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Kapitalismus : Bessere Welt, schlechtere Umwelt

Mit der Industrialisierung verbesserten sich für immer mehr Menschen die Lebensbedingungen. Die Schattenseiten sind vor allem in Umweltschäden zu finden.

30.12.2023
2024-02-21T10:00:57.3600Z
3 Min

Hat der Kapitalismus die Welt besser oder schlechter gemacht? Es kommt drauf an, und zwar vor allem darauf, was man unter Kapitalismus versteht. Eine eindeutige, abschließende Definition gibt es nicht. Es könnte hilfreich sein, die Frage zu stellen, ob die Welt mit dem Aufkommen von Kapitalgesellschaften besser wurde, mit der Bildung marktwirtschaftlicher Institutionen und industrieller Prozesse. Diese drei Bausteine lassen sich vielleicht als wesentliche Bausteine des Kapitalismus bezeichnen.

Dass Kapitalgesellschaften die Welt besser gemacht haben, ist fraglich. Die Vereinigte Ostindische Kompanie (VOC) der Niederlande entwickelte sich im 17. Jahrhundert zur ersten florierenden Aktiengesellschaft des globalisierten Welthandelssystems. "Wir können den Handel nicht treiben, ohne Krieg zur führen", befand 1614 VOC-Generalgouverneur Jan Pieterszoon Coen. Der europäische Expansionismus trieb auf anderen Kontinenten grausamste Blüten, bis hin zum Völkermord. Handel, Profit und Krieg gehörten also zur Geburtsstunde des Kapitalismus, wenn man so will. Nur wenige profitierten davon, die meisten blieben arm, selbst in Europa all diejenigen, die das Pech hatten, nicht zur winzigen Oberschicht zu gehören.

Die Industrialisieurng brachte einen gewaltigen Produktivitätsschub

Der Kolonialismus machte Europäer reich, aber nicht Europa. Immerhin: Mit dem Kapitalismus gelang dem Bürgertum gesellschaftlicher Aufstieg in Sphären, die zuvor nur König oder Adel vorbehalten waren.

Für breite Schichten änderte sich jedoch erst etwas, als der Kapitalismus marktwirtschaftlich wurde, als die Industrialisierung sich durchsetzte, mit Beginn des 19. Jahrhunderts. Sicher, dieses Jahrhundert ist auch geprägt vom europäischen Imperialismus, der über weite Teile der Welt noch mehr Verwüstung brachte als die 300 Jahre zwischen der Landung Christoph Kolumbus auf der karibischen Insel "San Salvador" 1492 und dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Aber das 19. Jahrhundert brachte eben auch die Industrialisierung, und mit ihr einen gewaltigen Produktivitätsschub. "Seit Jahrtausenden ist das Leben der Menschen nicht so stark verändert worden wie durch sie", ist in Christoph Buchheims "Einführung in die Wirtschaftsgeschichte" zu lesen. Das jährliche Wachstum der Wirtschaft pro Kopf verfünffachte sich im 19. Jahrhundert von 0,3 Prozent auf 1,5 Prozent.


„Seit Jahrtausenden ist das Leben der Menschen nicht so stark verändert worden wie durch die Industrialisierung.“
Christoph Buchheim

Vorreiter war Großbritannien, wo dieser Prozess bereits ab dem Jahr 1750 einsetzte. Als Folge liberaler marktwirtschaftlicher Reformen in der Landwirtschaft stieg die Produktivität. Nicht mehr die Dorfgenossenschaft bestimmte, wer was wo anbauen durfte, sondern eine neue, wachsende Schicht von Großgrundbesitzern. Auch die sogenannten Allmende wurden privatisiert. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Landwirtschaft in Großbritannien doppelt so ertragreich wie die Frankreichs. "Einen wesentlichen Anreiz für diese Ertragssteigerung stellte die Tatsache dar, dass die Landwirtschaft in Großbritannien schon ziemlich früh weitgehend marktorientiert betrieben wurde", erklärt Buchheim.

Mehr Humankapital, mehr Wachstum, weniger Armut 

Die Landwirtschaft konnte also eine wachsende Zahl von Menschen ernähren, die wiederum außerhalb der Landwirtschaft Beschäftigung in gewerblichen Berufen fand. Das steigerte die Humankapitalbasis, führte zu Urbanisierung und setzte wiederum neue Wachstumsimpulse.

Trotz der Armutskrise, die sich in den Schriften von Karl Marx und Charles Dickens spiegelt, verbesserten sich seit dieser industriellen Revolution die Lebensbedingungen für das Gros der Menschen rapide. Die Armut geht seitdem zurück, bis vor wenigen Jahren sogar als absolute Zahl. Jedenfalls sinkt der Anteil der armen Menschen weltweit, wenngleich die Nachhaltigkeits- und Armutsziele der Vereinten Nationen noch nicht erreicht sind. Das wachsende Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht einher mit einer drastisch gesunkenen Kindersterblichkeit, zugleich können immer mehr Menschen lesen und schreiben.

Inwiefern diese Verbesserungen dem Begriff des Kapitalismus zuzuordnen sind, darüber lässt sich streiten. Sie sind jedoch Erfolge von Marktwirtschaft und industrieller Revolution. Sicher, auch Marktwirtschaft und Industrialisierung haben Schattenseiten. Die Menschen verbrennen immer mehr fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Das so freigesetzte Kohlendioxid lässt die Temperatur auf der Erde steigen. Die Folgen dieses menschlich bedingten Klimawandels für die Spezies des Homo Sapiens sind kaum absehbar. Auch andere Arten leiden. Das globale Artensterben, der Verlust an Biodiversität, bedrohen letztlich auch die Menschheit selbst.

Noch immer Armut auf der Welt

Und schließlich ist es trotz des immensen Wirtschaftswachstums und großer politischer Bemühungen noch nicht gelungen, die Armut auf der Welt wirklich zu besiegen. Der afrikanische Kontinent hinkt gemessen am BIP dem Niveau des Rests der Welt hinterher.

Dazu kommt: In den reichen Staaten täuschen die Werte über die Wirtschaftsleistung pro Kopf darüber hinweg, dass es auch dort Armut gibt. Industrialisierung und Marktwirtschaft haben weiten Teilen der Bevölkerung großen materiellen Wohlstand gebracht, aber Abstiegsängste, Perspektivlosigkeit und sogar Obdachlosigkeit sind auch im 21 .Jahrhundert, mehr als 200 Jahre nach der industriellen Revolution, noch vorhanden.