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Atomkraft : Drei Atommeiler gehen in den Streckbetrieb

Um die Stromversorgung zu stabilisieren, laufen die deutschen Meiler über den Winter weiter. Ob das reicht, bleibt im Bundestag umstritten.

14.11.2022
2024-03-11T11:16:31.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Armin Weigel

Weiter unter Dampf: Dreieinhalb Monate länger, bis 15. April 2023, bleiben die drei AKW Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 (im Bild) im gestreckten Leistungsbetrieb am Netz. Das hat der Bundestag nun beschlossen.

Eine Überraschung ist der Beschluss des Bundestages für die Belegschaften in den drei letzten deutschen Atomkraftwerken mit Sicherheit nicht: Monatelang diskutierte die Politik schließlich über das Für und Wider eines möglichen Weiterbetriebs der Meiler.

Spätestens aber seit der Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Oktober, die Reaktoren nicht zum Jahresende abzuschalten, sondern aufgrund der angespannten Lage auf dem Gas- und Strommarkt befristet weiterlaufen zu lassen, richtet man sich in den AKW Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 auf eine Verlängerung ein.

Dabei stand seit dem Beschluss zum Atomausstieg 2011 elf Jahre lang fest, dass der Silvestertag 2022 dort der letzte Tag im laufenden Betrieb sein würde.

Bundestag lehnt Laufzeiten bis Ende 2024 ab

Nun ist klar: Die drei AKW laufen weiter - allerdings nur bis zum 15. April 2023. Der Bundestag, der in der vergangenen Woche den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Atomgesetzes im Eilverfahren beriet, hat dieser befristeten Laufzeitverlängerung zugestimmt. Für die Änderung stimmten von den 661 Parlamentariern, die an der namentlichen Abstimmung am Freitag teilgenommen hatten, 375 Abgeordnete dafür. 216 votierten dagegen, 70 enthielten sich der Stimme.

Nicht durchsetzen konnte sich die Union, die mit einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen hatte, die Laufzeiten bis Ende 2024 zu verlängern. Auch zwei Anträge der AfD zur Atomkraftnutzung in Deutschland- lehnte das Parlament ab.


„Es bleibt beim Ausstieg. Punkt.“
Steffi Lemke (Grüne), Bundesumweltministerin

Zum Auftakt der Beratungen warb Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am vergangenen Mittwoch für den Kompromiss einer befristeten Laufzeitverlängerung. Die Bundesregierung entscheide sich in einer durch den Ukrainekrieg ausgelösten Krise dafür, die drei deutschen AKW am Netz zu lassen, um damit die Stromversorgung in Deutschland zu stabilisieren.

Die Reaktoren könnten einen Beitrag leisten, um über den Winter zu kommen. Auch wenn dieser Beitrag nur klein sei, so sei es doch "fahrlässig" darauf zu verzichten, räumte Lemke ein. Zugleich machte sie deutlich, dass der Atomausstieg damit nicht in Frage gestellt werde. "Es bleibt beim Ausstieg. Punkt."

Union spricht von unzureichendem Minimalkonsens

Dies sei ein völlig unzureichender "Minimalkonsens", kritisierte hingegen Steffen Bilger (CDU) in der abschließenden Beratung am vergangenen Freitag. Ein dreieinhalbmonatiger Streckbetrieb bringe zu wenig: Er helfe kaum, die Strompreise zu dämpfen und die Verbraucher zu entlasten. Zudem biete er keine Lösung für den Winter 2023/24.

Ganz anders der Gesetzentwurf der Union: Dieser finde eine "angemessene und maßvolle" Antwort auf die gegenwärtige Energiekrise, meinte Bilger. Auch die Union halte am Atomausstieg fest, versicherte er, aber die Laufzeiten würden bis Ende 2024 verlängert. Das schaffe Versorgungssicherheit, senke die Strompreise spürbar und "erspare der Atmosphäre viele Millionen Tonnen CO2".

AfD: Energiewende zerstört Industriestandort Deutschland

Thomas Ehrhorn (AfD) warf der Bundesregierung eine völlig verfehlte Energiepolitik vor. Mit den Sanktionen gegen Russland habe sie die Gasknappheit provoziert, mit der Energiewende zerstöre sie die "Industrienation Deutschland" und riskiere die "Verarmung der Bevölkerung", so der Abgeordnete. Ein zeitlich begrenzter Streckbetrieb bringe Deutschland nicht weiter, meinte auch er. Es brauche weiterhin grundlastfähige Atomkraftwerke.

Völlig konträr dazu die Position von Ralph Lenkert, der jede Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ablehnte. Ihre Nutzung bleibe ein unkalkulierbares Risiko: Menschliches Versagen, Materialverschleiß - die Technik sei nicht vollends beherrschbar, argumentierte er.

Mit dem Ukrainekrieg bestehe nun auch noch die Gefahr eines atomaren "Super-GAU". Seine Meinung sei klar: Es brauche die Atomkraft nicht. Für hohe Strompreise seien ohnehin vor allem "falsche Marktregeln und Spekulation" verantwortlich.

Grüne: Ukrainekrieg verschärft die Gefahren der Atomkraft

Auch Harald Ebner (Grüne) verwies auf die Gefahren der Atomkraft, die durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft worden seien: "Jeder Tag mit Atomenergie ist ein Tag zu viel", sagte Ebner. Seine Fraktion hätte deshalb die deutschen AKW lieber nur als "Notfallreserve" behalten, nicht im Leistungsbetrieb. Trotzdem werde die Grünen-Fraktion die Entscheidung über den Streckbetrieb der Meiler mittragen.

Entscheidend sei, das betonte neben dem Grünen auch die SPD, dass kein neuer Brennstoff gekauft und so keine Möglichkeit zu weiteren Laufzeitverlängerungen gegeben werde.

Am 15. April schießt sich das Atomkapitel

Mit der geplanten Atomgesetzänderung schaffe die Ampel die nötige rechtliche Grundlage, damit die restlichen Brennstäbe "ertüchtigt" und bis zum Frühling aufgebraucht werden könnten. Um "nicht mehr und nicht weniger" gehe es, formulierte es Carsten Träger (SPD). Am 15. April schließe sich das Kapitel der Atomkraft in Deutschland "unwiderruflich."

Eine solche Festlegung umging Carina Konrad (FDP) geflissentlich: Hatten andere Liberale bis zuletzt offen dafür plädiert, sich eine Laufzeitverlängerung bis 2024 offenzuhalten und dafür auch neuen Brennstoff zu beschaffen, bezeichnete Konrad nur den Streckbetrieb bis zum Frühjahr als "unumgänglich".

Gleichzeitig machte sie deutlich, dass es noch weiterer Entscheidungen bedürfe, um Deutschland gut durch die Krise zu bringen: Damit die Grundlage des Wohlstands, nämlich Industrie, Handwerk und Mittelstand, geschützt werde, brauche es eine sichere und bezahlbare Stromversorgung, betonte Konrad und thematisierte sogleich das nächste energiepolitische Streitthema der Koalition: Fracking. Über das Verbot werde man noch reden müssen.