besonderes nationales Arbeitsethos, nicht Erfindungsreichtum oder die über Jahrzehnte kultivierte besondere Organisation der Produktion".

Seine historische Rekonstruktion der deutschen Exportobsession hat Hesse in fünf Kapiteln angelegt. Das erste Kapitel bietet einen historisch-kritischen Abriss der Theorie der internationalen Wirtschaft, das zweite einen Überblick über die globale Verflechtung der deutschen Wirtschaft in den vergangenen 150 Jahren. Die Vorgeschichte der Exporterfolge behandelt Hesse im Kapitel über den Neomerkantilismus des Kaiserreichs und die nationalsozialistische Autarkiepolitik sowie im Kapitel über Exportförderung und Außenwirtschaft im Wirtschaftswunder. Das fünfte Kapitel thematisiert "Währungskrise und Globalisierungsschock. Die deutsche Exportstärke wird konserviert".

Kernelemente der Exportorientierung

Die Exportorientierung sieht Hesse durch fünf "Kernelemente" gekennzeichnet: Die Verbindung der Exportindustrie mit dem Schicksal des Landes, die institutionelle Verankerung des Systems der Exportförderung, die Einkommensumverteilung und die Verknüpfung von wirtschaftlichen Produktionsprozessen mit einem nationalstaatlichen Territorium.

Hesses gut lesbare, mit vielen Grafiken und Tabellen versehene Arbeit belegt die Bedeutung dieser Faktoren, die auch dienlich sind, die chinesischen und amerikanischen Exporterfolge, aber auch das einschlägige Versagen anderer Volkswirtschaften zu erklären. Ob es aber "durchaus die Möglichkeit" gibt, "zu einer vernünftigen weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung überzugehen, die nicht durch politische Macht und nationalstaatliches Interesse korrumpiert wird", dürfte empirisch gesehen recht fragwürdig sein. Selbst die Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der EU werden diesem Ideal nicht gerecht. An der deutschen Exportorientierung allein, zumal sie sich auch als Reaktion verstehen ließe, liegt es nicht.

Jan-Ottmar Hesse: Exportweltmeister.
Geschichte einer deutschen Obsession.
Suhrkamp,
Berlin 2023;
446 S., 28,00 €