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Aus- und Weiterbildungsgesetz beschlossen : "Ein guter Tag für die Fachkräftesicherung"

Der Bundestag hat das Aus- und Weiterbildungsgesetz beschlossen. Der Nutzen von Qualifizierungsgeld ist aber bei Opposition und Experten umstritten.

26.06.2023
2024-01-24T13:45:42.3600Z
5 Min

Digitalisierung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Energiewende: Dem Arbeitsmarkt und seinen Beschäftigten stehen große strukturelle Veränderungen bevor. Um die Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei diesen Umwandlungsprozessen zu unterstützen, hat der Bundestag vergangenen Freitag das "Aus- und Weiterbildungsförderungsgesetz" in geänderter Ausschussfassung gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU-Fraktion und AfD angenommen. Die Linksfraktion enthielt sich. Deren Antrag mit dem Titel  "Sichere Beschäftigung in der Transformation - Aus- und Weiterbildungsförderung ausbauen" lehnten die übrigen Fraktionen ab.

Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene

Mehr junge Menschen in die berufliche Ausbildung bringen ist ein Kernvorhaben des Weiterbildungsgesetzes.

Durch das Gesetz plant die Bundesregierung, die Weiterbildungsförderung zu entbürokratisieren. Außerdem führt sie eine Ausbildungsgarantie und das sogenannte Qualifizierungsgeld ein, auf das Unternehmen zurückgreifen können, wenn sie ihre Beschäftigten umschulen.

Bereits am Freitagmorgen hatten die Abgeordneten das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Mit dem sogenannten Weiterbildungsgesetz wird laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) neben dem ausländischen nun auch das "inländische Arbeitpotential" erhöht. "Heute ist ein guter Tag für die Fachkräftesicherung in Deutschland", sagte Heil. In vielen Branchen würden sich die Anforderungen an Unternehmen und Arbeitskräfte ändern, prognostizierte der Arbeitsminister. Deutschland müsse daher zur "Weiterbildungsrepublik" werden. Damit kein junger Menschen verloren gehe, würde das neue Gesetz auch die berufliche Ausbildung fördern. Das Land brauche Master, "aber auch Meisterinnen und Meister", sagte Heil. Rund zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung. Der sicherste Weg zu verhindern, dass Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit landen, sei es, bei Ausbildung und Berufsorientierung anzusetzen.

Einige Änderungen an der Weiterbildungsförderung

Wenig wurde an dem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch verändert. Die größte Änderung betrifft die Weiterbildungsförderung. Grundsätzlich sollen durch feste Fördersätze und "weniger Förderkombinationen" der Zugang zu Weiterbildungsangeboten für Unternehmen und Beschäftigte erleichtert und entbürokratisiert sowie die Transparenz erhöht werden. Um bei der Finanzierung von Lehrgängen unterstützt zu werden, gelten durch das Gesetz künftig außerdem neue Beschäftigungshöchstgrenzen. Betriebe mit weniger als 50 Arbeitskräften müssen sich künftig nicht mehr an Weiterbildungskosten beteiligen. Ursprünglich sah der Gesetzentwurf eine Höchstgrenze von zehn Arbeitskräften vor.

SPD-Politikerin Natalie Pawlik erläuterte, dass durch diese Änderung des Gesetzentwurfes die Förderung nun stärker "an die wirtschaftliche Realität unserer Betriebe" herangerückt sei.

Qualifizierungsgeld als Lohnersatz für Weiterbildungen

Mit dem Gesetzentwurf soll außerdem das Qualifizierungsgeld eingeführt werden. Führe die Transformation der Arbeitswelt bei einem Unternehmen dazu, dass für einen Teil der Belegschaft der Verlust des Arbeitsplatzes drohe, sollen Arbeitgeber und -nehmer künftig darauf zurückgreifen können, heißt es im Gesetzentwurf. Unabhängig von der Betriebsgröße oder der Qualifikation der Beschäftigten solle diesen, während sie für eine Weiterbildungsmaßnahme freigestellt sind, das Qualifizierungsgeld als Lohnersatz ausgezahlt werden - in Höhe von 60 oder 67 Prozent des Nettogehaltes.

Durch eine Nachjustierung könne das Qualifizierungsgeld nun auch für Maßnahmen beantragt werden, die unter das Aufstiegs-Bafög fallen, sagte Pawlik weiter.

Weniger beeindruckt von dem Entwurf zeigte sich Linken-Politikerin Jessica Tatti. Die Förderung durch das Qualifizierungsgeld komme nicht bei denen an, die sie am dringendsten bräuchten: "bei geringqualifizierten mit miesen Löhnen" oder "bei denen, die in Teilzeit und Befristungen festhängen". Wer im Niedriglohnsektor arbeite, könne nicht mit 60 Prozent des Einkommens auskommen. Dadurch sei es für diese Menschen unmöglich, eine solche Weiterbildung wahrzunehmen.


„Heute ist ein guter Tag für die Fachkräftesicherung in Deutschland.“
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales

Bereits im Vorfeld hatte das Qualifizierungsgeld für viel Kritik bei Experten und Verbänden gesorgt. In einer öffentlichen Anhörung des Arbeitsausschusses im Mai hatte beispielsweise Kirsten Kielbassa-Schnepp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks kritisiert, dass das Qualifizierungsgeld vor allem Großunternehmen zugutekommen werde. Dies liege daran, dass Arbeitgeber das Qualifizierungsgeld nur bei Weiterbildungen beantragen könnten, die einen Mindestumfang von 120 Stunden hätten. Kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe könnten es sich aber nicht leisten, so lange auf ihre Beschäftigten zu verzichten, erklärte sie.

Ebenfalls auf viel Kritik stieß die im Gesetz verankerte Ausbildungsgarantie; dritte Säule der Aus- und Weiterbildungsförderung. Es sei eine "Krux", urteilte der Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kristof Becker, dass die Bundesregierung zwar von einer "Garantie" spreche, trotzdem aber der individuelle Rechtsanspruch eines jeden einzelnen jungen Menschen auf einen Ausbildungsplatz im Gesetz fehle. Ziel einer echten Ausbildungsgarantie müsse die Stärkung der betrieblichen Ausbildung sein. Dafür brauche es mehr Ausbildungsbetriebe und -plätze, forderte Becker.

Außerbetriebliche Ausbildung nur als letztes Mittel

Die Bundesregierung geht mit ihrem Gesetz einen anderen Weg. Durch bessere Berufsberatungen, einem Orientierungspraktikum und dem Anspruch auf außerbetriebliche Ausbildung als letztes Mittel plant sie, die wachsende Kluft zwischen freien Stellen und unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern zu überwinden. Während im vergangenen Jahr 68.900 Ausbildungsstellen unbesetzt blieben, fanden gleichzeitig laut Berufsbildungsbericht 2023 etwa 22.700 Menschen keine Lehrstelle.

Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) machte deutlich, dass die Ausbildungsgarantie ein Prozess sei, der junge Menschen von der ersten beruflichen Orientierung bis zur beruflichen Stabilisierung nach Ausbildungsende begleiten solle. Die Möglichkeit zur außerbetrieblichen Ausbildung sei hierbei lediglich das letzte Mittel, die "Ultima Ratio". In Anspruch sollten sie nur diejenigen nehmen, die in der eigenen Region keinen Ausbildungsplatz erhielten.

Stephan Stracke (CSU) machte deutlich, dass eine Ausbildungsgarantie kein "Rechtsanspruch auf einen Wunschberuf" sei. Es müssten auch bei der außerbetrieblichen Ausbildung Berufe ergriffen werden, mit denen eine Person Chancen auf einen Arbeitsplatz habe. Grundsätzlich begrüßte Stracke, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetz die berufliche Ausbildung klar vor der außerbetrieblichen priorisiere. Dauerbrenner bleibe die Frage, warum so viele junge Menschen ihren Bildungsweg abbrechen würden. Hier müsse über eine "deutlich vertiefte und passgenaue Berufs- und Studienorientierung" nachgedacht werden, sagte Stracke. Dies leiste einen zentralen Beitrag zur Fachkräftesicherung.

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AfD-Politikerin Gerrit Huy kritisierte die Ausbildungsgarantie. Firmen sollten die Ausbildung ihrer Beschäftigten selbst in die Hand nehmen, mahnte sie. Mit Blick auf die wachsende Zuwanderung aus dem Ausland sei es nicht zielführend, "alles und jeden fördern zu wollen".

Für FDP-Politiker Stephan Seiter sei es ein Pluspunkt für Unternehmen, wenn ihre Auszubildenden mobil seien. Hierfür werde das geplante Programm "Junges Wohnen" und seine Wohnheime für Auszubildende einen Beitrag leisten.

Ebenfalls Teil des Gesetzentwurfs ist ein Mobilitätszuschuss für Auszubildende. Dadurch würden junge Menschen dabei unterstützt werden, außerhalb ihrer Heimatregion eine Ausbildung zu starten, sagte Seiter. Im ersten Ausbildungsjahr sollen laut Gesetzentwurf alle zwei Heimfahrten pro Monat finanziert bekommen. Ursprünglich habe der Entwurf nur eine Fahrt vorgesehen. Ob all diese Instrumente letztendlich die gewünschten Effekte erzielen werden, müsse nach angemessener Zeit evaluiert werden, sagte Seiter.