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Munitionsexperte im Interview : "Das wird eine Aufgabe für Generationen"

Rost, Korrosion, Gifte im Wasser: Es muss dringend mit der Bergung von Kampfmitteln aus Nord- und Ostsee begonnen werden, sagt Munitionsexperte Torsten Frey.

28.11.2022
2024-02-21T10:56:50.3600Z
3 Min

Herr Frey, Sie forschen zur Munitionserkennung unter Wasser. Ihre Erkenntnisse werden künftig sehr gefragt sein: Der Bundestag hat gerade die nötigen Gelder für den Bau einer Plattform zur Bergung von Munitionsaltlasten aus Nord- und Ostsee freigegeben. Experten hatten dies lange gefordert.

Torsten Frey: Ja, ich bin froh, dass sich das Bundesumweltministerium endlich dieses Themas annimmt. Lange wurden die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben. Dabei drängt die Zeit: Die Kampfmittel altern, Korrosion zersetzt ihre Metallhüllen. Wir müssen also dringend mit der Räumung beginnen.

Foto: privat
Torsten Frey
Torsten Frey ist Experte für Munitionserkennung unter Wasser. Seit 2019 forscht er am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, das mit Wissen die Bergung von Kampfmittelaltlasten aus Nord- und Ostsee unterstützt.
Foto: privat

Geschätzt etwa 1,6 Millionen Tonnen Spreng- und Brandmunition, aber auch fünftausend Tonnen chemische Kampfmittel wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vor den deutschen Küsten verklappt und lagern dort noch immer. Welche Gefahren drohen?

Torsten Frey: Die Gefahr wächst, da die Munition durchrostet und zunehmend Gifte ins Wasser gelangen, die den Lebensraum von Tieren und Pflanzen verseuchen. Schon jetzt lässt sich in den Verklappungsgebieten eine höhere Belastung mit toxischen Substanzen nachweisen: In Muscheln und Fischen wurde etwa eine Belastung mit dem krebserregenden Sprengstoff TNT und mit TNT-Umbauprodukten gefunden. Eine ähnliche Gefahr geht auch von anderen, teils auch lose auf dem Meeresgrund liegenden Explosivstoffbrocken aus.

Detonationen sind kein Risiko?

Torsten Frey: Doch, denn es kommt immer wieder vor, dass Blindgänger von Bomben oder Seeminen im Zuge von Bauvorhaben gefunden und entschärft werden müssen. Die Munition selbst wurde glücklicherweise ohne Zünder verklappt. Sie macht auch den weitaus größeren Teil der in deutschen Gewässern vorhandenen Kampfmittel aus. Ein großer Vorteil, denn das ermöglicht - effiziente Technik vorausgesetzt - eine zügige Bergung. Dennoch: Der Kontakt ist nicht ungefährlich. Wir wissen aus Tests, dass die Schlagempfindlichkeit der Munition, und damit die Wahrscheinlichkeit versehentlicher Detonation, durch Alter und Korrosion wachsen. Auch das spricht für eine möglichst baldige Bergung. Es wird sonst immer komplizierter.

Ist im Einzelnen bekannt, wo die Munition versenkt wurde?

Torsten Frey: Dank historischer Aufzeichnungen sind die Versenkungsgebiete bekannt. Diese wurden von den Alliierten nach dem Krieg ausgewiesen. Doch wir haben anhand von Sonarbildern nachweisen können, dass auch außerhalb der festgelegten Koordinaten verklappt wurden. Zudem sind die bekannten Versenkungsgebiete nicht so kartiert, dass klar ist, welche Mengen Munition dort liegen. Wir von GEOMAR sind zwar mit der Kartierung einiger Versenkungsgebiete in der Ostsee schon recht weit. Was oder wie viel sich unter dem Meeresboden verbirgt, können wir trotzdem nur grob rekonstruieren.


„Die Bergung ist aufwändig, teuer, zudem braucht es qualifiziertes Personal.“
Torsten Frey

Die Munitionsaltlasten sollen direkt auf See vernichtet werden, aber bis die dafür geplante Plattform steht, werden Monate vergehen. Könnte man nicht ohne, dafür aber schneller beginnen?

Torsten Frey: Doch, aber damit der Prozess der Bergung und Vernichtung solch großer Munitionsmengen möglichst sicher und effizient abläuft, ist es sinnvoller, diese vor Ort in der Nähe des Fundorts zu zerstören, als sie quer durchs Land zu einem Kampfmittelentsorgungsbetrieb zu transportieren. Deshalb lohnt es sich, auf die Plattform zu warten.

Letzte Frage: Wie lange wird es dauern, bis Nord- und Ostsee frei von Kriegsmunition sind?

Torsten Frey: Leider sehr lange. Die Bergung ist aufwändig, teuer, zudem braucht es qualifiziertes Personal, das aktuell knapp ist. Das wird eine Aufgabe für Generationen.