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Sanktionen : Schockwellen rasen durch das russische Finanzsystem

Die Blockade der Notenbank trifft Moskau besonders hart, eine erst Bank bricht zusammen. Ausfälle an den Finanzmärkten treffen auch den Westen.

07.03.2022
2023-10-05T17:37:54.7200Z
5 Min

Die von den USA und der Europäischen Union verhängten neuen Finanzsanktionen gegen Russland rasen wie Schockwellen nach und durch Russland. Die Währung Rubel verlor kurzzeitig bis zu 40 Prozent ihres Wertes, die Kurse russischer Schuldverschreibungen und Staatsanleihen stürzten ebenso wie die Aktienkurse ins Bodenlose. Allerdings kommt ein Teil der Schockwellen auch wieder zurück an den Ausgangspunkt.

»Totaler Wirtschaftskrieg«

Der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire spricht klipp und klar aus, was die Sanktionen bezwecken: "Wir werden einen totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg gegen Russland führen. Wir zielen auf das Herz des Machtsystems Putin." Nicht ganz so krass formuliert der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP): "Die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft sind exorbitant. In der Öffentlichkeit wurde viel über das Zahlungssystem SWIFT gesprochen. Aber noch größere Tragweite haben die Einschränkungen in der russischen Notenbank, wie man nun sieht." Die Moskauer Zentralbank könne nun nicht mehr voll über die Devisenreserven von 600 Milliarden Dollar verfügen. Das werde die Durchhaltefähigkeit Russlands stark einschränken. "Die Währung ist in Turbulenzen, die Börsenkurse brechen ein, russische Banken sind teilweise in Abwicklung", stellt Lindner zu den Wirkungen der Sanktionen gegen Russland bereits nach wenigen Tagen fest.

Das internationale Zahlungssystem SWIFT mit Sitz in Belgien, organisiert als eine Art Genossenschaft, ist im Prinzip nichts anderes als ein weltweites Nachrichtensystem, mit dem Absender und Empfänger von Finanztransaktionen informiert werden. Ohne Anschluss an SWIFT sei eine Bank blind in dem System, erläutert der Chefvolkswirt der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka, Ulrich Kater. Jede am SWIFT-System teilnehmende Bank hat eine BIC-Nummer, die Kunden auf ihrer Girocard finden können. SWIFT lasse sich aber umgehen, erläutert Kater. So könnten Banken den Zahlungsverkehr auch über Telefaxe oder Anrufe organisieren, wie man es vor SWIFT getan habe.

Wirkungsvoller ist es, Banken auf die Sanktionslisten der USA und der Europäischen Union zu setzen: "Das ist dann der ultimative Ausschluss", so Kater. Genau das ist inzwischen mit sieben russischen Banken geschehen. "An den Finanzmärkten hat der Kreml die erste Schlacht verloren", bilanziert Olivier de Berranger von der Fondsgesellschaft LFDE die Lage nach den ersten Kriegstagen.

Dies liegt vor allem an der Isolierung der russischen Zentralbank, deren Auslandskonten im Rahmen der Sanktionsmaßnahmen eingefroren wurden. Die Folge ist, dass Russland an den westlichen Finanzmärkten gegen sinkende Rubelkurse nicht mehr mit dem Abstoßen von anderen Währungen aus seinen Reserven reagieren und damit Rubel zur Stützung des Kurses aufkaufen kann. Die russische Zentralbank griff inzwischen zu einem Bündel von anderen Maßnahmen. So dürfen russische Bürger bei der Ausreise aus Russland Devisen nur noch im Gegenwert von höchstens 10.000 US-Dollar mitnehmen.

Russische Unternehmen werden gezwungen, vier Fünftel ihrer in anderen Währungen erzielten Exporterlöse in Rubel umzutauschen und damit die Zentralbank mit neuen Devisen zu versehen. Dies trifft allerdings auch auf ausländische Unternehmen (etwa im Rohstoffbereich) zu, die aus Russland exportieren und nun ihre Gewinne nicht mehr an ihre Muttergesellschaften im Ausland transferieren können.

Risiko überschaubar

"Die Blockade der russischen Notenbank zieht den Teppich unter dem Finanzsystem hinweg", kommentiert der Schweizer Bankier Stefan Gerlach. Der deutsche Bankenpräsident und Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, erwartet so gut wie keine Probleme für die deutschen Institute. Die deutschen Banken hätten schon seit der Annexion der Krim 2014 ihr Engagement in Russland stark reduziert: "Für unser Bankensystem insgesamt ist das Risiko überschaubar."

Die russische Zentralbank verdoppelte inzwischen ihren Leitzinssatz auf 20 Prozent. Damit soll versucht werden, dass die russischen Bankkunden ihr Geld bei den Banken lassen, weil es jetzt erheblich höhere Zinsen gibt. Doch die langen Schlangen vor den Bankautomaten in Moskau und anderen Städten sprechen eine andere Sprache.

Auch wenn das russische Finanzsystem wankt, so ist es noch nicht am Ende. Ein Teil der Devisenreserven befindet sich ebenso wie Gold im Gegenwert von 132 Milliarden Dollar in der Moskauer Zentralbank. Es gibt Spekulationen, dass Russland seine in den letzten Jahren enger gewordenen Verbindungen zu China nutzen und eventuell über Peking an den Sperren des Westens vorbeikommen könnte.

Angeblich hält die russische Zentralbank Anlagen mit einem Gegenwert von 77 bis 90 Milliarden Dollar in chinesischer Währung bei der Zentralbank in Peking, die von den Sanktionen nicht betroffen sind. Bei Transaktionen nach China war SWIFT schon bisher weniger wichtig, weil Russland und China ein Konkurrenzsystem erstellt hatten, das diese Länder in Zukunft auch für Geschäfte mit neutralen Drittstaaten nutzen könnten, um die von Ihnen kritisierte Vorherrschaft des amerikanischen Dollar abzubauen. Auch neue Blockchain-Technologien sind möglicherweise zur Zahlungsabwicklung nutzbar.

Preisexplosion bei Rohstoffen

Allerdings laufen inzwischen auch Schockwellen in die Gegenrichtung. Russland ist nicht nur wichtiger Lieferant von Öl, Gas und Kohle, sondern auch von selteneren Rohstoffen wie Nickel, Aluminium und Palladium. Die Preise für diese Rohstoffe haben eins gemeinsam: Sie befinden sich auf historischen Höchstständen und steigen weiter. Russland-Experten der Commerzbank befürchten, dass es Angebotsausfälle aus Russland bei für die Industrie wichtigen Rohstoffen geben wird. In einer Analyse wird davon ausgegangen, dass nicht nur die SWIFT-Probleme zu Ausfällen führen, sondern dass auch westliche Banken die Finanzierung von Geschäften verweigern, Versicherungen die Schiffsladungen nicht mehr versichern und durch die Einstellung des Luftverkehrs ein zentraler Transportweg für Rohstoffe wie Palladium geschlossen wurde. Da aus der Ukraine bereits per Schiff kein Weizen mehr nach Europa kommt und auch die russischen Lieferungen erschwert werden, befinden sich inzwischen die Preise für Weizen auf Rekordniveau.

Zudem rollen Dollar und Euro weiterhin aus dem Westen Richtung Moskau. Um die Gas- und Öllieferungen aus Russland nicht zu gefährden, bleibt das SWIFT-System in diesen Fällen geöffnet. So ist die Gazprom-Bank weiterhin im SWIFT-System vertreten. Die EU, die USA und Großbritannien überweisen pro Tag etwa 350 Millionen Dollar für Öl und 250 Millionen Dollar für Gas an die russischen Unternehmen.

Schockwellen kommen zudem bei jedem Bundesbürger direkt an. Dass die Inflationsrate auch im Februar über fünf Prozent lag, hat in erster Linie mit den gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreisen zu tun. Der jüngste Preisschub bei Erdöl und Erdgas ist in diesem Zahlen noch nicht einmal enthalten, so dass eine Inflationsrate von über fünf Prozent über das Jahr gesehen immer wahrscheinlicher wird. Der Rohstoffmangel bringt zudem den Wachstumsmotor zum Stottern und bremst die Erholungstendenzen der deutschen Wirtschaft nach dem Abflauen der Corona-Pandemie wieder aus.

Das Nachsehen haben auch Sparer, die ihre Festgelder gerne bei den Töchtern russischer Banken in Österreich und Deutschland anlegten. Die "Sperbank" in Österreich, bei der rund 842 Millionen Euro Spargelder von Bundesbürgern gelegen haben sollen, hat Konkurs angemeldet, die in Deutschland ansässige VTB-Bank (180.000 Kunden mit vier Milliarden Euro Anlagen) nimmt keine Einzahlungen mehr entgegen. Die Sparguthaben sind durch die allgemeine Einlagensicherung bis 100.000 Euro geschützt. Hinzu kommt die Einlagensicherung der deutschen Banken.

Ungeschützt hingegen sind russische Staatsanleihen und Aktien zum Beispiel von Gazprom und Lukoil, die wegen ihre hohen Zinsen beziehungsweise Dividenden bei deutschen Kleinanlegern geschätzt sind und sich in fast allen Fonds und ETFs mit Schwerpunkt "Emerging Markets" (Schwellenländer) befinden. Da der Handel mit russischen Papieren in der EU eingestellt worden ist, droht Anlegern hier der Totalausfall.