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Gerechtes Wachstum : "Es braucht keinen Systemwechsel"

Im Interview plädiert Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, für ein gerecht gestaltetes Wachstum.

21.12.2023
2024-03-04T11:39:38.3600Z
5 Min

Herr Dullien, die einen fordern "Greengrowth", die anderen "Degrowth", wieder andere meinen, grüner Sozialismus sei der richtige Weg. Welchen Weg halten Sie für richtig?

Sebastian Dullien: Unumstritten ist: Wir müssen weniger Ressourcen verbrauchen als heute. Es ist aus meiner Sicht aber nicht zwingend, dass es damit kein Wirtschaftswachstum mehr geben wird. Und es ist auch nicht zielführend, Ressourceneinsparungen durch ein forciertes Schrumpfen der Wirtschaft herbeizuführen. Betrachtet man die historische Erfahrung mit verschiedenen Wirtschaftssystemen, so scheint mir klar: Das beste System für die Dekarbonisierung ist eine soziale Marktwirtschaft mit einem stark lenkenden Staat. Ohne eine soziale Flankierung der Klimawende wird die politische Unterstützung durch die Bürger nicht stabil sein. Außerdem ist der stark lenkende Staat notwendig, weil die Zeit drängt. Die Marktkräfte allein sind nicht zielgenau genug, um die Dekarbonisierung umzusetzen, der Staat kann die richtigen Preissignale setzen sowie nötige Innovationen und Investitionen anstoßen.

Foto: Peter Himsel / www.himsel.de
Sebastian Dullien
ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) bei der Hans-Böckler-Stiftung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Foto: Peter Himsel / www.himsel.de

Gibt es während der Phase der Dekarbonisierung noch genug Wachstum?

Sebastian Dullien: In weiten Teilen der Welt leben nach wie vor sehr viele Menschen in absoluter und in relativer Armut. Es ist kaum vorstellbar, wie diese Armut allein durch Umverteilung und ohne Wirtschaftswachstum zu überwinden ist. Gleichzeitig muss das Wirtschaftswachstum in den planetaren Grenzen bleiben. Das ist ein Dilemma. Positiv stimmt, dass gerade in den ärmeren Ländern oft sehr viel Potenzial besteht, mit neuen Technologien Ressourcen einzusparen, parallel zu einer Modernisierung und zu Wirtschaftswachstum.

Ökonomen setzen auf Wachstum, Gewerkschafter auf Umverteilung, was halten Sie als Gewerkschaftsökonom für wichtiger?

Sebastian Dullien: Ich glaube, da besteht nicht wirklich ein Widerspruch. Gewerkschaften verstehen meiner Einschätzung nach sehr gut, dass ein wachsender Kuchen, der gerecht verteilt wird, mehr bringt als Umverteilung einer unveränderten Wirtschaftsleistung. Und Ökonomen erkennen, dass ungerechte Verteilung Gesellschaften spaltet und am Ende auch das Wachstum ausbremst. Von daher bin ich für gerecht gestaltetes Wachstum.

Welche Möglichkeiten gibt es für ein "grünes Wachstum", das den Wohlstand erhält, und wie viel Verzicht bringt das mit sich?

Sebastian Dullien: Viele Produkte und Dienstleistungen müssen umweltfreundlicher werden. Das fängt beim Heizen an. Ein Haus mit guter Isolierung und mit einer Wärmepumpe ist nicht nur wesentlich ökologischer, sondern auf lange Sicht auch kostengünstiger als eines mit Einfachfenstern und Ölheizung. Das zweite ist die Veränderung von Konsummustern.

Zum Beispiel?

Sebastian Dullien: Einwegplastik lässt sich oft ersetzen, und wir verlieren nichts an Wohlstand. Bestimmte Konsummuster, wie zum Einkaufen oder zum Kurzurlaub ins Ausland zu fliegen, sind überhaupt nicht nachhaltig, aber man kann seine Freizeit auch anders gestalten und trotzdem Wohlstand haben.

Lässt sich Wachstum politisch überhaupt steuern?

Sebastian Dullien: Natürlich. Die Politik kann mit ihren Gesetzen und Vorschriften Wachstum dämpfen, ankurbeln oder verändern. Wir haben Mehrheiten für Klimaschutz. Die Bundesregierung hat mittlerweile zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen verabschiedet, das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 2021 in seinem Urteil wirksamen Klimaschutz eingefordert. Das Umdenken bei vielen Bürgern hat längst eingesetzt. Allerdings muss der Transformationsprozess durch Eingreifen der Politik flankiert werden.


„Wir haben keine Zeit für Experimente mit grundsätzlich anderen Wirtschaftssystemen.“

Wie müsste das Eingreifen konkret aussehen?

Sebastian Dullien: Es braucht eine Kombination von Beschränkungen und preislichen Maßnahmen für Umweltverbrauch sowie Unterstützungen für jene, die sich die notwendigen Investitionen, um weiter Wohlstand zu haben, nicht allein leisten können. Damit kann die Dekarbonisierung vorankommen, und die notwendige Unterstützung der Bevölkerung bleibt erhalten.

Wie würde ein Wirtschaftssystem aussehen, das auf weniger Wachstum setzt?

Sebastian Dullien: Zu versuchen, jetzt ein neues, fundamental anderes Wirtschaftssystem zu etablieren, scheint mir der falsche Weg. Versuche mit nicht-marktwirtschaftlichen Systemen haben keine gut funktionierende Alternative hervorgebracht. Der real existierende Sozialismus Ende der 1940er bis Ende der 1980er Jahre etwa war für die Umwelt alles andere als vorteilhaft. Und: Wir haben keine Zeit für Experimente mit grundsätzlich anderen Wirtschaftssystemen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass wir in der sozialen Marktwirtschaft die Dekarbonisierung nicht hinbekommen würden. Wichtig ist die richtige Priorität: Die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Wirtschaft in ihren planetaren Grenzen bleibt. Wenn es dann eine Phase schwachen oder fehlenden Wachstums gibt, dann muss bestehender Wohlstand entsprechend stärker umverteilt werden. Für all das braucht es keinen Systemwechsel!

Seit Jahren wird daran gearbeitet, dass auch Faktoren wie Umwelt und soziale Gerechtigkeit gemessen werden müssten und nicht nur die BIP-Entwicklung berücksichtigt wird. Das Wirtschaftsministerium stellt bei der Präsentation des Jahreswirtschaftsberichtes nun auch Indikatoren zur gesellschaftlichen Entwicklung vor. Wie wichtig sind die Versuche, das BIP zu ergänzen, und wie müsste ein Alternativindex aussehen?

Sebastian Dullien: Es ist sehr wichtig, dass alternative Maßzahlen entwickelt werden, um zu zeigen, dass das BIP kein abschließendes Maß für unseren Wohlstand ist. Allerdings gibt es noch keine gute Antwort darauf, wie so ein Index aussehen und was er beinhalten sollte. Zum einen wird versucht, einen ganzheitlichen alternativen Index zu schaffen, zum anderen versucht man einen sogenannten Dashboard-Ansatz. Das ist wie beim Auto-Armaturenbrett, wo verschiedene Informationen abgebildet werden. Dort würden dann auch Kategorien wie Umweltverschmutzung oder Lebenserwartung angezeigt. Das Problem bei einem einheitlichen Alternativindex ist, dass man alles in Geldwert darstellen müsste. Man müsste beispielsweise bepreisen, was eine Vogelart wert ist. Das ist schwierig und angreifbar. Beim Dashboard-Ansatz können die Abbildungen sehr komplex und unübersichtlich werden. Die gesamten Versuche sind wertvolle Ergänzungen zum BIP, aber sie können es bislang nicht ersetzen.

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Führt ein neuer Indikator tatsächlich zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr ökologischer Nachhaltigkeit?

Sebastian Dullien: Das Messen allein löst die Probleme nicht, aber Dinge, die nicht gemessen werden, werden oftmals komplett vernachlässigt.

Nutzt die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen, um das angestrebte Ziel einer "sozial-ökologischen Marktwirtschaft" zu erreichen?

Sebastian Dullien: Viele der Dinge, die seit dem Amtsantritt der Bundesregierung vor zwei Jahren passiert sind, gehen durchaus in die Richtung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Der Mindestlohn wurde erhöht, es gab Verbesserungen beim Bürgergeld, da bemüht sich die Regierung um die soziale Absicherung. Und zugleich sind zahlreiche Maßnahmen für die Dekarbonisierung auf den Weg gebracht worden. Die Frage ist, wie es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts damit weitergeht. Ich sehe die Gefahr, dass jene Elemente, die für die sozial-ökologische Marktwirtschaft wichtig sind, dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn die Bundesregierung auf das Urteil mit Kürzungen reagiert.