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Fachkräftemangel : "Die Wirtschaftsbremse ist gelöst"

Die Ampel erleichtert die Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten. Union und AfD warnen vor neuen Anreizen für illegale Zuwanderung.

26.06.2023
2024-03-11T10:10:04.3600Z
4 Min

Der Bundestag hat den Gesetzentwurf der Koalition zur Fachkräfteeinwanderung verabschiedet. Die vom Innenausschuss abgeänderte Fassung der Regierungsvorlage erhielt bei der namentlichen Abstimmung am vergangenen Freitag 388 Ja-Stimmen und 234 Nein-Stimmen bei 31 Enthaltungen. In der vorausgegangenen Debatte sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Deutschland bekomme damit "das modernste Einwanderungsrecht der Welt". Positiv bewertet wurde die Neuregelung auch von den Ampelfraktionen, die bei den Ausschussberatungen mehrere Änderungen an dem Entwurf durchgesetzt hatten. Gänzlich anders sahen das Union und AfD. Von einer "Mogelpackung", die neue Anreize für illegale Zuwanderung nach Deutschland schaffe, sprach Andrea Lindholz (CSU).

Chancenkarte ermöglicht Einreise

Künftig soll es nun ausreichen, im Ausland eine zweijährige Berufsausbildung absolviert zu haben und darüber hinaus mindestens zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen zu können, um in Deutschland arbeiten zu dürfen, wenn ein Arbeitsvertrag existiert. Auch ohne eine solchen soll es aber gehen. Mit einer "Chancenkarte" sollen Ausländer mit einem über ein Punktesystem nachgewiesenen "guten Potenzial" einreisen und sich vor Ort einen Job suchen dürfen.

Foto: picture alliance/dpa/Jan Woitas

Eine Fachkraft aus Usbekistan (links) mit einem Kollegen bei einem Industrieanlagenbauer in Sachsen.

Auf Betreiben der Ampelfraktionen wurde die Mindestgehaltsschwelle für die Erteilung der Blauen Karte EU für Regelberufe gesenkt. Sie liegt bei derzeit 43.800 Euro brutto im Jahr. Auch wird ein "Spurwechsel" möglich. Vor dem 29. März 2023 eingereiste Asylbewerber können bei entsprechender Qualifikation und einem Arbeitsplatzangebot, oder wenn sie sich bereits in einem Arbeitsverhältnis befinden, eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.

Einfacher wird auch der Familiennachzug für eine Fachkraft. Die Eltern können nachziehen - ebenso wie die Schwiegereltern, wenn sich der Ehepartner dauerhaft in Deutschland aufhält.

Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP wollen zudem die sogenannte Westbalkanregelung "zu einem Teil des Instrumentenkastens für Migrationsabkommen" machen", wie es in einem nach der Abstimmung des Gesetzes angenommenen Entschließungsantrag heißt. Die genannte Regelung eröffnet Menschen vom Westbalkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.


„Das ist ein guter Tag für Deutschland.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)

"Das ist ein guter Tag für Deutschland", sagte Innenministerin Faeser während der Debatte. Fast zwei Millionen offene Stellen habe es Ende 2020 gegeben. Der Mangel an Fachkräften, so Faeser, gelte als eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft im Lande. Daher sei der Gesetzentwurf, der im parlamentarischen Verfahren "noch besser" gemacht worden sei, "ein Riesenschritt für die Zukunft unseres Landes".

Union spricht von "Mogelpackung"

CSU-Frau Lindholz teilte die Begeisterung der Ministerin nicht. Zwar stehe auf dem Gesetz "Fachkräfteeinwanderung". Es gehe aber vor allem um die "Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt und ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige". Das Gesetz sei keine Weiterentwicklung der Regelung von 2020. "Es ist ein Risiko, es ist nicht modern, es ist eine Mogelpackung und es löst nicht das Fachkräfteproblem in Deutschland", urteilte die Unionsabgeordnete.

An den Haaren herbeigezogen sei diese Kritik, befand Konstantin von Notz (Grüne). "Das ist ein gesellschaftlicher Meilenstein, zu dem Sie nicht in der Lage waren", sagte er an die Union gewandt. Damit werde die größte Wirtschaftsbremse in Deutschland gelöst. Er freue sich besonders über den Spurwechsel. "Wer schon hier ist, egal aus welchem Grund, hat jetzt die Chance, als Fachkraft in unserem Land tätig zu werden." Menschen, die jahrzehntelang zum Nichtstun und Abwarten verdammt gewesen seien, erhielten nun eine Perspektive, langfristig in Deutschland beschäftigt zu werden, sagte Notz.

Fachkräfteeinwanderung

IT-Spezialisten gesucht: Auch ohne Hochschulabschluss dürfen sie kommen, wenn sie „bestimmte non-formale Qualifikationen“ nachweisen können.

Grundlage ist ein Punktesystem: Zu den Auswahlkriterien gehören Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und das Alter

Spurwechsel geplant: Vor dem 29. März 2023 eingereiste Asylbewerber können unter bestimmten Umständen eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen.



Mit einem Satz zusammengefasst laute das Gesetz: "Jeder kommt rein, aber keiner fliegt raus", sagte Norbert Kleinwächter (AfD). Offensichtlich sei der Ampel die Zahl von 305.000 ausreispflichtigen Personen noch nicht genug.

FDP: "Deutschland ist schon lange Einwanderungsland"

Johannes Vogel (FDP) sieht in dem Punktesystem das deutliche Signal an die Welt: "Wer nach klaren Kriterien wie Qualifikationen, Arbeitsmarktbedarf und Sprache herkommen will, ist herzlich eingeladen, das zu tun." Deutschland sei schon lange ein Einwanderungsland, sagte Vogel. Es zähle nicht, woher jemand kommt. "Für uns zählt alleine, wohin er oder sie mit uns will."

Gökay Akbulut (Linke) hält das Gesetz für "zu einseitig an den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitgeber ausgerichtet". Eine Reform des Einwanderungsrechts müsse sich aber vor allem an menschenrechtlichen Gesichtspunkten orientieren. "Wir wollen, dass die Rechte der Migrantinnen und Migranten gestärkt werden", sagte die Linken-Abgeordnete.

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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht mit dem Gesetz die Migration besser gesteuert und sortiert. Es gelte, irreguläre Migration zu reduzieren und legale Einwanderung zu stärken. "Das ist in unserem Interesse", sagte der Minister.

Hakan Demir (SPD) kritisierte die Unionsfraktion "Wir müssen eine offene Gesellschaft sein, die neue Nachbarn akzeptiert", sagte er. Das müsse auch in der Kommunikation deutlich werden. "Sonst kommen diese Menschen nicht und bleiben auch nicht."